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Gemeinschaft unter dem Kreuz
von Corona Bamberg

LeerHeilig Kreuz, die benediktinische Frauenabtei zu Herstelle an der Weser, ist, in den letzten Jahren zumal, ungewollt stärker in die Öffentlichkeit des kirchlichen Lebens eingetreten, als es der auf Stille und Zurückgezogenheit ausgerichteten Art eines Frauenklosters an sich gemäß ist. Nicht nur die Erzeugnisse der Hersteller Kunstwerkstätten - Schriftkarten und Wandsprüche, Paramente, Kreuze, Leuchter, Vasen und Kerzen in verschiedenartigstem Material (Holz, Metall, Glas und Keramik) - werden mehr und mehr bekannt und legen in der Sprache des Symbols ein Zeugnis davon ab, was diese Gemeinschaft leben will.

LeerAuch literarische Arbeiten wie das „Herrenjahr” von Aemiliana Löhr, das weiten Kreisen im In- und Ausland die Welt der Liturgie im Kreislauf des Kirchenjahres näherbringt, das „Paschabuch” der Abtei, das in einer Reihe von Aufsätzen und Übersetzungen die österliche Botschaft als die zentrale Wirklichkeit unseres Christseins dem Menschen von heute zu verkünden sucht, „Frau und Mysterium”, ein in der Reihe der Laacher Hefte erschienenes, bereits vergriffenes Bändchen, sowie eine Sammlung von Aufsätzen in den Jahresbriefen der Abtei, die den Freunden von Herstelle teilgeben wollen an der Tiefe und dem Reichtum des von Gott Geschenkten - dieses und anderes hat Herstelle zu einem Namen gemacht, der bisweilen aufhorchen läßt.

LeerUnd das besonders, seitdem P. Odo Casel, der Wiedererwecker altchristlichen Mysterienglaubens, durch sein einzigartiges Sterben in der Paschanacht 1948 dort in Herstelle ein Werk besiegeln durfte, für dessen Fruchtbarkeit das Leben der Abtei zeugt. Denn auf dem Fundament der Schrift- und Vätertheologie hat dieser große Mönch und Lehrer, Hand in Hand mit der ersten Äbtissin des Hauses, die Gemeinschaft von Heilig Kreuz vor rund drei Jahrzehnten aufzubauen begonnen und ihr in einem gesegneten Wirken die Quelle erschlossen, aus der sie immer schöpfen wird: das Mysterium des Altares.

LeerWer aber dann eines Tages den Weg findet zu dem stillen Weserkloster selbst, das grau und nicht sehr ansehnlich auf dem Burgberg von Herstelle liegt, abgeschlossen, ernst und fast ein wenig abweisend in der weichen, anmutigen Weserlandschaft, der ist möglicherweise ernüchtert oder auch überrascht. Begegnet er doch, zum erstenmal vielleicht in seinem Leben, einem katholischen Frauenkloster strenger Observanz, dessen Außenansicht für ihn in herbem Kontrast stehen mag zu allem, was ihm aus Kunst und Schrifttum der Abtei an Leben und - man darf das Wort wohl wagen - an Kulturfreudigkeit entgegenzukommen schien. Mauern und Gitter und die Atmosphäre weltabgewandten Schweigens werden aber den nicht beirren, der das Wesentliche sucht. Ein solcher wird vielmehr dorthin gehen, wo das Tiefste zu erwarten ist: er wird in die Kirche eintreten.

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LeerDa steht der Altar. Ein steinerner Tisch, überwölbt von einem mit Symbolen geschmückten Baldachin, darunter ein Reliquienschrein; an der Wand zwei Tonsockel mit verschlossenen Nischen für das heilige Brot und das heilige Buch. Das ist alles. Mehr ist nicht zu sehen, da der Chor der Frauen dem Blick des Besuchers verborgen bleibt. Wer aber dies Wenige zu sehen versteht, sieht dennoch alles. Hier quillt Leben - Leben, das von jenseits stammt, das sich zu kosten gibt, um niemals mehr zu entlassen: Gottes Leben. Nahezu 130 Menschen dienen heute als Glieder der Gemeinschaft von Heilig Kreuz diesem Altar. Hier finden sie sich jeden Tag zusammen und begehen das Gedächtnis des heilbringenden Herrentodes.

LeerSchlicht ist ihre Feier: die gregorianischen Gesänge, die in gehaltener Einstimmigkeit die Lesungen und Gebete des Priesters einleiten und auf sie antworten, die Darbringung der Gaben: Brot und Wein, die dem Priester überreicht werden, damit er sie zum Altar trage und an ihnen das heilige Geschehen vollziehe, das tiefe Schweigen auf der Höhe der Opferhandlung und das eucharistische Mahl. Aber in dieser schlichten Feier erfahren die Frauen von Heilig Kreuz das Ereignis ihres Tages. Was sonst sich begibt, ist unwichtig vor dem Geschehen dieser Stunde. Denn hier und jetzt, am Altar, kommt über sie das Kreuz ihres Herrn und wandelt die vielen um in ein Bild der Kirche. Und sie erkennen sich in Tod und Auferstehung als Leib des einen Christus.

LeerDaraus versuchen sie dann zu leben. Alles muß zur Darstellung dieses einen Christuslebens werden. Darum nennen sie ihr Leben ein „kreuztragendes Leben”. Der klösterliche Tag, den der geheiligte Rhythmus des ora et labora bis zur letzten Minute erfüllt, die Vielfalt der Aufgaben auf allen Gebieten, die Drangsal wirtschaftlicher Not, der bei dem reichen Nachwuchs immer spürbarer werdende Platzmangel, das menschliche Schwach- und Schwierigsein, Krankheit und Sterben - all das ist nur gleichsam der Rahmen, ist Gelegenheit für das Eigentliche: daß Christus Gestalt gewinne. Es ist die Last des Kreuzes, die an seiner Realität nicht zweifeln läßt. Aber gerade deshalb erscheint sie liebenswert. Denn das Kreuz ist die einzige Quelle des Christuslebens und damit auch einer Gemeinschaft, die ihren vornehmsten Sinn darin sieht, Christusleib, Ekklesia zu sein.

LeerDarum geht es den Frauen immer und überall. Ob sie in der Küche arbeiten oder auf dem Feld, in der Schusterei oder Bäckerei, im Garten oder auf der Bibliothek, am Stickrahmen oder am Schreibtisch, in der Sakristei oder im Atelier; ob sie einer kranken Schwester dienen oder selbst krank daliegen, ob sie versammelt sind zu Mahl und Gebet, zu Lesung und fröhlicher Erholung oder ob sie in einsamer Stille sich dem Gebet und der Meditation hingeben - nichts gibt es, was diesem Sinn entzogen wäre. Alles, was geschieht, ist hineingehoben in das Andere, das Christusleben, ist von einer heiligen Zeichenhaftigkeit, ist opus dei - Werk Gottes an uns und unsere Antwort auf dieses Werk im Dienst für Gott.

LeerDas soll nun nicht so verstanden werden, als ob auch im Menschlichen alles vollkommen vollbracht oder auch nur gewußt würde. Nicht umsonst leben die Frauen von Heilig Kreuz ein mönchisches Leben, ein Leben also, das seit je den Büßern und Sündern zugehörte. Aber - wie sehr sie auch von der eigenen Unzulänglichkeit überzeugt sein mögen - der Adel ihrer Gemeinschaft bleibt davon unberührt. Er ruht in Christus und seinem kreuzgeschenkten Leben.

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LeerDarum ist es auch nicht wichtig, was getan wird, ja nicht einmal letztlich entscheidend, wie gut und wie viel gebetet wird. Nicht eine Arbeits- oder auch eine bloße Gebetsgemeinschaft ist hier, nicht Leistung und Wollen bauen diese Gemeinschaft und bestimmen ihren Wert, sondern einzig und allein das Sein: das Sein in Christus. Gemeinschaft in diesem Sein - das ist die Gabe des Christuskreuzes, dem sich die Hersteller Gemeinschaft übereignet weiß.

LeerUnd nichts ist stärker als diese geradezu seinshafte Bindung. Um ihretwillen verzichtet man auf jeden Eigenbesitz und will alles gemeinsam haben. Man trägt das gleiche Gewand und bewohnt dasselbe Haus. Man läßt sich durch eine gleiche Ordnung und Regel verpflichten. Man weiß sich in der Christusliebe, der Agape, für einander verantwortlich. Man nennt sich Schwester und bleibt es über den Tod hinaus. Denn diese Bindung - wie könnte sie je gelöst werden, da ihr Band Christus ist?

LeerEs gibt eine Verpflichtung für jede, die sich dieser Gemeinschaft anschließen will, die sogenannte Profeß oder das monastische Gelöbnis, mit dem eine Weihe verbunden ist. Mitnichten erschöpft sich der Sinn dieser Handlungen im Juridischen; in ihnen kommt vielmehr die Eigenart der „ Gemeinschaft im Kreuz” zu gemäßem Ausdruck. Die drei benediktinischen Mönchsgelübde: der Beständigkeit in der Gemeinschaft (stabilitas), der Sittenbekehrung (conversio morum) und des Gehorsams (obedientia) binden den Menschen, der auch einmal wankend werden könnte im Verlauf eines langen und mühseligen Lebens, mit göttlichen Banden an das Kreuz.

LeerUnd also gebunden ist der Mensch nicht Sklave, sondern wahrhaft frei: frei von sich, frei für die ändern, frei vor allem für Gott. Damit aber wird er erst jener letzten Liebe fähig, die nicht aus Menschenkraft stammt und die ihre Besiegelung erfährt in der Jungfrauenweihe. Gerade der jungfräuliche Mensch, so glauben die Frauen von Heilig Kreuz und suchen es durch ihr Leben zu bezeugen, ist der Mensch, in dem das Christsein zu seiner ganzen Fülle gelangt, und gerade in solchen Gliedern kann auch die Gemeinschaft wirklich sein, was sie sein soll: Bild der jungfräulichen Ekklesia.

LeerDarin - in der Darstellung dieses Bildes - besteht die erste und eigentliche Aufgabe der Hersteller Gemeinschaft, darin ihr eigentlicher Auftrag. Daß diese Wesensaufgabe nicht jedes Wirken oder gar jede Wirkung „nach außen” verbietet, darauf haben wir schon hingewiesen, und es wäre noch manches hinzuzufügen, gerade auch, was das Gebiet religiöser Beeinflussung und Wegweisung angeht. Aber all das darf niemals von primärer Bedeutung sein. Es darf nur sein wie die Strahlen eines Lichtes, das im Dunkel angezündet ist, wie die Kraft, die von selbst ausströmt aus einem lebendigen Sein. Überall, wo „Kirche” ist, wird solche Kraft ausströmen, und je mehr eine Gemeinschaft Kirche ist, um so stärker, weil göttlicher wird diese Kraft strömen.

LeerAber eben deshalb wird das vornehmste „Tun” einer solchen Gemeinschaft immer wieder dies eine sein: Tag für Tag hinzutreten zur Quelle ihres Lebens - und das heißt für die Gemeinschaft von Heilig Kreuz: dorthin, wo sie aus dem Opfertod ihres Herrn die heilbringende Verwandlung erfährt bis in das letzte Glied. Der Altar, an dem sie Kirche wird, immer wieder und immer mehr, ist der Ort ihres eigentlichen Seins. Und darum vollbringt sie auch hier, wo sie in einem tiefsten Sinn „zu sich selber kommt”, das größte Werk ihrer Liebe für eine ganze Welt. Denn was bliebe für Menschen Größeres zu tun, als einzugehen in das, was Gott selbst der Welt als Größtes gab: in das Kreuz seines Sohnes.

Quatember 1953, S. 234-236

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-05
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