Startseite
Inhalt
Inhalt 1954
Jahrgänge
Autoren
Suchen


Erinnerung an Ludwig Heitmann
(Nach einem Menschenalter V)
von Rudolf Spieker

LeerIn den Jahren nach dem ersten Weltkrieg sammelte sich in Köln ein Kreis von evangelischen Theologen, der umgetrieben war von der Frage nach dem Auftrag der Kirche nach dem Zusammenbruch. In diesen Kreis traf Heitmanns Buch „Großstadt und Religion” als ein Wort, in dem sich alle Glieder dieses Kreises fanden, von den Vertretern der historischkritischen Theologie bis hin zu leidenschaftlichen Vorkämpfern des religiösen Sozialismus. Hier war ein Durchbruch durch erstarrte Fronten geschehen, hier war ein Vorstoß in kirchliches Neuland gewagt. So sehr auch über den letzten Teil dieses Werkes, der sich mit der Verkündigung in der Großstadt befaßt, die Meinungen auseinandergingen, so blieb doch die Dankbarkeit aller, daß in diesem Buch mit prophetischer Leidenschaft von dem Anspruch des Evangeliums an die Welt und an die Kirche geredet wurde. Es wurde offenbar, daß die Kirche in den Schmelztiegel geworfen war und geprüft wurde auf ihre Substanz.

LeerAls ich 1925 zu einer Gastpredigt nach Hamburg kam, gab mir Heitmann auf den Heimweg das Manuskript einer kleinen Schrift mit, welche mir als eine echte Weiterführung der Gedanken jenes Erstlingswerkes erschien: „Vom Werden der neuen Gemeinde”. Hier wurde sichtbar, daß von der Verkündigung der Kirche unabtrennbar sei die Gestalt, die sich in der Hinwendung auf das Objektive und im Formwillen der neuen Gemeinde manifestiert. Inzwischen war Ludwig Heitmann zu jenem Kreis von Männern gestoßen, welche sich in Angern und Berneuchen gefunden hatten und von dem Aufbruch der Jugendbewegung her einen Weg zur Kirche zu bahnen suchten.

LeerEs gehört zum Besonderen der in Berneuchen angefangenen Sache, daß an der Spitze der Veröffentlichungen eine Dreiheit von Namen stand. Darin kam zum Ausdruck, daß der Ausgangspunkt der Berneuchener Bewegung in jenem Gespräch lag, in welchem einer auf den ändern hörte und vieles zuvor gemeinsam bedacht und erarbeitet wurde, ehe es hinausging. Gerade Heitmann hat im weiteren Verlauf der Arbeit immer wieder an dieses Gespräch am „runden Tisch” erinnert, er sah in ihm die Überwindung der hoffnungslosen theologischen Diskussion. Auch wenn er von Anfang an zu diesem gemeinsamen Werk seinen sehr charakteristischen Beitrag geleistet hat und der Kundige an manchen Stellen der gemeinsamen Veröffentlichungen seine Feder erkennt, so ist doch dieser Beitrag so sehr in das gemeinsame Werk eingegangen, daß er daraus nicht mehr herausgelöst werden kann. Sein Beitrag als Theologe ist nicht gering. Er hat sich als theologischer Mahner bewährt, wo etwa allzukühne Spekulation oder Gestaltungsfreude das Einfache und Wesentliche zu verdunkeln drohte. Er war - nicht immer erfolgreich - darum bemüht, daß die Erneuerung des Kultus nicht isoliert werde vom Erziehungswerk und der sozialen Verwirklichung.

LeerDie Aufzeigung des theologischen Beitrags von Ludwig Heitmann ist im Rahmen dieses Gedenkwortes nicht möglich. Hier soll nur auf drei Kennzeichen hingewiesen werden, welche für diesen Beitrag charakteristisch sind: die Landschaft, das Luthertum und der Humor!

LeerMit Ludwig Heitmann kam innerhalb Berneuchens der norddeutsche Mensch zu Wort. Das zeigt sich in der Nüchternheit seiner Schau, in seinem Wirklichkeitssinn, in der Bildhaftigkeit seiner Sprache. Die Auswahl der Bilder, durch welche er die ewige Wahrheit vor uns hinstellte, war landschaftlich bestimmt. Wenn er das Bild des Hirten zeichnete, so öffnete er uns den Blick in die Weite der Heide, der seine Vorfahren entstammten. Der Strandhafer, der den Sand der Düne bindet und festigt, wurde ihm zum Gleichnis für das Wirken der Gemeinde in der Großstadt, der Leuchtturm zum Bild der Kirche, welche in ihrer Verkündigung das Licht ewiger Wahrheit über eine ganze Weltzeit auszusenden hat. Der Leuchtturmwärter auf einsamer Insel, welcher aus Mitleid in dunklen Wintertagen in die Hütten der Fischer von dem Ölvorrat ausgibt, der hinlangen sollte, bis die Insel eisfrei wird, verletzt gröblich seine Pflicht und bringt zahllose Schiffe in Gefahr. Viele Betrachtungen und Untersuchungen widmete Heitmann dem Gleichnisdenken der Bibel und arbeitete heraus, daß am echten Gleichnis die ewige Wahrheit in einer Form aufleuchtet, welche der rationalen Erfassung nicht zugänglich ist.

Linie

LeerAls Vertreter des niederdeutschen Luthertums brachte Heitmann innerhalb Berneuchens bestimmte Anliegen zur Geltung, welche für die reformierten Brüder aus der Schweiz ebenso beachtenswert waren wie für die Gesamtkirche. Gegenüber jeder konfessionellen Enge und Erstarrung wies er auf die lebendigen Grundkräfte hin und zeigte gewisse Grundgesetze auf, welche für das Luthertum kennzeichnend sind. Unter ihnen nannte er das „Gesetz der Reduktion”: die Rücklenkung von der verwirrenden Fülle kirchlicher Vorschriften zur Einfalt der Kindeshaltung vor Gott; das „Gesetz der Ordnung”, welche von der Leben-spendenden Mitte ausstrahlt; die „Energie der Lage”, kraft deren die Kirche wirksam wird allein dadurch, daß sie da ist und aus den Kräften unerschöpflicher Gnade gespeist wird.

LeerDas scheint wichtiger, als daß die Vertreter der Kirche in Vielgeschäftigkeit sich mühen um Ausbreitung und Gewinnung der Massen. „Die schlichte Selbstverständlichkeit und Glaubensgewißheit, mit der sich eine kleine - nicht etwa besonders aktive oder „heilige” - Schar hörender und betender Menschen von der Welt ab und dem Altar zuwendet, ist das der Lutherkirche gegebene Zeichen, daß Gott in der Welt ist.” Vor allem lag Heitmann daran, den Artikel „von der Rechtfertigung aus dem Glauben” aus der Verengung zu befreien, in welche er durch seine Beschränkung auf die Sündenvergebung geraten war, das „schöpferische Wort Gottes über den Menschen” hörbar und den Ausblick auf die Auferstehung von den Toten und den Anbruch der Neuen Schöpfung wieder sichtbar zu machen.

LeerSchließlich sei auf eine besondere Gabe hingewiesen, die Heitmann zu eigen war: der Humor. Sein Humor war verhalten, hintergründig, aber oft überwältigend. Es offenbarte sich darin die Überlegenheit des Glaubens über die Unzulänglichkeit der Welt. „Wer in der Rechtfertigung aus dem Glauben lebt, muß Humor haben, sonst nimmt er seinen Glauben nicht ernst und durchschaut die Welt nicht in ihrem wahren Zustand.” Wenn Gespräche oder auch Reden, die er anhören mußte, in allzugroße Untiefen gerieten, wenn eine Lage irgendwie hoffnungslos verfahren schien, pflegte Heitmann wie ein Kater zu miauen, weil ihm jede weitere Äußerung zwecklos schien. „Das ist esl Die richtige Begleitmusik zu den verfahrenen Dingen der Welt muß man kennen. Es ist kein Zweifel: zu vielen Dingen und Situationen ist die Katzenmusik die allein sachgemäße und wahrhaft befreiende Begleitung. Wer dem Teufel nicht zur rechten Zeit eine Katzenmusik zu bringen vermag, ist ihm nicht gewachsen.”

LeerLudwig Heitmann. der uns seit 1932 zu Freizeiten nach Rendsburg und Ratzeburg gerufen und uns zuerst die Baugestalt des Ratzeburger Doms erschlossen hat, hat das Verdienst, dem Anliegen Berneuchens im niederdeutschen Raum die Bahn gebrochen zu haben. In seiner Person, seiner Glaubenshaltung und seiner kirchlichen Arbeit in der Großstadt hat er etwas von dem dargestellt und verwirklicht, was uns als Anfang einer Erneuerung der Kirche aus dem Glauben vorschwebt. „Durch den Glauben redet er noch, wiewohl er gestorben ist.”

Quatember 1954, S. 27-28

[Ludwig Heitmann † 2.7.1953 Wikipedia]

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-18
Haftungsausschluss
TOP