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von Wilhelm Stählin |
Gerhard Kunze hat in der von ihm herausgegebenen Monatsschrift für Pastoral-Theologie (Aprilheft 1953, S. 208) der 3. Auflage meines Buches „Vom Sinn des Leibes” eine ausführliche Besprechung gewidmet. Sie ist so geistreich und interessant wie immer, wenn Kunze ein solches „Gespräch mit Berneuchen” eröffnet, das kein Gespräch, sondern eine kleine literarische Fehde ist. Die zwei Punkte, an denen Kunze seine kritischen Bedenken gegen die Art anmeldet, wie ich in meinem Buch vom Leib gesprochen habe, sind schon wichtig genug, um auch die Aufmerksamkeit eines weiteren Kreises darauf zu lenken. Kunze nimmt Anstoß daran, daß ich die Gleichnishaftigkeit der Kreaturen nicht auf einer einzigen Ebene sehe, sondern behaupte, daß Gold oder Kristall in einem anderen Grad (und in einem anderen Sinn) „Gleichnis” seien als Kiesel oder Kohle, die Rose anders als der Schierling. Er meint, daß man „in einem gefährlichen Grenzgebiet” landen werde, wenn man „diesen ersten Schritt auf der Bahn zur Symbolistik” mitgehe. Ich freue mich, daß Kunze die Tragweite der hier bestehenden Differenz so deutlich erkennt, bei der es nach seinen eigenen Worten nicht um „Terminologie oder theoretische Begriffsbestimmungen, sondern um unmittelbar praktisch werdende Grundhaltungen” geht. „Vielleicht sind wir heute fähiger, der Tragik eines grundsätzlichen Geschiedenseins fester ins Auge zu schauen als vor zwei oder drei Jahrzehnten, als wir noch Schleier webten”. Ja, hier wird eine an die Wurzel gehende Verschiedenheit des Denkens sichtbar: Sind alle Erscheinungen der sichtbaren Welt, alle Blumen, alle Tiere, alle Gestalten im gleichen Sinn und im gleichen Maß „Gleichnis” für die unsichtbare und heilserfüllte Weh Gottes, oder bestehen hier Unterschiede, die nicht in einer willkürlichen Setzung, sondern in dem geschaffenen Wesen selber ihre Ursache haben? Könnte man beispielsweise die Tiergestalten, unter denen im Alten Testament die Geistesmächte, in der christlichen Symbolik dann die Evangelisten erscheinen, Stier und Löwe und Adler, auch durch andere Tiere wie - Verzeihung, aber ich muß schon deutlich werden - durch Schwein, Kaninchen oder Krähe ersetzen? Es ist schon richtig: hier verstehen wir einander zu gut, um nicht zu sagen: Ich halte das, was du sagst, für radikal falsch. Aber ich empfinde trotzdem nicht das Bedürfnis, von der „Tragik” eines „grundsätzlichen Geschiedenseins” („Geschiedenseins!”) zu sprechen. Das andere Bedenken scheint mir auf einer sehr anderen Ebene zu liegen, ob-schon Kunze beides in einen nicht ganz überzeugenden Zusammenhang rückt. „Was St. als Leib behandelt, ist der Leib der Körperkultur, des Tanzes, der rhythmischen und gymnastischen Systeme bis hin zu den anthroposophischen Sonderformen (von denen ich meines Wissens nicht gesprochen habe); es ist nicht der Leib des Sportes”. Das „nominalistische Gegenbild” (daß der Sport auf die Seite des Nominalismus gehört, ist mir überraschend, aber meinetwegen, falls die Sportler mit dieser philosophiegeschichtlichen Einordnung einverstanden sind!) „wird dann nicht so schön, fein, edel gezeichnet sein dürfen, weil es eben die Gegenseite darstellen muß: das Robuste, Derbe, ja Brutale, aber auch das Naive des Leibhaften.” Ich will nicht darüber streiten, ob in meinem Buch von der robusten Selbständigkeit, ja brutalen Eigenwilligkeit des Leibes nicht mit ausreichender Deutlichkeit geredet worden ist. Ich habe nur eine Frage an Kunze als einen der wenigen unter uns Theologen, der sich theologisch wirklich mit dem Sport beschäftigt hat, und diese Frage ist allerdings sehr ernst gemeint: Wenn es wahr ist, daß jede Betrachtung über den Sinn des Leibes sich an dem Verständnis des geschlechtlichen Lebens und der Ehe bewähren muß, gehört dann die körperliche Vereinigung von Mann und Frau mehr auf die Seite des Tanzes oder des Sportes? Vielleicht sollten aber in dieser Frage auch Frauen ihr Wort sagen dürfen. Wenn ich in diesem Brief einiges aussprechen darf, was mir am Herzen liegt, worüber ich gern mit einsichtigen Menschen reden würde, dann ist es vielleicht doch nicht ganz verkehrt, diese kleine Fehde, die keinen tragischen Verlauf zu nehmen braucht, in einer gewissen Öffentlichkeit zu führen. Denn wenn das Schulzimmer verdunkelt wird, dann dient das künstlich hergestellte Dunkel ja doch gerade dazu, daß bestimmte Bilder deutlich erkennbar sind, die im hellen Tageslicht zu blaß bleiben, als daß sie von unserem Auge richtig wahrgenommen werden könnten. Damit aber ist eine wesentliche Eigenschaft und Funktion des Dunkels beschrieben: Wenn wir nicht immer wieder in das Dunkel der Nacht einkehren dürften, würden wir das Licht des Tages bald nicht mehr ertragen; im Dunkel wachen Bilder auf, die sich an ein inneres Auge wenden und die von dem hellen Licht des Tages und erst recht von den künstlichen Lichtern, mit denen wir das Dunkel vertreiben, nur allzu leicht überblendet werden. Die Finsternis aber ist jeder Art von Bild und Sehen feind; in der Finsternis sehen wir höchstens Gespenster, die unsere Seele mit Trugbildern erschrecken; und es steht nach dem Wort des Evangeliums (Joh. 11, 9f) so, daß keine äußere Finsternis unsere Sehkraft so sehr herabsetzen, ja auslöschen kann, wie die Finsternis eines verfinsterten Herzens und Denkens. Ein verfinstertes Schulzimmer: Das wäre also eine Schulstube - es kann natürlich auch ein akademischer Hörsaal sein -, in der die Kraft und Fähigkeit, die Wahrheit zu sehen und zu erkennen, die Freude am Schauen und Betrachten künstlich gehemmt und geschädigt wird, daß schließlich nur noch die Begriffsgespenster übrigbleiben, die sich wie ein trüber Schleier zwischen den blindgewordenen Menschen und die Wirklichkeit schieben. Ob es wirklich nur verdunkelte und nicht auch verfinsterte Schulzimmer gibt, das freilich wäre eine Frage, die man nicht mit Kindern besprechen könnte, um so mehr aber mit Erwachsenen erwägen müßte. „Beton hat etwas Unterirdisches. Noch im vierten Stock lebt man wie im Keller. Ich hasse dieses Material und ich frage mich oft, ob man in Beton wirklich bauen und nicht bloß konstruieren kann. Der Eisenbeton hat technische Möglichkeiten geöffnet, die jenen zündenden Widerstand ausschließen, mit dem die harte Eindeutigkeit des Materials den Gedanken herausfordert. Die Weiten, die man heute überspannen hat, sind enorm. Aber sind es gestaltete, nicht nur errechnete Räume, die so zustande kommen? Beton ist das ideale Material eines Masse-Zeitalters, dessen Bauten immer fort von Zerstörungen bedroht sind. Erstaunlich ist nur, in welchem Umfang das Gefühl für die Hierarchie des Materials verloren gegangen ist. Natürlich ist in der Welt chemischer Formeln Marmor nicht edler als Beton, und dennoch lebt in mir ein Rest, der sich empört, wenn man eine Kirche aus Beton baut. Übrigens ist diese Empörung ziemlich abstrakt, denn ich gehe ja nicht in die Kirche. Ich glaube nur deutlich zu sehen, daß Beton außerhalb ihres Wesens liegt. Dieses Material ist nur für architektonische Eingeweide geeignet. Wenn es hervortritt, wird es gemein, und als Ruine gleicht es Schrott.” Aber vielleicht passieren auch auf dieser Autobahn erhebliche Verkehrsunfälle, vielleicht weil das Model! des Autos (lies „Glaube”) den veränderten Verkehrsverhältnissen nicht angepaßt ist. Aber es gehört zu den unzweifelhaften Vorteilen der Autobahn, daß man zwar überholen und überholt werden kann, aber niemandem begegnet; natürlich ja, es pressiert ja auch niemand, auf dem umgekehrten Weg vom Himmel zur Erde (oder zur Hölle) schnell voranzukommen. Man sieht, man kann einen guten Vergleich in der nützlichsten Weise ausspinnen. Quatember 1953, S. 248-251 |
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