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von Wilhelm Stählin |
Die vielerlei Gestalten des kirchlichen Handelns ebenso wie die vielfachen Aussagen des christlichen Credo selbst hängen in einer Weise zusammen, die keine Trennung, keine Isolierung irgendeiner einzelnen Funktion erlaubt. Der biblische Dreiklang der martyria, leitourgia und diakonia deutet die verschiedene Bewegungsrichtung dieser kirchlichen Lebensformen und -funktionen an. Wir erinnern uns daran, daß nur der ständige Blick auf den Dienst, den wir einander in unserem irdischen Lebensbereich schuldig sind, den „Gottesdienst” vor dem Abweg einer frommen Ersatzbildung bewahren, und daß nur die engste Verbindung mit dem liturgischen Leben der Kirche (im weitesten Sinn) die Grenzlinie zwischen der Diakonie als Lebensform der Kirche und einer rein säkularen Wohlfahrtspflege und sozialen Betriebsamkeit deutlich machen kann. Nicht ganz im gleichen Maß hat sich die Erkenntnis ausgebreitet, daß auch die martyria, das der Kirche aufgetragene lehrhafte Zeugnis, der inneren Einheit mit leitourgia und diakonia bedarf, um nicht zur christlichen Weltanschauung und zur bloßen „Lehre” ohne Ehrfurcht, Gebet und Liebe zu entarten. Es wäre reizvoll, die Fehlentwicklungen und Entartungen des kirchlichen Handelns daraufhin zu untersuchen, ob nicht in ihnen ein Auseinanderbrechen von martyria, leitourgia und diakonia zutage tritt, der Versuch also, die Wahrheit des Evangeliums außerhalb des gottesdienstlichen Vollzuges und abseits der dienenden Liebe zu besitzen, der Versuch, sich an den „schönen Gottesdiensten des Herrn” ohne dogmatische Verantwortung und ohne echte Brüderlichkeit zu erbauen, der Versuch endlich, die christliche „Liebe” losgelöst von ihrem Urbild in der Bewegung der göttlichen Liebe zur Welt, losgelöst von der liebenden Verehrung, die der Glaube zu Gott zurückbringt, zu fördern und zu pflegen. Diese notwendige Besinnung soll im folgenden durch eine Betrachtung über den Dienst der Engel ergänzt und illustriert werden, weil die Entsprechung zwischen jener „himmlischen” und unserer irdischen Welt zu den Geheimnissen der Kirche gehört, die in ihren Gottesdiensten einstimmt in den Lobgesang der himmlischen Heerscharen und also ihren Dienst mit dem Dienst der Engel vereinigt. Alles, was die Heilige Schrift von dem Wesen und dem „Geschäft” jener invisibilia aussagt, die gleich allen anderen Kreaturen Gottes Geschöpfe sind und also durch die unüberschreitbare Grenzlinie der Kreatürlichkeit von dem allein anbetungswürdigen Gott geschieden sind, die aber als reine Geisteswesen keinen Leib haben, ist gekennzeichnet durch eine eigentümliche Doppelgesichtigkeit: sie sind einerseits ganz Gott zugewendet, gleichsam der himmlische Hofstaat der göttlichen majestas, andererseits als Boten und Diener Gottes zu den Menschen entlassen, die Überbringer und Vollstrecker des göttlichen Ratschlusses, „ausgesandt zum Dienst um derer willen, die ererben sollen die Seligkeit” (Hebr. l, 14). Niemand sage, daß wir den Unterschied zwischen Engel und Mensch in einer unzulässigen Weise verwischen oder verleugnen, wenn wir in dieser Doppelgesichtigkeit des engelischen Dienstes einen nicht zu überhörenden Hinweis auf die Doppelgesichtigkeit alles kirchlichen Handelns erkennen. Auch die Kirche kann ihren Gläubigen und der Welt nur dann den ihr zukommenden Dienst erweisen, wenn sie primär ganz Gott zugewendet ist, als die irdische Stätte, wo die Kreatur Gott die ihm gebührende Ehre erweist, die gratia Gottes im eucharistischen Lobpreis zurückträgt (gratiam referre) zu dem himmlischen Thron; mit anderen Worten: Dabei ist der Gott-zugewandte Dienst der Engel, wie ihn die Heilige Schrift beschreibt, in gewissem Sinn das Urbild jenes Dienstes der Huldigung, den Gott von uns Menschen erwartet und sich von uns Menschen gefallen läßt. Die Vision, in der Jesaja die den Thron Gottes umschwebenden Seraphim geschaut und ihre Stimme gehört hat, hat den Propheten ein für allemal mit dem Gefühl der jede Vorstellung übersteigenden majestas tremenda erfüllt, die auch die seligen Geister ihr Angesicht vor Ihm verhüllen läßt, damit sie nicht verbrennen in der Glut Seiner Heiligkeit. Diese Scheu vor der Nähe des Heiligen ist das äußerste Widerspiel jener harmlosen Gemütlichkeit, die vom „lieben Gott” wie von einem gutmütigen Nachbarn redet; ohne das Bewußtsein von der Gefährlichkeit dieses tabu-Bezirkes verwandelt sich auch die Freudigkeit, mit der wir den erschlossenen Zugang zu dem Thron Gottes vollziehen, in eine freche Respektlosigkeit, die aus dem Mysterium magHUM ein erbauliches Idyll macht. Aber die heilige Scheu verschließt nicht den Mund, und sie meint nicht, daß der Größe Gottes allein der schweigende Dienst angemessen sei. Vielmehr huldigen die Seraphim dem gleichen Gott, vor dem sie ihr Angesicht verhüllen, mit dem Lobgesang des Trishagion, das seit den ersten Zeiten der Christenheit auch für die irdische Gemeinde die klassische Form ihrer Anbetung ist. Dabei enthält der Lobgesang der himmlischen Scharen keinen Wunsch und keine Mahnung, sondern spricht nur das aus, was ist („Heilig, heilig, heilig i s t der Herr Zebaoth, alle Lande s i n d seiner Ehre voll”), und vermehrt freilich die „Ehre” des Hochgelobten durch diese huldigende Proklamation. So besingen die schon vollendete Gemeinde und die „vieltausendmal tausend” Engel und die den ganzen Kosmos repräsentierenden vier Wesen miteinander die Ehre des „Lammes”: „Du bist erwürget. Du hast uns Gott erkauft. Du hast uns zu Königen und Priestern gemacht; Du bist würdig, zu nehmen das Buch und aufzutun seine Siegel.” - „Das Lamm, das erwürget ist, ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob.” Die ständige Neigung der Kreatur, Gott die Ehre zu verweigern, die ihm gebührt, und lieber in Illusionen zu leben, als die Wirklichkeit anzuerkennen, gibt dieser indikativischen Aussage ihr unvergleichliches Gewicht, und die lobpreisende Anerkennung und Huldigung ist nicht nur das eigentliche Herzstück der Liturgie, sondern nicht minder der Lehre und die stets gegenwärtige Voraussetzung, ohne die alle caritas den Boden unter den Füßen und die treibende Kraft ihrer Bewegung verliert. Der göttliche Auftrag aber, den die Engel in dienendem Gehorsam vollziehen, ist der Dienst am Heil der Menschen. Sie sind von Gott gesandt zum Dienst um derer willen, die nach Gottes Willen die Seligkeit ererben sollen; und gerade an dieser entscheidenden Stelle (Hebr. l, 14) hat in der Benennung der Engel als der pneumata leitourgika die unauflösliche Einheit des Gott- und des Menschen-zugewandten Dienstes ihren deutlichen sprachlichen Ausdruck gefunden. Eigene Erfahrungen ebenso von den Gefährdungen, denen wir auf dem Weg des Heils ausgesetzt sind, wie von Schutz und Geleit der göttlichen Boten (deren helfende Näh«; wir bisweilen durch die bedrohliche Nähe der Dämonen hindurch zu spüren meinen), lassen uns mit besonderer Aufmerksamkeit auf das achten, was die biblischen Engelgeschichten im einzelnen über den Dienst der Engel erzählen, damit zugleich das Urbild des Dienstes aufrichtend, den wir im menschlichen Bereich an den Seelen unserer Brüder zu tun berufen sind. Nur drei Engelsgestalten werden in der Heiligen Schrift mit einem Namen bezeichnet: Michael, Gabriel und Raphael. Dabei interessiert uns ebensowenig wie der religionsgeschichtliche Ursprung der gesamten Engelsvorstellung die historische Herkunft dieser Namen, sondern zunächst die Tatsache selbst, daß auch Engel Namen haben. Der Name ist Ausdruck des besonderen und von anderen unterschiedenen Seins. Auch Engel haben Namen, weil der Dienst, zu dem sie Gott der Herr entsendet, zwar einer ist, nämlich der Vollzug seines Ratschlusses, aber in seiner Form verschieden, entsprechend der Mannigfaltigkeit der Charismata der Ämter, Dienste und Funktionen, die der Geist Gottes in der Gemeinde erweckt. Wenn es erlaubt ist, in dem Dienst der himmlischen Boten das Urbild des Dienstes zu erkennen, den wir im irdischen Raum einander zu leisten berufen sind, so erinnert die Gestalt des Engels Gabriel daran, daß wir in unserem menschlichen Dienst immer und vor allem Boten Gottes, nicht Abgsandte einer innerweltlichen Organisation sind, und daß wir als die von Gott Gesandten an der Schwelle eines Krankenzimmers oder an der Tür, hinter der hilflose Menschen mit ihrem Leben nicht fertig werden, uns auf den Auftrag besinnen sollten, den wir hier auszurichten haben. Dabei ist es eine für alle Seelsorge entscheidend wichtige Einsicht, daß wir im Grunde mit nichts anderem helfen können als dadurch, daß wir die Menschen unterrichten über das, was „im Gange ist”. In diesem Sinn ist der Satz richtig, daß auch Seelsorge nichts anderes sei als eine besondere Form der „Verkündigung”, unter der einen Voraussetzung freilich, daß die Lehre selbst als die Deutung und Unterweisung über die vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Taten Gottes verstanden wird. Auch dies, daß das Wort des Engels den Ratschluß, den er verkündigt, zugleich vollzieht, hat seine höchst praktische Bedeutung: Die Unterweisung über die Wahrheit ist niemals bloßes Referat, bloße „Mitteilung” (in dem entarteten Sinn einer bloßen Nachrichtenübermittlung), sondern sie ist Mitteilung, Austeilung der göttlichen Geheimnisse, und es g e s c h i e h t etwas - nicht „etwas”, sondern das schlechthin Entscheidende -, indem der Mensch unterwiesen wird über das, was im Gange ist. - In all diesem Dienst sind die Engel des freundlichen Geleites die geheimnisvollen Vollzugsorgane Gottes, der sein Volk durch die Wüste in das verheißene Land geleitet, sein Murren mit wunderbarer Speisung und Errettung zum Schweigen bringt, es in den Gefahren und Schrecknissen des Weges behütet (2. Mose 23, 20 f.); die Diener und Werkzeuge der heilenden Kräfte des himmlischen Arztes, zugleich die bildhafte Verkörperung des göttlichen Lebensodems, der tiefere Erkenntnisse uns einhaucht, als sie unserem grübelnden Verstand zugänglich wären, und der in unserem Herzen, wenn sich darin „kein Vermögen zu beten” mehr findet. Gebetsworte oder Gebetsseufzer erweckt, die mehr Kraft haben, zu dem Thron Gottes zu dringen, als die mühsamen Selbstgespräche unserer eigenen Gedanken. Erfahrungen dieser Art sind das tröstliche Gegenbild der dämonischen Verführung und Verwirrung, in der böse Geister uns anfallen wie wilde Tiere und uns nötigen, zu denken, was wir nicht denken wollen, und zu tun, was wir nicht tun wollen. Dabei gehört auch dieses zu dem unvergänglichen Wahrheitsgehalt der Tobias-Legende, daß der Geleitsmann nicht als „Engel” erkannt wird, sondern seinen Dienst als Helfer und Heiler in der Maske eines menschlichen „Gesellen” vollbringt, und es gilt also auch von jenen zufällig zu uns gestoßenen „treuen Begleitern”, was der Hebräerbrief (13,2) von der Gastfreundschaft sagt, daß etliche ohne ihr Wissen das freundliche Geleit der Engel erfahren haben. Aller wahren Diakonie wohnt etwas von jener „raphaelischen” Seite der göttlichen Wohltaten inne. Die Tatsache, daß es zumeist katholische Krankenhäuser sind, die sich unter den Namen St. Raphael gestellt haben, soll uns nicht abhalten, in der gesamten Krankenpflege die Geschichte von dem alten und dem jungen Tobias und dem unerkannten Geleitsmann ernsthaft zu bedenken. Immer bleibt es das schöne Recht und die hohe Verantwortung echter Diakonie, mehr zu wissen und tiefer zu denken, als es der hilfsbedürftige Mensch in seiner Ratlosigkeit vermag, ihn mit seinen leiblichen und seelischen Nöten besser zu verstehen, als er selbst sich versteht, die Gefahren zu spüren, in die er ahnungslos zu stürzen im Begriff ist, und mit dem Spürsinn der Liebe und des Gebets Wege zu finden, wo der Verstand und die Klugheit nur noch Hindernisse und verschlossene Türen sehen. Und auch diesen Zug der Raphaelslegende wird das gesamte Werk der Diakonie nicht ungestraft übersehen, daß der in Gottes Namen Dienende und Helfende in einem schönen Sinn anonym bleiben, ja sich hinter der Maske einer rein menschlichen Hilfsbereitschaft verbergen darf und, statt allen Rat und alle Hilfe alsbald mit religiöser Propaganda zu begleiten, erst zuletzt dem dankbar Fragenden den Auftrag sichtbar macht, der hinter den helfenden Wohltaten am Werk war. So hat die christliche Kunst Michael, häufiger als irgendwelche anderen einzelnen Engelsgestalten, dargestellt als den himmlischen Streiter, der seinen Speer in den aufgesperrten Rachen des Untiers stößt, der seinen Fuß auf den schon ohnmächtig gewordenen Feind setzt, während sein Angesicht, bar jeder kämpferischen Leidenschaft und jedes Hasses, in heiterer Gelassenheit mehr auf Gott als auf den Dämon gerichtet ist. - Im Buch Daniel (10, 13. 21; 12, l) erscheint Michael als einer der Engel, die die miteinander ringenden Völker vor dem Thron des Weltenrichters verkörpern und vertreten, und zwar als der Engel des Volkes, das in besonderer Weise berufen ist, kämpfend und leidend dem Heilsplan Gottes zu dienen. Die singuläre Stelle im Judas-Brief endlich, wo es von Michael heißt, daß er mit dem Teufel über dem Leichnam des Mose gestritten hat, zeigt gemäß einer spätjüdischen Vorstellung den Engel Michael als denjenigen unter den Engeln, der mit Tod und Gericht zu tun hat, und so zeigen ihn durch die Jahrhunderte hindurch ungezählte Darstellungen in Legende und Kunst: als den Geleitsmann, der die Seelen der Abgeschiedenen auf dem Todeswege begleitet, und als den Mann mit der strengen Waage des Gerichts, der als der Diener und Vollstrecker des ewigen Gerichts die Taten der Menschen wägt. Der militante Charakter der christlichen Existenz, der Tag für Tag uns verordnete Kampf mit dem Fürsten dieser Welt, die herrscherliche Vollmacht, mit der im Namen und Auftrag Christi das „Amt der Schlüssel” verwaltet wird, aber auch die öffentliche Verantwortung, gegenüber allen sich absolut setzenden innerweltlichen Mächten, die alleinige Souveränität Christi als des Königs aller Könige: Dieses alles gehört in diesen durch das Bild St. Michaels bezeichneten und beherrschten Bereich. Es läge nahe, die verschiedenen Funktionen der Engel, wie sie in den drei Namen Gabriel, Raphael und Michael vertreten sind, auf die drei Seiten alles kirchlichen Handelns zu beziehen, wie wir sie als Zeugnis, Liturgie und Dienst benannt haben. Doch trägt jede solche Scheidung und äußere Ordnung nicht nur die Gefahr eines willkürlichen und ausgedachten Schemas in sich, sondern mehr noch die Gefahr, daß wir nun wieder auseinanderreißen, was seinem Wesen nach immer nur in ungeteilter Ganzheit bestehen und gedeihen kann. Das gleiche würde gelten, wenn wir den ebenso naheliegenden Versuch wagen wollten, die drei Engelsgestalten oder andererseits die verschiedenen Seiten des irdischen Dienstes der Kirche auf das dreifache Amt Christi, sein prophetisches, sein priesterliches und sein königliches Amt zu beziehen. Es ist darum auch richtig, daß wir in den Gebeten der Kirche die Engel nicht mit Namen nennen, sondern das, was wir im gottesdienstlichen Handeln sagen, singen und vollziehen, immer ganz umfassend als ein Einstimmen in den Lobgesang (und ein Sich-Einfügen in den Dienst) der himmlischen Heerscharen verstehen und bezeichnen. Mit Erlaubnis des Verlages wird mein Beitrag zur Festschrift für Hellmuth Schreiner („Dienst unter dem Wort”, Gütersloh 1953) in verkürzter Form wiedergegeben. Quatember 1953, S. 207-213 |
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