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von Herbert Goltzen |
Eine holsteinische Kirchengemeinde hat die Absicht, ihren Altarraum neu zu gestalten. Ein unpassendes Altargemälde soll verschwinden. Ein altes Triumphkreuz soll wieder an eine geeignete Stelle kommen. Dabei hat es über die Stellung des Altars eine Meinungsverschiedenheit gegeben. Ein Bildhauer wollte den jetzt freistehenden Altar an die Rückwand des Altarraumes rücken und das Kreuz an die Wand darüber hängen. Da aber der Chorraum mit je zwei Seitenfenstern eine erhebliche Tiefe hat und infolge der unter ihm liegenden Herzogsgruft neun Treppenstufen hoch liegt, wäre der Altar zu weit von der Gemeinde abgerückt worden. Der Ortspfarrer erbat Rat. Diese Anfrage gab Anlaß zu einer Besinnung über die rechte Stellung des Altars.
Es ist dringend davon abzuraten, den Altar an die Rückwand des Chorraums zu kleben. Das Raumgefüge würde dadurch empfindlich gestört werden. Der Chorraum selbst, ob mit oder ohne Apsis, ist ein eigener Raumkörper. Er ist zwar nach Westen, wo er mit dem übrigen Kirchenraum verbunden ist, geöffnet und geht in das Querschiff oder gleich in das gestreckte Längsschiff der Kirche über. Man denke sich aber einmal seine Begrenzung nach Westen durchgezogen wie seine Ostmauern, die ihn nach außen hin abgrenzen. Dann erscheint der Chorraum als ein eigener Zentralbau, der an den längs gerichteten Raum des Langhauses angefügt ist. Dieser gedachte Zentralbau hat seine Raummitte im Altar. Das Kirchenschiff weist über sich hinaus, in die jenseits seiner Grenze liegende Welt, die durch den Aufstieg in den Chorraum dargestellt wird. Seine Richtung geht vom Abend zum Morgen. Der Chorraum dagegen mit der Altarmitte weist von unten nach oben: vom Altar steigt das Lobopfer des Gebetes aufwärts. Darum muß der Altar in der Mitte bleiben.
Ebenso wird durch diese Mittelstellung des Altars dargetan, daß das Volk Gottes, die Familie Gottes sich um den Tisch des Vaterhauses sammelt. Die Stellung des Liturgen in der Urkirche war hinter dem Altar, zu seinen Seiten das Presbyterium, westlich davor stand die Schola (der Sängerchor) und das Volk. So war wirklich alles um den Tisch des Opfermahles geschart. Noch in den altkirchlichen eucharistischen Gebeten kommt diese Verbundenheit der Gemeinde in der Tischgemeinschaft zum Ausdruck: „Gedenke, Herr, Deiner Diener und Dienerinnen und aller Umstehenden, deren Glauben und Hingabe Du kennst... die Dir dies Lobopfer bringen.” Daß diese „Circumstantes” dazugehören und nicht bloß von fern zusehen dürfen, wird durch diese Stellung des Altars in der Raummitte des Chorraums deutlich. Erst im Mittelalter wird das Sakrament aus einem Gemeinschaftsmahl, bei dem alle mithandeln, zu einem im Dämmer der Ferne verschwindenden Schau- und Anbetungsgegenstand. Der „Fronleichnam” wird in der „Monstranz” zum Schauen und Anbeten „ausgesetzt”, aber das gemeinsame priesterliche Handeln und der Empfang des Sakraments sinkt ab. Im Mittelalter hat man nur noch ganz selten kommuniziert, aus der Scheu vor der Hostie; wie auch damals aus Angst vor dem Fluch, den ein Verschütten des heiligen Blutes nach sich ziehen könnte, das Volk vor dem Trinken des Kelches zurückschreckt und auf die Kommunion unter beiderlei Gestalt lieber verzichtet. Darum versteht man dann auch nicht mehr die symbolische Mittelstellung des Altars und rückt ihn in die Ferne, trennt ihn vom Volk. Der Lettner entsteht, der wie die Bilderwand in der Ostkirche den Altar dem Blick des Volkes überhaupt entzieht. Oder hinter dem Altar wird durch ein Retabel, eine Rückwand mit gemalten oder geschnitzten Darstellungen, ein künstlicher Abschluß geschaffen. Dadurch wird es unmöglich, daß der Liturg noch als Leiter der Tischgemeinschaft hinter dem Altar steht; der Blick über den Tischaltar hinaus wird abgefangen und der Liturg muß nun vor dem Altar stehen. Das Retabel wird dann so groß ausgestaltet, daß es den eigentlichen Altar erdrückt und nicht mehr erkennen läßt, daß der Altar selbst der Tisch, oder der heilige Berg, oder das Grab und der Grenzstein nach drüben ist. Als „Altar” empfindet man dann - und so empfinden die meisten heute noch - diese kunstvollen Aufbauten, Bilder und Schnitzwerke - und der eigentliche Altar, der Tisch, die mensa, wird nur noch als Sockel für diese Bildwerke empfunden. Man behandelt den Altar dann auch dementsprechend: er ist Blumentisch, Kerzenbank, Buchablage; er ist oft so vollgestellt, daß es schwer wird, darauf das Eigentliche zu handeln, die Geräte des heiligen Mahles richtig und weiträumig aufzustellen. Man muß einmal in der alten Michaelskirche in Fulda die Messe miterleben: der Altar steht dort wieder in der Mitte des kleinen Rundbaus, unter der Kuppel, und rings um Altar und Liturgen steht die hörende und empfangende Gemeinde. Die Benediktiner in Maria Laach, in Herstelle und Sankt Maria in Fulda haben es ebenfalls gewagt, den Altar freizustellen und von allem Beiwerk zu entlasten, hinter ihm steht der Liturg, und über ihm hängt von oben, von einem Baldachin herab, das Kreuz. Wenn sie so die urchristliche Form und Stellung des Altars erneuert haben, so haben sie damit eine reformatorische Tat gewagt, eine Abkehr von scholastischen Sakramentstheorien und von Auswüchsen des Fronleichnamskultus vollzogen. Auch die Evangelische Michaelsbruderschaft hatte in der Kapelle in Assenheim diese Stellung des Altars verwirklicht, die der deutlichste Ausdruck des urchristlichen und evangelischen Gemeindegedankens ist: das Priestertum aller Gläubigen stellt sich darin dar, daß der „Amtspriester”, der Vorbeter und Repräsentant der Gemeinde, zusammen mit dem priesterlichen Volk der Gläubigen die Anamnesis, das heilswirkende „Gedächtnis” des Opfertodes des Herrn begeht, um Seinen Tisch mit ihnen vereint. Diese Mensa bietet freien Raum: nur die heiligen Geräte finden Platz auf diesem Tisch, die Brot und Wein bergen und darin Leib und Blut des Herrn. Auf diese Gestalt des Herrn selbst, der seinerseits „Abglanz der göttlichen Glorie und Ebenbild des Wesens des Vaters ist” (Hebr. 1, 3), soll der Blick gerichtet sein und nicht auf die sekundären „Abbildungen”, die an ändern Stellen des Raums wohl ihren helfenden Dienst tun können, an Wänden und Fenstern, aber nicht auf dem Altar selbst. Die Leuchter können dann neben dem Altar stehen, auch Blumen in hohen Krügen zu den Seiten, aber die Mensa bleibt frei. Man muß Sakramentsfeiern an solchen Altären miterlebt haben, um zu erfahren, wie hilfreich diese Befreiung des Mysteriums und seiner räumlichen Stätte wirkt, wie verkündigungsstark diese Darbietung des Altarsakraments spricht. Es wäre aber ein Schildbürgerstreich, jetzt, wo wir den Verkündigungsausdruck des Altars wieder sehen lernen, einen in einem alten Chorraum stehenden Altar an die Wand zu versetzen und damit einen Raum zu verschandeln, in dem noch echtes liturgisches Handeln nach evangelischem Verständnis möglich ist. Es würde sich nebenbei auch zeigen, daß mit einem solchen unsachgemäßen Eingriff die Akustik und Optik des Kirchenraumes zerstört würde. Es würde ein unverhältnismäßig großer leerer Raum zwischen die Gemeinde und den an der Chorwand klebenden Altar gelegt. Der Liturg würde in einer nun wirklich „klerikalen” Isolierung dort vorne agieren, fast unsichtbar und für die Gemeinde unverständlich. Gewiß ist die Akustik und Optik nicht Selbstzweck. Aber dem Gehorsam gegen die Wesensgesetze der Liturgie und damit gegen das Baugesetz des Kirchenraums wird die „Vernehmbarkeit” dazugegeben - und umgekehrt würde sich zeigen, daß das vom Evangelium und vom liturgischen Vollzug her Falsche auch architektonisch, technisch, akustisch und optisch verkehrt und unpraktisch ist. Der Raum der Kirche ist nicht nur ein Wetterschutz für eine Versammlung, eine Unterkunft, sondern er dient selbst in seiner Richtung, Ordnung und Fügung dem, was in ihm geborgen ist: dem Mysterium der Gegenwart des Herrn. Er führt hin in seiner Öffnung zum Altarraum zu dem, dessen großer Tag anbrechen wird, im „Morgenglanz der Ewigkeit”. Der Chorraum selbst aber hat seine Mitte in dem steingefügten Altar, hier senkt sich das geopferte Leben des Herrn in den geheimnisvollen Gaben und Pfändern Seiner Gegenwart zu uns herab, und Er ist mitten unter uns. Von dieser Stätte aus steigen die Lobopfer unseres Dankes empor, und wir sehen über dem irdischen Raum „den Himmel offen”. „Ich wasche meine Hände in Unschuld und ich umwandle Deinen Altar, o Herr” (Ps. 26, 6) - „Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ihr Nest, da sie Junge hecken: Deine Altäre, Herr Zebaoth, mein König und mein Gott!” (Ps. 84,4). Quatember 1954, S. 32-35 |
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