|
von Eva-Brigitte Aschenheim |
Im Osterbrief des Quatember erwähnt Bischof Stählin in seinem „Brief” die Anfrage einer sorgenden Mutter über das viele Testen. Für den Nichtfachmann muß diese „Testerei” in der Tat unheimlich wirken, wenn der jeweilige Untersucher es unterläßt, den Eltern ein erklärendes und vertrauenschaffendes Wort zu sagen. „Test” kommt von testimonium: Zeugnis, Beweis, Vollmacht; das dazugehörige Verb hat etwas mit „bezeugen” zu tun, meint also eine lebendige Stellungnahme; darüber hinaus kann es auch „zeugen” bedeuten und hat dann den Sinn des Lebenschaffens. Dieser vielschichtig in die Tiefe reichende Begriff weist dem Test, der ihn als Namen für sich in Anspruch nimmt, schon terminologisch, einen Platz mit hoher Verantwortung zu. Wer kann und darf die Verantwortung zum Umgang mit einem Test übelnehmen? Im allgemeinen der Psychologe. Die Berufsbezeichnung Psychologe steht bis heute leider noch nicht unter gesetzlichem Schutz; es gibt - wie in jedem Beruf - Scharlatane, die sich mit wenig Ahnung vom Fach „beratende” Psychologen o. ä. nennen. Es scheint mir wichtig, hier festzustellen und breiteren Kreisen bekannt zu machen, daß der wirklich ausgebildete Fachmann sich „Diplom-Psychologe” nennt und im allgemeinen Mitglied des „Berufsverbandes Deutscher Psychologen” (BDP) ist, oder er ist ausgebildeter Psychotherapeut (legt dann aber meist wenig Wert auf die ausgebaute Testpsychologie). Besorgte Eltern haben, wenn sie auf diese Berufsbezeichnung achten, also etwa die Garantie, die sie bei der körperlichen Untersuchung ihres Kindes durch einen approbierten Arzt haben. Hier wie dort entscheidet darüber hinaus aber natürlich die Persönlichkeit des Untersuchers. Der verantwortungsvolle Psychologe wird die Testergebnisse sehr vorsichtig und behutsam auswerten und sich immer bewußt sein, daß er mit einem Test nicht alles über einen Menschen erfährt, und daß er wahre Resultate nur bekommt, wenn er mit dein vollen Einverständnis des Untersuchten „getestet” hat. Das Testmaterial wird außerdem seit einiger Zeit durch einen zentralen Testverlag nur noch an wirklich ausgebildete Fachleute verkauft, eben um dem Unfug, der mit diesen Untersuchungsverfahren teilweise getrieben wurde, zu steuern. Nach dieser Vorbemerkung können wir uns die Fragen stellen: Was ist ein „Test”? Was kann er leisten? Wo liegen seine Grenzen? Der psychologische Test ist ein Prüfexperiment, das ursprünglich entwickelt wurde, um den Grad der vorhandenen Intelligenz festzustellen. Sehr bald erkannte man, daß auch die Intelligenz- und Begabungsrichtung sowie spezielle Einzelbegabungen auf diese Weise zu erfassen sind. Wir haben heute eine Fülle Untersuchungsmethoden, die uns wesentliche Hinweise auf die Psychologie des Kindes geben und es uns gestatten, es weit besser zu verstehen, als dies früher häufig der Fall war. Damit können wir dem Kind in seinen Schwierigkeiten besser gerecht werden, und manche falsche Beurteilung und Bestrafung, die früher zerstörend auf die kindliche Seele wirkte, kann vermieden werden. Dies gilt auch für die gerade in der Reifezeit schwer faßbaren grundlegenden Züge der gesamtseelischen Eigenart. Aber auch der tiefgreifende Test kann immer nur zeigen, wie die innere Situation eines Menschen gegenwärtig ist und welche Möglichkeiten der künftigen Entwicklung gegeben sind; der Test sagt nicht aus, durch welche Entwicklung hindurch der Mensch so geworden ist, wie er ist, warum bestimmte Möglichkeiten nicht zur Entfaltung kamen, und er sagt nicht aus, welche der zur Zeit noch plastisch vorhandenen Ansätze tatsächlich in der Zukunft ausgenutzt werden und welche der Mensch verkümmern lassen wird. Um über den gegenwärtigen Stand der Persönlichkeit Verbindliches auszusagen, müssen eine Reihe verschiedener Tests angewandt werden, deren jeder eine andere „Schicht” im Menschen erschließt; nur so kann ein wahrhaftiges Bild der Schwerpunkte in ihm und ihrer Verhältnisse zueinander sichtbar werden. Das Gesamtbild, aus dem deutlich wird, warum ein Mensch in seinem Gewordensein so und nicht anders ist, und eine behutsame Prognose kann nur ein mehrstündiges, sehr tiefgehendes Gespräch über den ganzen bisherigen Lebensweg ergeben. Häufig bekommt das Ergebnis einer Testuntersuchung auf dem Hintergrund der Entwicklungsgeschichte eines Menschen ein ganz anderes Gewicht. Wenn man diese Grenzen des Tests sieht, wird man fragen, warum er überhaupt angewandt wird. Es gibt Situationen, in denen man, um Entscheidungen richtig zu treffen, in kurzer Zeit eine Persönlichkeit erfassen muß: etwa bei der Glaubwürdigkeit jugendlicher Zeugen; bei der Entscheidung, ob ein schlechter Schüler tatsächlich minderbegabt ist und aus der höheren Schule in die Volksschule, oder aus der Volksschule in die Hilfsschule versetzt werden muß, oder ob er nicht vielleicht durch einen den Erwachsenen unbekannten seelischen Konflikt nicht in der Lage ist, sich zu konzentrieren; wo der Konflikt liegt usw. Hier springt der Test ein; er will nicht die Menschenkenntnis ersetzen, sondern ihr assistieren, wenn sie allein nicht genügt, wenn eine zweckgerichtete Diagnose erforderlich ist. Der Test ist ein technisches Hilfsmittel, das keinen Absolutheitsanspruch stellt. Die eigentliche charakterdiagnostische Arbeit beginnt erst, wo er aufhört, d. h. die Seele des Menschen wird nicht durch das „Auszählen von Punkten” eingeordnet und in einer Wertkategorie fixiert. Der verantwortlich arbeitende Psychologe wertet nicht, er stellt nur fest. Die Ethik seines Berufes liegt in der Selbstbescheidung, mit der er seine Grenzen anerkennt: er kann sehen und feststellen, Wege weisen, Hilfen bieten, er muß eine Situation be-urteilen, aber er darf nicht ver-urtei!en. Oberstes Gesetz für den Psychologen muß die Ehrfurcht vor der Einmaligkeit des Geschöpfes im anderen sein! Hier stehen wir bei der im Quatember aufgeworfenen Frage: sollen unsere Kinder im Kindergarten, in der Schule usw. getestet werden, unter Umständen ohne Wissen und Einwilligung der Eltern?
Wir können also feststellen: Der Test erfaßt zwar jeweils einen bestimmten, bevorzugt akzentuierten Teil der Persönlichkeit. Das Persönlichkeitsbild setzt sich aber nicht wie ein Mosaik aus Einzelergebnissen zusammen, sondern in jeden Test, in jede Einzelaufgabe des Tests geht der Mensch als Ganzes in seiner schöpfungsmäßigen Einmaligkeit ein, so, wie wir uns ja auch in jeder Geste und jedem Blick als Gesamtperson offenbaren. Der Test zerlegt also nicht, sondern enthüllt bald die eine, bald die andere Seite. Das heißt im ursprünglichen Sinn des Wortes: er gibt Zeugnis vom Menschen. Darüber hinaus: wo er von einem reifen Menschen angewendet wird, kann er für den Untersuchten zu dem Ergebnis einer so positiven mitmenschlichen Begegnung werden, daß ein neuer Entwicklungsabschnitt in Gang kommt. Dann hat er nicht nur be-zeugende, sondern zeugende, Leben schaffende Funktion gehabt. Zusammenfassend dürfen wir also sagen, der Test kann ohne Sorge angewendet werden, wenn:
Die Psychologie verliert an Unheimlichkeit, wenn sie in der Verantwortung unter Gott steht. Die psychologischen und vor allem tiefenpsychologischen Erkenntnisse können nicht mehr fortgeleugnet werden. Je früher die Kirche sich mit ihnen auseinandersetzt und die reichen seelsorgerlichen Möglichkeiten wahrnimmt, die hier für sie liegen würden, desto besser wird es für sie sein. Quatember 1954, S. 228-230 |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-10-18 Haftungsausschluss |