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von Lothar Schreyer

BlutkruzifixusLeerKaum scheint ein schauervolleres Bild möglich als diese Kreuzigung Christi. Nichts als eine ungeheuere blutende Wunde ist dieser Leib des Herrn am Kreuz. Und diese große Wunde ist ein furchtbar sprudelnder Quell. Riesige Tropfen Blut strömen von seinen Händen, von seinen Füßen, aus seiner Seite, von seinem Haupte, aus dem ganzen Körper. Die ganze menschliche Natur des Gottmenschen ist fast nur noch ein Zeichen vergießenden Blutes, ist zugleich das Zeichen des Kreuzes, an dem und durch das hier das vollkommene Opfer dargebracht wird. Das Kreuz ist gleichsam der Wegweiser, an dem der zerbrochene blutende Leib die Verkündigung des Weges ist, den in Vollkommenheit nur dieser eine gehen kann, der Gottmensch. Niedergesunken am Kreuz sind die beiden Menschen, der Abt und die Nonne. Sie umarmen zart und hingebend den Fuß des Kreuzes und die blutenden Füße des Herrn. Das Blut Christi rinnt in dunklen Bächen zwischen den beiden Menschen auf die Erde. Das dunkle Blutrot des Gekreuzigten und der strömenden Wunden überschüttet aber mit dem Blutregen nicht die beiden frommen knieenden Gestalten. Was da am Kreuz geschieht, das ist das große einsame und alleinige Opfer des Gottmenschen. Dieses verehren in anbetender Liebe die beiden Menschen. Sie scheinen das Kreuz des Leidensopfers durch ihre Liebe zu stützen, und wenn sie auch ganz in Betrachtung und Liebesgebärde versunken sind, so scheinen sie das Zeichen des großen Leidensopfers zugleich emporzuheben und uns zu zeigen.

LeerDiese Bildverkündigung ist ein Werk der erschütternden Christusminne zur Zeit der Spätgotik und steht ganz unter dem Einfluß der Leidensminne, wie sie etwa schon mit der Mystik des heiligen Bernhard von Clairvaux begann. Der Abt in der Zisterziensertracht mit dem Abtstab am Fuß des Kreuzes ist wohl der heilige Bernhard selbst. Diese Mystik, die man gern „subjektiv” nennt, lebt gleichwohl aus der objektiven Glaubenslehre und ihrer Verkündigung. Sie betont nur das Opfer der menschlichen Natur des Gottmenschen mehr als den Glanz seiner göttlichen Natur. Daher wird an einer solchen Bildverkündigung besonders deutlich, daß die christliche Schönheit fern ist jeder nur-ästhetischen Schönheit oder einer illusionistischen Naturnachahmung. Sie strebt im Gegensatz dazu zu dem höchstmöglichen Ausdruck des Inhaltes; und wenn der Inhalt so grauenvoll ist wie das Leiden der Kreuzigung, so gibt sie das vollkommenste Bild des Furchtbaren - das ist Schönheit im theologischen Sinne. Denn dieses Furchtbare ist das tiefste Zeugnis der Opferliebe. Der Gottmensch opfert sich bis zum letzten Blutstropfen am Kreuz. Der Opfernde vergießt sich leibhaftig, und die anbetenden Menschen verehren liebend diese Liebe.

Quatember 1954, S. 118

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-02
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