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Fronfasten - Frieden und Gericht
von Udo Schulze

LeerDie Quatember sind ursprünglich eine römische Einrichtung. Leo der Große (440-461) bezeugt, daß der römische Bischof Callixtus I. (um 220) sie eingeführt habe. Sie waren zunächst nur als Fasttage gedacht und wurden dreimal im Jahre gefeiert: zu Pfingsten, im September und im Dezember. Die Quatembertage im September gehen dabei vielleicht auf das jüdische Fasten am großen Versöhnungstage zurück. Erst später kamen die Fastenquatember im März dazu. Sie wurden eingefügt, damit die Vierzahl erfüllt werde, und wurden in eine Zeit gelegt, in welcher sowieso schon gefastet wurde. Auch die anderen Quatembertage gehen wahrscheinlich auf alte Fastenbräuche zurück. Nach Pfingsten wurde das wöchentliche Fasten am Mittwoch und Freitag wieder aufgenommen, das in der österlichen Freudenzeit unterblieben war. Ein Dezemberfasten war wohl schon Vorbereitung für die Ordinationen, die in Rom regelmäßig um diese Zeit stattfanden. Herbstfasten bezeugt für Rom schon Tertullian (um 200). Ähnliche Jahresfasten wurden auch in anderen Gegenden begangen. Das Halten der Quatembertage war sehr streng. Besonders am Sonnabend enthielt man sich des ganzen Tages der Nahrung, um das Altarsakrament, das an diesem Tage erst in der Nacht zum Sonntag gereicht wurde, nüchtern zu empfangen. Auch an den anderen Quatembertagen fand die Messe erst am Abend statt, so daß auch an ihnen den Tag über gefastet wurde.

LeerEs war ein altchristlicher Gedanke, Fasten mit Almosengeben zu verbinden (Matth. 6), besonders das als Almosen zu verwenden, was man sich durch das Fasten erspart hatte. So wurden aus den Quatember-Fasttagen zugleich Almosentage. Aber aus den freiwilligen Gaben wurden bald die pflichtgemäßen Zehnten, die Kirchensteuern, die an den Quatembertagen abgeliefert wurden.

LeerDie Fastenzeit soll eine Zeit des Friedens und der Versöhnung sein. So sagt Maximus von Turin: „Recht fastet, wer des Bruders Unrecht versöhnt und aus sanftmütigem Herzen vergibt.” Wer durch Fasten und Buße Gott um Verzeihung anfleht, der soll auch den zweiten Teil der fünften Bitte des Vaterunsers erfüllen.

LeerMit den Jahresfasten verbanden sich alte Erntefeste, die im vorchristlichen Rom die Hauptfeste gewesen waren. Sie wurden gefeiert nach Einbringung der Weizenernte (Juni-Juli), der Weinlese (September) und der Olivenlese (Dezember). Zur Zeit Leos des Großen fand das christliche Haupterntefest an den Quatembertagen des Dezember statt. Die Bewohner Roms hatten die Trauben- und Olivenlese größtenteils auf dem Lande miterlebt und waren Ende November in die Stadt zurückgekehrt. Die Ernteeindrücke waren also im Dezember noch frisch. Pfingst- und Herbstquatember sind wohl erst später (im 6. Jahrhundert) mit den alten Erntefeiern verbunden worden. Die Fastenquatember haben überhaupt keine Beziehung zur Ernte.

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LeerEine Erntefeier deutet immer auf eine voraufgegangene Arbeit hin, die nun zum Abschluß gekommen ist und von der man sich jetzt ausruht. So sind die Quatembertage Zeiten der Ruhe, das heißt Grundlage zur inneren Einkehr und Erneuerung; denn in der Ruhe spricht Gott zum Menschen. Ein äußeres Zeichen dieser stillen Bereitung ist das Fasten.

LeerEs wurde schon gesagt, daß man an den Quatembertagen die Einbringung der Ernte von Weizen, Wein und Oliven feierte. Diese drei Nahrungsmittel sind bestimmend für Leben und Kultur des ganzen Mittelmeergebietes. Auch für die Kirche sind gerade diese drei Früchte immer bedeutsam gewesen und sind es auch heute noch.

LeerBrot ist unsere Hauptnahrung und zugleich Symbol für das Brot des ewigen Lebens, es ist Träger des Leibes Christi im heiligen Altarsakrament. „In der Gestalt des Brotes wird Gott lebendige Nahrung für uns Menschen” (Guardini).

LeerWein ist Trunk der Freude. „In der Gestalt des Weines gibt Christus uns sein göttliches Blut” (Guardini). So sollen die Quatember zu Pfingsten und im Herbst hinweisen auf das heilige Abendmahl, in dem der Herr sich selbst uns gibt. Damit hängt wohl auch zusammen, daß im Mittelalter Kirchgang und Kommunion sämtlicher Gemeindeglieder an den Quatembertagen üblich war. In einigen abgeschlossenen Alpentälern soll diese Sitte heute noch bestehen.

LeerÖl ist Salbe zur Stärkung für den Kampf (Psalm 22, 5), ist Heilmittel bei Krankheit (Luk. 10, 34; Jak. 5, 14). Im Gleichnis von den zehn Jungfrauen (Matth. 25) spielt das Öl eine große Rolle. Die Kirche hat es schon früh bei ihren Handlungen gebraucht: bei Taufe, Konfirmation, Krankenölung und Ordination. Es ist Symbol für die Gnadengabe, die der Heilige Geist verleiht. Damit hängt wohl auch zusammen, daß die Quatembertage, vor allem die im Dezember zu Ordinationstagen wurden.

LeerDie Ordinationen fanden am Quatembersamstag statt. Dieser Tag erfüllte ja auch alle Voraussetzungen, welche die Alte Kirche für diese Handlung verlangte. Er war Fast- und Bußtag, an dem sich Ordinand und Gemeinde vorbereiten konnten. Man hielt es für notwendig, daß an der Ordinationsfeier die Gemeinde sehr zahlreich teilnahm; das war am Quatembersamstag der Fall. Außerdem ordinierte die Alte Kirche gern in einem nächtlichen Gottesdienst. Diesen hatte sie gerade hier, wie wir noch sehen werden. Dazu kam, daß in Rom die Ordinationen schon früh im Dezember stattfanden. Was lag also näher, als den Quatembersamstag der Adventszeit zum Ordinationstag zu machen? Unter Papst Gelasius (um 500) wurde dieser Brauch auf alle vier Quatember ausgedehnt, da infolge der Völkerwanderung viele Priester umgekommen waren und man sehr schnell Nachwuchs brauchte. Es hatte nämlich vorher die Ordnung bestanden, daß ein angehender Pfarrer erst die Priesterweihe empfangen dürfe, nachdem er ein Jahr zuvor die Diakonenweihe empfangen habe. Durch die Neuerung des Gelasius wurde diese Zeitspanne auf ein Jahr verkürzt, das heißt die Kandidaten wurden schneller fertig und konnten die entstandenen Lücken wieder auffüllen.

LeerIm 7. Jahrhundert wurden die Quatemberordinationen zum strengen Gesetz für die gesamte abendländische Kirche; aber im Laufe des Mittelalters wurde es immer mehr gelockert, bis es schließlich ganz aufgehoben wurde. In der anglikanischen Kirche jedoch gelten die Sonntage nach den Quatembern noch heute als Ordinationstage.

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LeerAuch im weltlichen Leben blieben die Quatember nicht ohne Einfluß. Im frühen Mittelalter war es allgemein üblich, teilweise sogar gesetzlich festgelegt, daß an ihnen kein gerichtlicher Akt, keine Fehde und kein Krieg sein sollten. Doch im hohen Mittelalter wurden sie dann besonders in Deutschland verbreitete Gerichtszeiten. Das lag daran, daß die Quatember ungefähr mit den germanischen Thingzeiten zusammenfielen; das waren alte Gerichtszeiten zur Zeit der Sonnenwende. Dazu kam der germanische Rechtsgrundsatz, daß man nüchtern zum Gericht gehen solle. So verband sich die kirchliche Friedens- und Fastenzeit mit den germanischen Bräuchen. Es entstanden die quatemberlichen Friedensgerichte und Landtage. Die Einhaltung des Landfriedens wurde an den Quatembern weiterhin streng überwacht.

LeerAus den Tagen für kirchliche Abgaben wurden bürgerliche Zins- und Steuertermine und Tage für Gehaltszahlungen. Außerdem hielten an ihnen im späteren Mittelalter alle möglichen Vereinigungen wie Zünfte und Bruderschaften ihre Tagungen und Wahlen ab. Ans Tagen der Stille wurden Zeiten der Unruhe und Betriebsamkeit, obwohl der äußere Frieden streng eingehalten wurde.

LeerIn der evangelischen Kirche haben sich aus den Quatembertagen die Büß- und Bettage entwickelt. In der Reformationszeit selbst waren sie stellenweise Zeiten, in denen Katechismuspredigten gehalten werden sollten. So schreibt z. B. eine Kalenberger Kirchenordnung: „hinfüro sollen alle Pfarrer und Prediger in den Städten alle Quatember 14 Tage nacheinander den Katechismus für sich nehmen . . . desgleichen sollen auch auf vermeldete Quatember die Pfarrer auf den Dörfern sich befleißigen, so viel Zeit und Ort erleiden mögen, den Katechismus auf das Allerfleißigste zu erklären.” Ähnliche Bestimmungen haben viele andere Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts.

LeerIn Preußen bestanden noch bis 1773 vier Bußtage jährlich. Schweden hat noch heute vier Bettage, deren Termine jedoch wechseln.

LeerDie Quatember haben in den verschiedenen Mundarten und Zeiten verschiedene Namen gehabt. Sie hießen Fronfasten und Fraufasten, Weich- oder Weihefasten und Goldfasten. Von dem letzteren Namen kommt der des goldenen Sonntags. Die auf die Quatembertage folgenden Sonntage hießen nach dem Goldfasten sämtlich goldene Sonntage. Man sprach also früher von vier goldenen Sonntagen in der Advents- und Fastenzeit, nach Pfingsten und im September. Wir kennen die Bezeichnung heute nur noch für den goldenen Sonntag im Advent. Erst ein späteres Mißverständnis hat als Analogie die Bezeichnungen vom „kupfernen” und „silbernen” Sonntag erfunden.

LeerNach diesem historischen Überblick einige liturgische Besonderheiten: charakteristisch war früher, wie bereits erwähnt, ein ausgedehnter nächtlicher Lesegottesdienst, der in der Nacht vom Quatembersamstag zum darauffolgenden Sonntag gefeiert wurde. Solche Nachtgottesdienste hielt die Alte Kirche regelmäßig, besonders in Verfolgungszeiten. Später blieben sie dann nur noch an den Hauptfesten und an den Quatembersamstagen bestehen, bis sie schließlich auch hier auf den Vortag verlegt wurden. Bezeichnend für diese Gottesdienste sind zwölf lange Lesungen (das Evangelium nicht eingerechnet). Zwölf Lesungen kennt auch jetzt noch das Brevier im nächtlichen Stundengebet, in der Matutin. Auch die Homilie in unserer Osternachtfeier ist nichts anderes als eine Zusammenfassung der zwölf Osternachts-Prophetien.

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LeerDa ein solcher Gottesdienst sehr lange dauerte, hat man schon bald die Lesungen an den Quatembersamstagen gekürzt und auf sechs beschränkt. Zwischen den beiden letzten singt man dabei regelmäßig den Gesang der drei Männer im Feuerofen. Dieser Hymnus galt den ersten Christen als Bild für Martyrium, Auferstehung und Verklärung und hatte neben den Psalmen schon früh eine liturgische Bedeutung. Im Mittelalter wurde er dramatisch aufgeführt, indem drei Priester oder Knaben ihn im Wechsel sangen.

LeerIn der Messe des Quatembermittwochs werden regelmäßig drei Abschnitte gelesen. Dies ist ein Überbleibsel aus einer Zeit, in der in jedem Gottesdienst drei Lesungen stattfanden: Prophetie, Epistel und Evangelium.

LeerDie Gebete der Quatembertage werden eingeleitet mit den Worten „Lasset uns die Kniee beugen”. Diese Formel fehlt sonst, weil am Sonntag, dem Auferstehungstage, nicht gekniet werden durfte. Sie fehlt auch an den Quatembertagen der Pfingstwoche, die noch in die Osterzeit fallen, in der ebenfalls nicht gekniet wurde. Wir kennen diese Aufforderung in unserer Liturgie noch in der Karfreitagslitanei.

LeerDie Quatembertage des Dezember sind mit ihren Lesungen wohl der Kern der Adventszeit. Besonders der Mittwoch, die feria ad angelum (Wochentag bei den Engeln), deutet darauf hin. Das Evangelium dieses Tages ist die Ankündigung der Geburt Jesu aus Lukas 1. Im Mittelalter stellte man es szenisch dar. Aber nicht nur der Mittwoch, sondern die letzte vollständige Woche vor Weihnachten überhaupt war der Verehrung Marias gewidmet. Es gab sogar Bestrebungen, das Fest Maria Verkündigung vom 25. März in diese Woche zu legen, damit es nicht in die Passionszeit falle.

LeerWas können die Quatembertage heute noch bedeuten?

LeerSie zeigen den Rhythmus für das religiöse Leben. Nach einer Zeit der Arbeit brauchen wir eine Zeit der Stille, der Ruhe und der Sammlung, wie auch Gott selbst geruht hat, nachdem er die Schöpfung vollendet hatte. So wollen die Quatembertage wegrufen vom geschäftigen Marthadienst zum beschaulichen Mariendienst, wo wir ganz offen sind für das, was Gott uns sagen will. Aber die Quatembertage wollen auch über dieses Leben hinausweisen. Die eingebrachte Ernte ist Sinnbild für die große Ernte am Jüngsten Tage. Dann wird die Zeit der Hast und Unruhe endgültig vorbei sein. Auch das Fasten ist nicht ein Verzicht, sondern es soll frei machen für das, was Gott uns geben will.

Quatember 1954, S. 125-127

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-02
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