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Die Christusbruderschaft von Selbitz
von Georg Weiß

LeerSchwarzenbach a. d. Saale ist eine stark industrialisierte Kleinstadt von etwa 8000 Einwohnern am Nordrand des Fichtelgebirges. Wegen seines rauhen Klimas nennt man diesen nordöstlichen Winkel Oberfrankens das „bayerische Sibirien”. Auch die Wesensart und Mundart der Bewohner ist rauh Die Gegend ist altes evangelisches Land, ein Teil der einstigen Markgrafschaft Ansbach-Bayreuth, die schon in der Frühzeit der Reformation das lutherische Bekenntnis annahm. Während Mittelfranken - das Ansbacher Land - vor hundert Jahren durch Wilhelm Löhe eine geistliche Erweckung erfuhr, ist dem oberfränkischen Gebiet, dem Bayreuther Lande, eine solche versagt geblieben. Erst von 1906 bis 1912 und dann nach dem ersten Weltkrieg ist es teils durch die Gemeinschaftsbewegung und teils durch den CVJM auch dort oben geistlich lebendiger geworden und erst in jüngster Zeit ist dort ein Gebilde entstanden, das man vielleicht als eine oberfränkische Parallele zu Löhes mittelfränkischem Werk ansprechen darf, das jedenfalls selbst eine starke innere Verwandtschaft zu Löhe bei sich empfindet.

LeerIn Schwarzenbach ging es an. Das, was sich seit 1940 dort begab, nennt einer der Beteiligten „eine stille Erweckung”. Sie ging aus von dem Pfarrersehepaar Hümmer und erfaßte auch kleinere Kreise in den umliegenden Orten. Männer, Frauen und Jugendliche beiderlei Geschlechts wurden „zu einem klaren Bekenntnis zu Jesus Christus geführt”. Bemerkenswert ist, daß sich damit eine lebendige Erkenntnis der Kirche Jesu Christi verband; das unterscheidet diesen geistlichen Aufbruch von typisch pietistischen „Erweckungen”. Die Erweckten bekamen einen Blick für „die geistliche Wüste Nordoberfrankens” und für die volksmissionarischen und diakonischen Aufgaben, die ihnen dort erwuchsen, vor allem aber auch dafür, daß der „Dienst im Reiche Gottes” nicht nur aus martyria und diakonia bestehen darf. sondern auch Leiturgia einschließen muß.

LeerUrsprünglich hatten sie vor, sich in die schon vorhandenen Werke der Landeskirche einzureihen, aber mit der Zeit sahen sie sich nicht zuletzt auf Grund von „ganz persönlichen Führungen Einzelner”, genötigt, ein eigene Bruderschaft zu bilden, die sich Christusbruderschaft nennt. Sie wurde am 1. Januar 1949 im zweiten Pfarrhaus von Schwarzenbach gestiftet und gliedert sich in drei Teile: die Bruderschaft, die Schwesternschaft und die allgemeine Christusbruderschaft (die Tertiären) - anders ausgedrückt: den Kern bildet eine Gemeinschaf von zur Zeit 33 ledigen Schwestern und ebenfalls ledigen Brüdern. Diese beiden Kerngruppen sind zur sogenannten Dienstbruderschaft zusammengeschlossen. Der äußere Ring besteht zur Zeit aus 7 Brüdern und 36 Schwestern, die in ihrem Beruf bleiben und fast alle verheiratet oder verwitwet sind. Sie bilden gewissermaßen den Dritten Orden und tragen die Dienstbruderschaft finanziell und wirtschaftlich durch die Gabe des Zehnten. Noch im Jahre 1949 siedelte die Bruderschaft nach Selbitz in Oberfranken über, einem Ort von 5000 Einwohnern, im Frankenwald gelegen, von der Stätte der Stiftung etwa 25 Kilometer entfernt. An der Ordnung der Dienstbruderschaft fällt auf, daß keine Gelübde verlangt werden, daß die Brüder und Schwestern auf persönliches Eigentum verzichten und daß sie „gewillt sind, die Führung Gottes abzuwarten, ob sie nicht im ehelosen Stande bleiben sollen”.

Linie

LeerDie Tracht der Dienstbruderschaft ist der in den übrigen diakonischen Werken der Evangelischen Kirche ähnlich. Die Glieder der Tertiär-Geschwisterschaft sind bestrebt, so oft als möglich das Mutterhaus aufzusuchen. Sie werden außerdem ein- bis zweimal im Jahr zu einer gemeinsamen Freizeit zusammengerufen. Auch nach außen bekennen sie sich zur Bruderschaft durch das Tragen des einheitlichen Tertiärengewandes und der Nadel oder Brosche, welche die Zeichen ihrer Zugehörigkeit sind. Im übrigen fühlen sie sich ihrer Ortsgemeinde zugeordnet und verpflichtet und tragen dort nach Kräften zu ihrer Verlebendigung bei. Alleinstehende Tertiären dürfen das Mutterhaus als ihre Heimat betrachten und sich in allen Nöten, besonders im Alter, in ihm geborgen wissen Die enge Zusammengehörigkeit von Dienst- und Tertiärgeschwistern soll sich in Zukunft, d. h. wenn die etwa fünfjährige Ausbildung abgeschlossen ist, auch darin zeigen, daß die Dienstgeschwister möglichst nur in solchen Gemeinden als Krankenpflegerinnen, Pfarramtsgehilfen, Katecheten, Jugendarbeiter und Bibelstundenhalter eingesetzt werden sollen, in denen der Ortspfarrer innerlich zu den geistlichen Lebenslinien der Bruderschaft steht und sich grundsätzlich bereit hält, mit seiner Familie und dem Bruder oder der Schwester eine Lebensgemeinschaft zu bilden.

LeerDas gemeinsame Leben der Gesamtbruderschaft erhält sein Gepräge dadurch, daß der Anbetung und Fürbitte als täglichem, festgeordneten Dienst ein Teil der Zeit vorbehalten ist, daß gehorsames Hören auf das Wort, evangelische Beichte untereinander, die Heilige Taufe, „aus der sich durch Gottes Wirken die Wiedergeburt entfaltet”, und das Heilige Mahl, das der Bruderschaft „tiefstes Einssein mit Christus und engster Zusammenschluß untereinander” ist, als Gnadenmittel zur Erhaltung des von Gott geschenkten neuen Lebens erachtet und gebraucht werden. Obwohl die Christusbruderschaft sich von Anfang an als „ordensmäßige Vereinigung innerhalb der Evangelisch-lutherischen Kirche” versteht und dem Landesverband der Inneren Mission angeschlossen ist, hat ihre Entstehung und ihre Existenz begreiflicherweise allerlei Staub in der Landeskirche aufgewirbelt; „denn ein evangelischer Orden”, sagt Pfarrer Hümmer, „inmitten der lutherischen Kirche wirkt im ersten Augenblick wie der evangelische Orden inmitten der reformierten Kirche (Bruderschaft in Taizé-les-Cluny), wie ein unregelmäßiges Verbum oder Substantiv, bis offenbar geworden ist, daß beide doch zur evangelischen Konjugation oder Deklination mit dazugehören ... Der gleiche und gemeinsame Herr will Kirche und Bruderschaft beieinander haben und will in heiliger Zuordnung eines durch das andere segnen und sich darin verherrlichen. Das ist unsere tiefste Überzeugung.”

Quatember 1953, S. 231-232

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-17
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