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Zwanzig Jahrgänge - hundert Jahresbriefe
(Nach einem Menschenalter XIV)
von Walter Stökl

Leer„Vor einem Menschenalter”, das war die Zeit noch kurz, ja unmittelbar vor dem Sturm, der sich ankündigte, eine Zeit großer Unruhe und Ratlosigkeit. Die Erkenntnis, daß ein wirklicher Neuanfang notwendig sei, hatte viele Herzen ergriffen; wir meinten da und dort schon aus dem umgebrochenen Boden neue Saat sprießen zu sahen und hatten den Mut zu glauben, daß der Heilige Geist sichtbar am Werk sei. So ist das gegenwärtige Jahr für manchen geistlichen Neuanfang in der Kirche ein Jubiläums-Jahr. Vor 25 Jahren wurde die Evangelische Michaelsbruderschaft in Marburg gestiftet; vor 25 Jahren zog die erste Schwester der Communauté de Grandchamp in das Gutshaus am Neuchâteler See ein; auch der bescheidene Dienst unserer „Evangelischen Jahresbriefe”, der den geistlichen Neuanfang von Anfang begleitete, ist nun schon seit 25 Jahren am Werk. Gestalt und Erscheinungsweise haben sich geändert: aus den schlichten Heften der Anfangszeit ist eine Vierteljahresschrift geworden, die ihren Rahmen weiter gespannt hat. Aber daß „Quatember” auch heute noch den alten Namen der „Evangelischen Jahresbriefe” als Untertitel trägt, ist das Bekenntnis zu dem treu bewahrten Zusammenhang mit dem Anfang vor einem Menschenalter.

LeerNie sind die „Evangelischen Jahresbriefe” eine Zeitschrift gewesen wie andere. Sie wollten immer, zum mindesten auch, ein persönlicher „Brief”, eine geistliche Anrede sein an einen Kreis von Menschen, die bereit waren, sich aufzumachen zu neuen Ufern und sich zu neuen, oft sehr umstürzenden Erkenntnissen und Erfahrungen führen zu lassen. Wahrscheinlich gibt es manche Leser, denen es ebenso geht wie mir: Man liest zuerst den „Brief”, den der Herausgeber - seit Advent 1935 in jedem Heft - zumeist sehr temperamentvoll schreibt. Er ist nicht aktuell an dem Sinn, daß hier neueste Erkenntnisse vermittelt werden, aber in dem Sinn, daß echte Fragen des geistlichen Lebens ganz konkret, wie in einem Gespräch, mit innerster Anteilnahme und darum auch innerste Anteilnahme und Stellungnahme fordernd, beantwortet werden. Vielleicht ist dieser Versuch einer packenden Anrede auch daran schuld, daß Quatember - ich hoffe bei vielen Lesern - nicht auf dem sich häufenden Stoß ungelesener Drucksachen liegen bleibt.

LeerZugleich sind die Hefte unserer Zeitschrift „Jahres-Briefe” geblieben, eng gebunden an die Zeiten des Kirchenjahres. Die fünf Hefte der früheren Jahrgänge waren auf die Feste der Christenheit bezogen und erschienen darum zu Weihnachten, zu den „Fasten”, an Ostern, zu Pfingsten und zu Michaelis. Die Wandlung zu den Vierteljahresheften war nicht nur aus praktischen Gründen notwendig, sondern sie entspricht zugleich der alten Gliederung des Kirchenjahres in die quatuor tempora, die sich an die vier ausgezeichneten Punkte des Sonnenjahres, die beiden Tag- und Nachtgleichen und die beiden Sonnenwenden anschließen.

LeerAuch die Aufgabe ist im Grunde die gleiche geblieben durch alle die 25 Jahre, ebenso der Kreis von Menschen, denen wir mit unseren Blättern einen Dienst erweisen wollen. Von Anfang an übten diese Blätter eine Schriftauslegung im Geist eines biblischen Realismus und legten Wert auf eine meditative Betrachtungsweise. Der neue Ansatz nach dem Krieg weitete den Bereich der Aufgaben. Fragen des öffentlichen Lebens, eines christlichen Welt-und Geschichtsverständnisses wollten stärker als früher bedacht werden, und die für den großen Wandel des kirchlichen Selbstverständnisses so bezeichnenden Neugründungen von Orden und Bruderschaften in aller Welt traten neu in unseren Gesichtskreis.

Linie

LeerAnfangs vielleicht noch halb unbewußt, vorsichtig und undeutlich, später bewußter, deutlicher und ausdrücklicher versuchten unsere Jahresbriefe eine „Umerziehung” zum Leben in der Ecclesia Una Sancta Catholica et Apostolica und wollten also an ihrem Teil den Durchbruch zur wahren Katholizität fördern, zu dem jetzt eben sich unsere Schrift Credo Ecclesiam bekennt.

Ebenso wie in ihrem inneren Gehalt spiegeln die Jahresbriefe auch in ihrer äußeren Gestalt die Zeitläufe. Der Krieg beschränkte den Jahrgang auf drei bescheidene Hefte, bis dann das letzte Heft zu Weihnachten 1942 nur noch eine seelsorgerliche Betrachtung über den Sinn des Leidens bringen konnte. Erst im Jahre 1947 konnten diese Briefe wieder erscheinen und erreichten seit der Umwandlung in die Zeitschrift Quatember einen größeren Kreis von Lesern als die Schar der alten und treuen Freunde des Berneuchener Dienstes, für die die Blätter ursprünglich bestimmt waren.

LeerAuch Herausgeber und Mitarbeiter haben sich mannigfach gewandelt. Der erste Herausgeber war Wilhelm Thomas, damals Pfarrer in Bremke bei Göttingen, jetzt Superintendent in Wunstorf. Da er eben in den Tagen, in denen dieses Heft erscheint, seinen 60. Geburtstag feiert, ist es wohl begründet, daß wir seiner besonders gedenken. Er war mit unserer Arbeit seit der ersten Konferenz in Berneuchen verbunden, hatte (1925) den ersten kühnen und umfassenden Entwurf für eine schematische Darstellung unserer Gedanken gewagt, aus dem dann ein Jahr später das „Berneuchener Buch” entstanden ist. Durch mehrere Jahre hat er als der theologische Sekretär unserer Bruderschaft ganz im Dienst unserer gemeinsamen Arbeit gestanden. Es lag auf der Linie der Aufgabe, die er damit übernommen hatte, daß er als erster Schriftleiter die ersten Jahrgänge unserer Zeitschrift prägte und dann durch die Begründung und Leitung eines Sonntagsblattes („Sonntagsbrief” nannten wir ihn) versuchte, unsere Arbeit in weitere Kreise der evangelischen Kirche hineinzutragen. Wilhelm Thomas brachte für jene Anfangsjahre die Lebensanstöße der damals eben auslaufenden Jugendbewegung mit herein und zugleich die Verbindung mit den entscheidenden kirchen-musikalischen Anregungen, mit denen die Singbewegung unsere Kirche befruchtete.

LeerMit Konrad Ameln zusammen gab Wilhelm Thomas die Sammlung von Weihnachtsliedern, Morgenliedern und Abendliedern heraus, die in unseren Kreisen mit großer Freude gesungen wunden, und das „Quempas”-Heft hat eine erstaunliche Verbreitung gefunden. Das „Handbuch der evangelischen Kirchenmusik”, das Wilhelm Thomas zusammen mit Konrad Ameln und Christhard Mahrenholz herausgibt, steht, obwohl es nicht unmittelbar praktischen Zwecken dient, in einem tiefen und wichtigen Zusammenhang mit der inneren Erneuerung der evangelischen Kirche, der unsere Jahresbriefe in den 25 Jahren, auf die wir heute zurückschauen können, dienen wollten, und dieser Rückblick schließt die Dankbarkeit für alle die persönliche und literarische Arbeit ein, die Wilhelm Thomas neben seinem Pfarreramt in Bremke bei Göttingen, dann in verschiedenen Aufgabenbereichen in Hannover geleistet hat und noch leistet.

Niemand weiß, welchen Dienst die annähernd 100 Hefte der Evangelischen Jahresbriefe in diesen 25 Jahren geleistet haben. Aber all denen, die in einem Viertel-Jahrhundert ihre Kraft an diesen Dienst gewendet haben, dem Verlag, dem Herausgeber und den Schriftleitern, gebührt der Dank aller derer, die sich diesen Dienst aus ihrem Leben in der Kirche und mit der Kirche nicht mehr hinwegdenken können.

LeerUnsere Jahresbriefe hatten wohl immer mehr Leser als Bezieher. Man hat sie weitergegeben und hat bei manchen Menschen ebenso viel Freude wie Erstaunen darüber geweckt, daß es „so etwas” in der evangelischen Kirche gibt. Will man jemanden einführen in den geistlichen Raum der Kirche, in das Ringen um die eine Kirche und um ihre Erneuerung, in die Fragen des geistlichen Lebens und ihn bekannt machen mit den Hilfen, die uns hier aus der Erfahrung der Kirche zuwachsen, kann man ihm unbedenklich ein Heft oder auch einmal einen älteren Jahrgang der evangelischen Jahresbriefe in die Hand drücken.

Quatember 1956, S. 96-97

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-25
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