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Der Gotteskasten
von Wilhelm Thomas

LeerIn alten Dorfkirchen findet sich oft hinter dem Altar eine eisenbeschlagene Truhe. Dort sammelte die Gemeinde durch Jahrhunderte das Geldopfer ihrer Glieder. Man spricht noch heute vom „Opferstock” oder - mit Luthers Bibelübersetzung - vom Gotteskasten.

LeerGott ist es gegeben, Gott ist es zugedacht, was da hineingelegt wird, - auch wenn jeder weiß, daß Männer aus der Gemeinde sich hernach darübersetzen werden, es zu zählen, zu buchen und unter die Armen der Gemeinde zu verteilen. Der „Kastenmeister”, der Kirchenrechnungsführer, hat eben nicht einfach schnöden Mammon in der Hand, sondern etwas, was Menschen ihrem Gebrauch zum eigenen Nutzen entzogen und - ob es nun viel ist oder wenig (denken wir an das Scherflein, das die arme Witwe in den Gotteskasten legt) - zum Opfer gegeben haben. Nach Gottes Willen wandelt die Gemeinde die Gabe dann in eine Hilfe für Notleidende. Zweimal wird das Geld verwandelt: einmal, wenn der Einzelne es sich entzieht und hingibt an Gott, und das zweite Mal, wenn die Gemeinde es aus Gottes Hand zurückerhält, um damit das Werk der Barmherzigkeit auszurichten.

LeerWie, wenn es gelänge, diese Verwandlung schon früher einzuleiten - ehe so viel Geld in unserer Hand zerronnen ist, ehe es zusammengeschmolzen ist auf den kleinen Opferpfennig, den ich zufällig in der Tasche finde, wenn der Klingelbeutel umgeht oder der Opferteller auf mich wartet? Sollte der Gotteskasten nicht da stehen, wo ich mit dem Lohn meiner Arbeit nach Hause komme und nun - wenn ich ein rechter Haushalter über das mir Anvertraute bin - überlege, wie ich mit diesem Pfunde recht wuchere? In einigen lutherischen Gemeinden Nordamerikas ist man diesen Weg gegangen. Hier leben die Gemeinden ja ohne geldlichen Rückhalt am Staate. Man hat den Gotteskasten vorverlegt in die Häuser. Wer ernstmachen will mit dem Gedanken, daß wir all unser Hab und Gut von Gott zu Lehen haben, stellt solch einen Gotteskasten auf seinen Schreibtisch und legt, so oft er Einnahmen hat, einen festen, ganz frei gewählten Hundertsatz dieser Einnahmen hinein - als ein Dankopfer gegen den, der uns alles, ja sich selbst gegeben hat, und mit der Fürbitte für die Menschen, die mit Hilfe dieses meines Opfers im Auftrage Gottes Gutes tun und Gutes empfangen werden. Was dann von Woche zu Woche aus diesem Dankopfer-Schatz entnommen wird für Klingelbeutel und Kollektenteller, für manche andere kirchliche Sammlung und für manche menschliche Not, die sonst noch an unsre Tür klopft, - das ist - so sagen alle, die es versucht haben - ungleich fröhlicher gegeben und zugleich reichlicher gegeben als das, was wir uns bei der alten Methode haben aus der Tasche locken lassen.

LeerKönnen wir den Brauch übernehmen, obwohl wir doch in Deutschland die Kirchensteuer haben? Nun, wir legen eben zu dem, was wir bar in den Gotteskasten tun, einen Zettel, auf dem die Höhe der schon beim Arbeitgeber einbehaltenen Kirchensteuer steht; wir tun das genau so mit Dank und Fürbitte wie bei dem, was wir sonst geben. Wenn wir daran denken, daß der Fromme des Alten Bundes und der mittelalterliche Mensch den Zehnten gab, bleibt uns neben dem Hundertstel, oder wenn es hoch kommt Fünfzigstel unseres Einkommens, das durch die Kirchensteuer festgelegt ist, immer noch ein weiter Spielraum für Gaben völlig freien Ermessens.

LeerWie soll die Einzigartigkeit dessen, was uns mit Christus geschenkt ist, auf der Ebene der materiellen Güter anders zum Ausdruck kommen, als daß wir für die mit dieser Gabe verknüpfte Aufgabe - Gottesdienst und Bruderdienst in der Gemeinde - einen festen Bruchteil unseres Einkommens vorweg zum Opfer geben?

Quatember 1955, S. 31

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-19
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