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Gespräch zwischen den Konfessionen
von Michael Schmaus

LeerHochverehrter Herr Bischof!

LeerAls ich von dem Schriftleiter der Zeitschrift „Quatember” gebeten wurde, an der Ihnen durch die Zeitschrift zugedachten Ehrung teilzunehmen, sagte ich sogleich mit Freude zu. Unsere persönliche Bekanntschaft ist genau zwanzig Jahre alt. Als ich vor zwanzig Jahren über München von Prag nach Münster berufen wurde, fiel mir sogleich eine in Bayern und in der damaligen tschechoslovakischen Republik unbekannte Einrichtung auf: das Bestehen zweier theologischer Fakultäten an einer Universität, einer evangelischen und einer katholischen. Das führt naturgemäß zu wissenschaftlich-theologischen Gesprächen der in den benachbarten Fakultäten dozierenden theologischen Kollegen. Sie geben einander Probleme auf, indem sie Fragen aneinander stellen, die durch ihren persönlichen Charakter eine ganz andere Aktualität besitzen als bloße Buchfragen. So fördern sie sich gegenseitig in der theologisch-wissenschaftlichen Erkenntnis.

LeerDies alles bekam durch die Eigenart Münsters, wo die Universität das Antlitz der Stadt wesentlich mitprägte, das mehr aus dem Geiste als aus dem Fleische lebte, eine eigene Note von Intensität und Vertrautheit zugleich. Die gemeinsame Sorge um den Bestand des Christentums gab unseren Gesprächen einen ernsten Hintergrund und eine drängende Bewegtheit. Insbesondere gewannen wir eine unmittelbare Anschauung von dem Unheil der Glaubensspaltung. Die Führer des Dritten Reiches nahmen die Chance, die sich ihnen aus dem Zustand der Trennung innerhalb der christlichen Konfessionen bot, mit Eifer und Geschicklichkeit wahr.

LeerDie gemeinsame Gefahr brachte es mit sich - und zwar wesentlich mehr als die wissenschaftlich-theologische Unterhaltung - daß wir uns des gemeinsamen Glaubensbesitzes, des gemeinsamen Christusglaubens immer tiefer und beglückender bewußt wurden. Wir fühlten uns als Schicksalsgenossen im Christusglauben. Wie sehr die Herren des Dritten Reiches darauf bedacht waren, die Einigung der Kirchen zu verhindern, um sie einzeln treffen zu können, erfuhren wir unmittelbar, als uns im Laufe der Jahre gute Freunde darauf aufmerksam machten, daß unsere völlig friedlichen, der theologischen Erkenntnis dienenden Gespräche zuerst Mißbehagen, dann Ablehnung und zuletzt Drohung hervorriefen.

LeerDie Themen, um die es dabei ging, waren die wesentlichen Probleme des christlichen Glaubens und der christlichen Existenz. Es handelte sich, um einen Ausdruck Newmans zu gebrauchen, um das Problem der Verwirklichung. Daran hing Ihr Herz.

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LeerHierbei trat mir ein Unterschied, der mir bis dahin nur aus Buchwissen bekannt war, in unmittelbarer, lebendiger Gestalt entgegen. Es war der Unterschied von metaphysischer und heilsgeschichtlicher Betrachtungsweise. Wir haben bald erkannt, daß ein wesentlicher Grund unserer Glaubensunterschiede in diesen unterschiedlichen Sehweisen lag. Zugleich wurde uns bewußt, daß wir uns deshalb oft so schwer oder nicht verstanden, weil wir mit denselben Termini Verschiedenes meinten: Sie einen heilsgeschichtlichen Vorgang, ich einen metaphysischen Sachverhalt. Das gilt z. B. von dem Glauben an die Sündenvergebung. Natürlich handelte es sich hierbei nie um exklusive Aspekte. Als Theologe konnte ich natürlich die heilsgeschichtliche Schau nie übersehen. Sie beherrscht ja jede theologische Erkenntnis.

LeerAber das Metaphysische stellte sich für mich jeweils rasch ein, wie ich meinte, als Mittel theologischen Erkennens. Sie fürchteten jedoch immer, daß es die heilsgeschichtliche Sicht verdecke, daß also die Philosophie das Übergewicht bekomme über die Offenbarung. Wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie die Metaphysik in der Theologie ganz abgelehnt. In diesen Fragen haben wir es nie zu einer unio opiniarum gebracht. Denn ich konnte Ihnen nicht folgen. Aber es war für uns beide höchst aufschlußreich, an einen Punkt zu kommen, an dem sich die Überzeugungen gabelten.

LeerDer Geist dieser unserer münsterischen Gespräche lebte aus der Atmosphäre der Freundschaft und der Verantwortung zugleich. So sehr es uns um Friede und Einheit zu tun war, die Wahrheit ging uns über alles. Wir waren der Meinung, daß die Freundschaft nicht mit dem Preis der Wahrheit bezahlt werden dürfe. Wir glaubten, daß Liebe und Freundschaft nur in der Wahrheit gedeihen können. Es schien uns auch ein Unrecht gegen Gottes Wort und daher letztlich Schwachglaube oder Unglaube zu sein, wenn wir die Wahrheit vernachlässigten.

LeerAls wir uns nach dem Kriege in einem größeren Gesprächskreis evangelisch-lutherischer und katholischer Theologen wieder trafen, wurde hier das Prinzip von der Wahrheit in der Liebe weitergepflegt.

LeerWie sehr es ein Anliegen nicht bloß Ihrer persönlichen Eigenart, sondern Ihres verantwortungsbewußten Glaubens war, die Wahrheit in der Liebe zu suchen, zeigte sich gerade in der Konstituierung dieses soeben genannten Kreises. Sie sind bis zur Stunde auf evangelischer Seite der Leiter, während auf katholischer Seite Erzbischof Jäger von Paderborn das Protektorat hat.

LeerIch darf in diesen Erinnerungen nicht zu ausführlich werden. Aber einiges muß noch hervorgehoben werden. Zu Ihren Hauptsorgen gehört die Liturgie. In vielen Veröffentlichungen haben Sie hierzu Entscheidendes gesagt. Ein ganzer Kreis hat sich um Sie gebildet. Darüber brauche ich nichts zu sagen. Im katholischen Raum war man Ihren Bestrebungen gegenüber um so aufmerksamer, weil sie eine gewisse Parallele zu jenen Einsichten und Bemühungen darstellten, in welchen katholische Theologen, etwa Guardini, eine Wiedererweckung des liturgischen Geistes erstrebten. So konnten wir uns hier brüderlich die Hand reichen. Der gemeinsame Sinn für das Symbol und das Bild, geboren aus einer allgemeineren Bewegung, ließ uns viele Wege gemeinsam gehen. Auch den Blick für die Gefahren, welche eine überspitzt rationale Interpretation des Glaubenslebens in einer gewissen Abwertung des Liturgischen mit sich brachte, teilten wir.

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LeerDiese Gleichsinnigkeit war für mich verständlicherweise eine große Überraschung. Denn ich stellte mir Ihre Kirche sakramentenlos vor. Nun erfuhr ich von Ihnen, daß an manchen Stellen eine rückläufige Bewegung zum sakramentalen Zeichen eingesetzt hat. Sie erzählten mir u. a. daß auch die Beichte wieder gepflegt werde, und machten hierbei darauf aufmerksam, daß das Bußsakrament in Ihrer Kirche niemals förmlich abgeschafft worden, sondern nur praktisch außer Übung gekommen sei, daß aber noch im vorigen Jahrhundert Agenden mit einer „Beichtandacht” herausgegeben worden seien.

LeerDies alles sah nach einer gewissen Katholisierung des Protestantismus aus. Wenn ich mich nicht täusche, haben auch manche Ihrer Glaubensgenossen Ihre Tätigkeit so empfunden. Indes, wer genauer zusah, erkannte unschwer, daß davon keine Rede sein konnte. Ihnen kam es vielmehr darauf an, die zahlreichen und wesentlichen Verkürzungen Luthers rückgängig zu machen, welche im Laufe der Zeit eingetreten waren. Sie wollten den ganzen Luther und waren daher nach meiner Meinung mit Recht darüber aufgebracht, daß manche Katholiken Sie als den Ihren reklamieren zu können glaubten, und daß manche Ihrer Glaubensgenossen Sie als Fremdling empfanden. Es war der adäquate Ausdruck Ihrer Überzeugung, wenn Sie sich betont einen Lutheraner nannten, der über Luther, vor allem über den jüngeren Luther, Brücken zum Katholizismus gespannt sieht. Sie konnten sich auf diese Weise sogar katholisch nennen, jedoch mit deutlicher Ablehnung des „Römisch-Katholischen”. Nein, es braucht niemand zu hoffen oder zu fürchten, daß Sie römisch-katholisch werden. Aber wir reichen uns in der Sorge um die Liturgie die Hand.

LeerDaß Ihre liturgischen Bemühungen Sie nicht die Begegnung mit der Welt vergessen lassen, offenbart Ihr Buch über den Sinn des Leibes sowie das ganze umfassende, vielfältig zerstreute Werk Ihrer Predigt- und Meditationshilfen. Sie stellen alles Natürliche und Kreatürliche in den Dienst des Göttlichen und glauben an die Umgestaltung der Schöpfung durch den Schöpfergeist. Sie sind zu dieser Sicht nur imstande, weil Sie nicht zu glauben vermögen, daß die Welt ganz verteufelt ist. So konnten wir uns in vielen und entscheidenden Fragen fruchtbar unterhalten. Aber immer stießen wir an eine unübersteigliche Grenze. Sie hat fundamentale Bedeutung. Wir gelangten bei allen unseren Gesprächen stets zu der Frage einer authentischen Schriftinterpretation, d. h. zu der Frage nach dem Verhältnis des kirchlichen Lehramtes zu der Heiligen Schrift. Hierüber haben wir lange Gespräche geführt, konnten uns aber gegenseitig nicht überzeugen.

LeerDiese Glaubensüberzeugung wird auch noch für unabsehbare Zeit die Trennung aufrecht erhalten. Gott allein weiß, wie lange!

LeerSo spreche ich Ihnen, verehrter Herr Bischof, die herzlichsten Glückwünsche aus, in Trauer darüber, daß wir uns um der Wahrheit willen nicht als brüderliche Genossen eines Glaubens, aber in der Freude darüber, daß wir uns dennoch als brüderliche Freunde in Christus die Hand reichen können.

Ihr Michael Schmaus

Quatember 1953, S. 214-216

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-05
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