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Gotteswissenschaft und Gottesdienst
von Albrecht Peters

Leer„Theologie und Liturgie, eine Gesamtschau der gegenwärtigen Forschung in Einzeldarstellungen”, so lautet der Titel eines umfangreichen Werkes (354 Seiten), das uns der Johannes Stauda-Verlag vor nun schon fast zwei Jahren bescherte. Nach Kriegsende wünschte man in Japan zu erfahren, was sich seit 1938 in der deutschen theologischen Forschung getan hat, vor allem fragte man nach dem Alten und Neuen Testament und seiner Auslegung. Man erhielt zur Antwort ein Werk, in dem der Beitrag Karl Ferdinand Müllers über „Die Neuordnung des Gottesdienstes in Theologie und Kirche” zwei Fünftel des Gesamtumfanges ausmacht. Schon das allein ist bezeichnend für die Wandlung, die sich in den letzten Jahrzehnten vollzog.

LeerRecht bald schwirrt dem Leser der Kopf vor der Fülle der genannten Namen und Buchtitel, der behandelten Gebiete. Jeder Forscher scheint einsam für sich allein seinen Weg gegangen zu sein in den äußeren und inneren Nöten des Krieges und der ersten Nachkriegs-jahre. Wie soll da eine „Gesamtschau” herauskommen? Aber je weiter man liest, desto zwingender drängt sich die Erkenntnis auf: alle kämpfen - bewußt oder unbewußt - an einer großen Front, an der Überwindung der liberalen Theologie. Alle suchen das Zentrum der Schrift, sie möchten es nicht nur denkend erfassen, sondern aus ihm heraus das neue Leben der Kirche gestalten.

LeerFür das Alte Testament zeigt uns Gerhard von Rad, wie in den großen systematischen Zusammenfassungen die alte idealistische Schau noch nachwirkt, man möchte die „Gedankenwelt” Israels, die „Anschauungen, Gedanken und Begriffe” des Alten Testamentes festhalten. In unermüdlicher Kleinarbeit sind fast alle Forscher auf den verschiedensten Wegen, dem literarkritischen, dem form- und traditionsgeschichtlichen, zu der Erkenntnis vorgestoßen: das Alte Testament ist zuerst und vor allem ein Geschichtsbuch, ja ein „System mehrerer Geschichtswerke”. Israel versucht das wiederholte Eingreifen Gottes in sein Leben zu verstehen und zu deuten, dabei wird es immer von neuem hineingeführt in das Dunkel. „In diesem fast regelmäßigen Scheitern seiner Gedanken über Gott wurde Israel das Köstlichste geschenkt, weil ihm darin Er, der Herr der Geschichte selbst, in bestürzender Personhaftigkeit begegnet ist.” Eine alttestamentliche Theologie müßte diesen geheimnisumwitterten Weg des Gottesvolkes nachzeichnen und zeigen, wie die einzelnen Glaubenszeugnisse uns eine Wegstrecke erhellen auf diesem Wandern durch die Nacht.

LeerNicht viel anders ist es beim Neuen Testament. Die liberale Leben-Jesu-Forschung ist überwunden, und doch wirken die auflösenden Kräfte noch nach. So zerlegt die formgeschichtliche Analyse die Evangelien in jüdische Überlieferungen, allgemein-antike Motive, Gemeindebildungen u. a. Der historische Jesus von Nazareth verflüchtigt sich zwar nicht mehr in einen Mythos, von ihm bleiben aber nur einige wenige prophetische Worte, alles andere fällt der „Kritik” zum Opfer. Die Theologie des Paulus löst sich auf in ein Wörterbuch, dessen Begriffe nach der Heideggerschen Existenzanalyse zusammengefügt werden; so ergibt sich die Bultmannsche Theologie des Neuen Testamentes. Ethelbert Stauffer zeigt nun auf, wie sich von den neuen Funden und Forschungen her eine „Kritik der Kritik” anbahnt und die oft recht leichtfertig verworfene Tradition der alten Kirche wieder zu Ehren kommt. Er hat - ähnlich wie von Rad für das Alte Testament - erkannt, daß eine neutestamentliche Theologie die heilsgeschichtlichen Daten und ihre Deutung durch den Herrn und seine Jünger enthalten müßte; aber eine echte Überwindung Bultmanns gelingt ihm nicht, hier zieht er sich auf die Formeln Luthers zurück.

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LeerEin ähnliches Bild bieten die Lutherforschung, die praktische Theologie und die Missionswissenschaft. Überall ist man bemüht, sich zu lösen von den liberalen und nationalen Ideen und Hoffnungen und zurückzukehren zur Christusbotschaft. Sah die erste Auflage des Lutherbuches von Gerhard Ritter in Luther vor allem das Symbol des ewigen Deutschen, so ist er nun zum Prediger der radikalen Glaubensparadoxie geworden. Hatten die Missionswissenschaftler noch 1938 die Bedeutung des Volkstums für die Mission hervorgehoben, so lernten sie nun die heilige Kirche aus allen Völkern und Zungen erkennen, die als das neue Gottesvolk unlöslich gekettet ist an das alte Bundesvolk, an das Israel nach dem Fleisch. Die Predigt bindet sich immer stärker an den Text, ihn will sie auslegen; im Kirchenkampf entdeckt die Kirche die Katechetik neu als ihre Aufgabe. Es wäre noch auf vieles hinzuweisen, Hanns Lilje nennt in dem Schlußwort über die „Wege der Verkündigung” die Kirchentage, evangelische Akademien und Studentengemeinden: überall ein Aufbruch zu Christus. Aber überall sind wir noch auf dem Wege; die abschließenden Arbeiten, die gleichsam die Ernte einbringen sollen, fehlen noch auf fast allen Gebieten. Bezeichnend ist, daß der Bericht über die systematische Theologie, über den Bereich, in dem diese zusammenfassende und abschließende Arbeit vor allem getan werden sollte, fehlt. Geschieht diese Zusammenfassung nicht im Lebenswerk Karl Barths?, so möchte jemand fragen. Aber auch „hier ist der Spruch wahr: Dieser sät, der andere schneidet” (Job. 4, 37). Karl Barth wollte schon die Garben schneiden und sie einfahren, als kaum die ersten Ähren zu reifen begannen; ihr Ausreifen ist noch nicht beendet.

LeerDas zeigt Karl Ferdinand Müller in seinem ausführlichen Referat über „Die Neuordnung des Gottesdienstes in Theologie und Kirche”. Viele verschiedene Flüsse: Berneuchen und die Michaelsbruderschaft - Alpirsbach - die evangelisch-ökumenische Vereinigung des Augsburgischen Bekenntnisses - die Singbewegung - die Laienspielbewegung - die liturgischen Erfahrungen der Gemeinden im Kirchenkampf, das alles vereinigt sich zu einem großen Strom. Zugleich aber ringen die Theologen um ein tieferes Verstehen des Gottesdienstes. Karl Ferdinand Müller konfrontiert Karl Barth und Wilhelm Stählin. Von den christologischen Aussagen ausgehend, zeigt er, wie beide um das „Problem von Form und Inhalt, von Gestalt und Gehalt” ringen. Es geht um die Spannung der Formel von Chalzedon: in Christus ist Gott und Mensch vereint, „ungeteilt und unvermischt”. Karl Barth dringt auf das „unvermischt”, die Form soll ihren Zeichencharakter behalten; Wilhelm Stählin dringt auf die unzertrennliche Einheit des Zeichens mit dem Bezeichneten; er sucht das „ungeteilt” näher zu bestimmen durch Luthers Abendmahlsformel „in, mit und unter”. Zwischen beide stellt Müller einen dritten Typ, er nennt Hans Asmussen und Peter Brunner; sie nehmen beider Anliegen auf und werden „einer genuin lutherischen Lehre vom Gottesdienst am gerechtesten”. So heben sich drei Typen heraus: der reformierte, wie ihn Alpirsbach darstellt, der lutherische, wie ihn uns jetzt die „Agende für die evangelisch-lutherischen Kirchen und Gemeinden” zeigt, und der ökumenische, den wir aus der Messe der Michaelsbruderschaft kennen.

LeerAuch hier gelingt es vorerst noch nicht, den ganzen Reichtum der liturgischen Bewegung einzufangen in die Ordnung der verfaßten Kirche. Aber eines erfüllt den besinnlichen Leser dieses umfassenden Forschungsberichtes mit dankbarer Freude. Die liturgische Bewegung ist die erste unter den vielen kirchlichen und theologischen Erneuerungsbewegungen, die - wenn auch vielleicht hier und da noch verfrüht - den Ertrag der Arbeit auf einem weiten Gebiet der Theologie in die Scheuern fahren kann. Der Aufsatz von Karl Ferdinand Müller ist ja nur eine Vorarbeit zu dem umfassenden „Handbuch des evangelischen Gottesdienstes”, zur „Leiturgia”. Ein besonderer Dank gebührt darum auch dem Verlag, der wagemutig den Weg dieser Bewegung aus ihren bescheidenen Anfängen heraus begleitet hat, dem wir es nicht zuletzt zu danken haben, daß die liturgische Arbeit der evangelischen Kirche in Deutschland so weit vorgetrieben werden konnte.

Quatember 1954, S. 97-98

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-02
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