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Drei Kirchen und Vier Zeiten
von Erich Müller-Gangloff

LeerEs bedarf fast der Entschuldigung, zum mindesten aber der Begründung, wenn in den Hauptaufsätzen dieses Johannesheftes das Thema des Osterheftes in abgewandelter Form wiederkehrt, wenn wir noch einmal, was wir dort im Blick auf das Fest der Auferstehung vom Gründonnerstag, Karfreitag und Samstag her taten, von den drei großen „Kirchen” oder Konfessionen der einen Christenheit sprechen. Dieses Nacheinander beruht weder auf Mangel an Phantasie noch auf langfristiger Vorplanung, sondern geht auf einen beinahe zufälligen Anstoß zurück: Die Behandlung des „Falles Baumann” im Weihnachtsheft hatte bei vielen Lesern den Wunsch wachgerufen, über die Frage des petrinischen Primats Genaueres zu erfahren. Da lag es nahe, zugleich nach der paulinischen und der johanneischen Komponente des christlichen Glaubens zu fragen, zumal gerade jüngst der „Petriner” Otto Karrer in seinem Buch über die Petrusfrage und die Einheit der Christen die Hoffnung auf ein fruchtbares Gespräch zwischen Petrus, Paulus und Johannes ausgesprochen hat.

LeerDas scheint uns in diesem Jahr 1954 zur Begründung zu genügen. Denn dies ist nicht nur das Jahr der zweiten Ökumenischen Weltkonferenz nach der von Amsterdam im Jahre 1948, es ist auch das Gedenkjahr an das West-Ost-Schisma von 1054. Man kann, wie wir meinen, nicht im Ernst von ökumenischer Christenheit sprechen, wenn man allein an eine Einigung protestantischer Denominationen denkt und die Vielzahl der römisch-petrinischen und der griechisch- und russisch-johanneischen Brüder abschreibt oder vergißt. Schon um der vollen Ökumene willen dürfen wir nicht müde werden, immer erneut nach den beiden anderen großen Konfessionen der Christenheit zu fragen.

LeerDas soll aber nicht heißen, daß wir die Dreiheit dieser Konfessionen im Sinne einer Analogia Trinitatis verstanden wissen wollten. Obwohl sich der Gedanke fast aufdrängt, die drei Kirchen als die des ersten, des zweiten und des dritten Glaubensartikels voneinander zu unterscheiden, möchten wir doch meinen, die Dreifaltigkeit habe nichts mit dem Schisma zu tun. Auch lassen sich die petrinische, die paulinische und die johanneische Komponente keineswegs so säuberlich voneinander trennen, wie es die retrospektive Sicht nahelegt.

LeerWir aber halten es mit Eugen Rosenstock und meinen, daß uns als den Glaubenden die Vierzahl zugeordnet sei. Wenn wir die Evangelien betrachten, so gibt es nicht nur ein johanneisches für die Griechen, ein petrinisches (Markus) für die Römer und ein paulinisches (Lukas) für die Heiden insgesamt, sondern dazu als viertes oder vielmehr erstes das insbesondere für die Juden bestimmte des Matthäus. Und der heilige Irenäus, Enkelschüler des Johannes Evangelista, vertrat die Meinung, es könne nur vier Evangelien geben, wie es vier Winde, vier Weltgegenden und vier Antlitze des Cherubin gebe. Unsere Leser werden sich erinnern, wie ernst Rosenstock in seinen Reflexionen über Trinitas und Quatember diese Vätermeinung nahm und wie er von daher unser Recht begründete, diese Zeitschrift im bewußten Gegenüber und im Angesicht der göttlichen Trinität nach den quatuor tempora des Jahrs der Kirche zu benennen.

LeerAngesichts der Vierzahl der Evangelien drängt sich aber noch ein anderer Gedanke auf, der vielleicht in diesem Johannisheft erwähnt zu werden verdient. Man könnte auch das von Matthäus speziell für die Juden geschriebene Evangelium ein johanneisches nennen, nämlich im Blick auf den anderen Johannes, dessen Fest wir am Johannestag begehen. Wie Johannes Baptista, der letzte Prophet, bei Matthias Grünewald als Vertreter des alten Bundes mit unter dem Kreuz Christi steht, so wendet sich Matthäus an das alte Gottesvolk, um es samt Griechen, Römern und sonstigen Heiden der Gemeinde Jesu Christi zuzuführen.

LeerSo hätte in diesem Heft, um es thematisch ganz abzurunden, wohl auch von der Judenheit und dem Judenchristentum - gleichsam als von einer vierten oder vielmehr ersten Konfession - gesprochen werden müssen. Es hätte dann auch mit viel besserem Recht, wie wir zum Schluß nicht anstehen zu bekennen, den Namen eines Johannishefts verdient.

Quatember 1954, S. 192

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-02
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