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von Rudolf Spieker |
Unsere Väter haben manchmal das Christenleben als einen Ordensstand bezeichnet. So heißt es in dem Pfingstlied des Ambrosius Blarer von den Aposteln:
„So machen sie sich auf den PlanÄhnlich heißt es in dem Vertrauenslied von Rudolf Alexander Schröder: „Du nahmst mich in den OrdenHier schimmert noch etwas von der ursprünglichen Bedeutung des Wortes „ordo” durch, welches unserem deutschen Wort Orden zugrunde liegt: es bedeutet, daß Menschen sich in Reih und Glied stellen. Ordo ist von Hause aus ein militärischer Begriff, seine Anwendung in der Kirche auf den Ordensstand hebt den militanten Charakter des Christenstandes heraus. Wenn unsere Väter im Reformationsjahrhundert dem Worte eine weitere Bedeutung gegeben haben als die römische Kirche des Mittelalters, so wollten sie damit sagen, daß jeder getaufte Christ zur militia Christi gerufen sei. Die Worte, die der Herr von der Nachfolge gesprochen hat, lassen erkennen, daß er selbst an den Anfang dieses Weges die Absage an alle Weichlichkeit und die Bereitschaft zum geistlichen Kampf gestellt wissen wollte (Matth. 16, 24). Deshalb hat sein Apostel die Zurüstung zu diesem Kampf im Bild der geistlichen Waffenrüstung beschrieben (Eph. 6, 10 ff.). In unseren landeskirchlichen Gemeinden erscheint das Christenleben nivelliert. Es hebt sich kaum aus seiner Umgebung heraus. Vielfach ist es durch Anpassung weltförmig geworden. Von da her kommen evangelische Menschen heute auf den Gedanken, sich in ordensmäßigen Gemeinschaften zusammenzuschließen, die beispielhaft oder stellvertretend das darzustellen versuchen, was mit dem Christenstand eigentlich gemeint ist. Das würde nur dann gegen den evangelischen Glauben verstoßen, wenn hier ein Anspruch aufgerichtet würde, vor Gott etwas Besonderes zu sein oder zu tun. Aber diesen Menschen, welche sich heute in eine ordensmäßige Bindung begeben, geht es gerade nicht um ein überpflichtmäßiges Handeln, sondern um die Erfüllung dessen, was ihnen heute zur Aufgabe und zur unabweisbaren Pflicht geworden ist. Sie sind der Meinung, daß der Kirche in der heutigen Weltstunde freiwillige Helfer entstehen müssen, die neben den Stand der Pastoren undAmtsträger die Sache der Kirche Christi zu ihrer ganz persönlichen Lebensaufgabe machen, die sich nicht scheuen, aus der Unverbindlichkeit heutigen Christenlebens den Schritt zu einer verbindlichen und verpflichtenden Gestalt zu tun. Es ist diesen Männern und Frauen völlig klar, daß sie sich vor Gott niemals durch fromme Leistungen hervortun oder ein Verdienst erwerben können. Alles, was unsere Väter Kritisches zu den Klostergelübden gesagt haben, ist von ihnen sorgfältig geprüft und durchdacht. Gerade weil sie anfangen, mit ihrem Christenstand Ernst zu machen, wird ihnen schmerzlich bewußt, daß sie leider noch auf der ganzen Linie hinter dem zurückbleiben, was ihnen durch den Ruf Gottes aufgetragen ist. Das Wort „Keuschheit” bezeichnet jene Lauterkeit der Gedanken, die Reinheit des Herzens und des Auges, jene Zucht der Sinne, wie sie Christus in der Bergpredigt gefordert hat (Matth. 5, 28). Sie hat also ebenso ihren Ort in der Ehe wie außer der Ehe. Auch Eheleute können nicht leben ohne die Bereitschaft zur Askese, zur Begrenzung, zum Verzicht und zum Opfer; nicht zufällig wird gerade auch die Ehe von Paul Gerhardt in seinem Ehestandslied ein Orden genannt (EKG 172, 1 und 5). Aber ebenso kann es in der heutigen Weltlage, im Blick auf die besonderen Aufgaben der Kirche auch evangelische Männer und Frauen geben, welche nach dem Vorbild Christi auf die Ehe verzichten, um ganz frei zu sein, der Sache Christi in der Welt zu dienen (Matth. 19,12). Schließlich bezeichnet das Wort „Gehorsam” nicht nur den Gehorsam gegen Gottes Gebot, sondern die Anerkennung der Tatsache, daß es in der Kirche Christi Obere und Geführte, geistliche Väter und Söhne, geistliche Mütter und Töchter gibt (1. Kor. 4, 15), und daß wir ihnen Dank, Ehrerbietung und Gehorsam schuldig sind. So bezeichnet also das Wort Gehorsam die entschiedene Absage an jenen bindungslosen Zustand, bei dem der einzelne tun und lassen kann, was er will, und sozusagen sein eigener Herr ist. Vielmehr ist der einzelne bereit, sich in eine Gemeinschaft einzuordnen, konkrete Weisung anzunehmen und Seelsorge an sich geschehen zu lassen. Es muß wohl zugestanden werden, daß diese evangelischen Räte nichts enthalten, was nicht jedem Christen zur Pflicht gemacht werden kann, und daß wir ein Leben lang daran zu lernen haben, nach diesen Räten zu leben. Insofern kann das Gelübde, nachsolcher Regel zu leben, nicht als unevangelisch angesehen werden. Gerade denjenigen, welche solche Gelübde ablegen, wird deutlich werden, daß sie täglich straucheln und fallen und täglich sich müssen aufrichten lassen durch den Herrn, der für den gefährdeten Jünger gebeten hat, daß sein Glaube nicht aufhöre (Luk. 22, 32). Mitten in den Ausführungen über die Priesterehe finden wir folgende beherzigungswerte Ergänzung: „Doch lassen wir dennoch der Jungfrauschaft ihr Preis und Lob und sagen auch, daß sie eine Gabe sei höher denn die andern. Denn gleich wie Weisheit zu regieren ein höher Gabe ist, denn andere Künste: also ist die Jungfrauschaft oder Keuschheit eine höher Gabe, denn der Ehestand” (Ap. XXIII, 39). Ob es nicht gerade heute, wo so viele Mädchen und Frauen gezwungenermaßen ihren Weg als Ehelose gehen, von großer Bedeutung ist, wenn es Frauen gibt, welche freiwillig auf die Ehe verzichten, um ihren unverheirateten Schwestern desto besser zur Seite stehen zu können? Eine solche Frau kann ihren Schwestern zeigen, daß es sich lohnt, dennoch dem Leben einen Sinn abzugewinnen, auch wenn der Traum der Lebenserfüllung durch die Ehe nicht verwirklicht wird. Dieser Sinn geht freilich über das Leben der Einzelnen hinaus. Er liegt in der Hingabe an die Aufgabe, welche Gott stellt. Seit einem Jahrhundert stellen uns die Diakonissen das Beispiel vor Augen, ein Leben zu führen ohne den Mann und die Kinder, weil ihnen in den Siechen und Kranken, den Alten und Kindern die Menschen anvertraut sind, für die sie zu sorgen haben. Freilich, die Fürsorge für andere Menschen allein genügt nicht, um dem Leben des freiwilligen Verzichtes die Sinnerfüllung zu geben, die den Menschen ausgeglichen, dankbar und fröhlich macht. Vielmehr muß in dem Leben eines solchen Menschen Raum sein, um aus geistlichen Kraftquellen zu schöpfen. Gerade solcher Verzicht könnte helfen, ein vertieftes geistliches Leben zu führen. „Laudatur igitur virginitas propter meditationem et studium”, „die Jungfrauschaft wird gelobt, daß man in dem Stand mehr Raum hat, Gottes Wort zu lernen und andere zu lehren” (Ap. XXIII, 40). Wahrscheinlich bedürfen wir heute auch im Bereich der evangelischen Kirche solcher Stätten, in denen für das Gebet und das Studium der Heiligen Schrift mehr Raum gelassen wird, als ihn die Diakonissenmutterhäuser heute ihren überlasteten Schwestern gewähren können. Das Beispiel solcher Stätten wird nicht ohne Rückwirkung auf die gesamte Diakonie der Kirche sein. Die Menschen, welche in einer solchen neuen Gemeinschaft leben, werden vor der Selbstgenügsamkeit dadurch bewahrt werden, daß ihr Haus zu einer Stätte wird, wohin solche evangelische Menschen sich flüchten können, welche durch Hausstand und Arbeitsprozeß aufgerieben sind. Unsere katholischen Brüder und Schwestern haben ihre Klöster, in denen auch der in der Welt lebende Mensch einkehren kann, wenn er Stille und Vertiefung braucht. Wohin können wir den evangelischen Menschen weisen, wenn nicht heute neue Stätten der geistlichen Einkehr und Vertiefung geschaffen werden? Diese Stätten der Gemeinschaft werden ihren Dienst nur dann tun, wenn sie Stätten des Gebetes sind. Hier soll der Einzelne, der aus der gnadelosen Hetze der Welt sich in die Stille flüchtet, aufgenommen werden durch das Gebet der Brüder und Schwestern. Wenn er selber das Beten verlernt hat, soll ihn das Gebet der anderen tragen. Es muß in der heutigen Welt, auch in unserer evangelischen Kirche, Menschen geben, welche stellvertretend für ihre Brüder und Schwestern den Dienst des Gebetes tun, mitten in einer entgotteten Welt lobpreisend und anbetend vor Gott stehen und das von der Welt geschuldete Opfer des Lobes und Dankes darbringen. Hier bekommt das Psalmengebet, das weithin in unserer Kirche verstummt war, wieder eine Stätte. Wir haben genug erlebt, um darüber nachzudenken, worin der tiefste Schade der Kirche seine Ursache hat. Wir werden uns deshalb freimachen von der Vorstellung, als widerspräche es dem Gemeindegedanken, wenn es auch in der Evangelischen Kirche Stätten der Gemeinschaft gibt, in welchen Männer oder Frauen sich zu einer verbindlichen Gestalt einer vita Christiana zusammenschließen. Auch die Gemeinde wird dadurch gewinnen, wenn ihr aus ordensmäßigen Gemeinschaften neue Kräfte zuströmen, sei es in Gestalt der Hilfe an ihren mannigfachen Notständen, sei es in Gestalt von Mitarbeitern an den Aufgaben der geistlichen Erziehung. Es kommt alles darauf an, daß die Glieder solcher Gemeinschaften nicht ihre eigene Vollkommenheit suchen, sondern den Blick fest gerichtet sein lassen auf die Kirche Christi, und zwar die Kirche in der besonderen Gestalt, wie sie uns durch die Reformation gegeben ist, in welcher evangelische Menschen um die Erneuerung und Einigkeit der gesamten Kirche beten und kämpfen. Quatember 1956, S. 193-197 |
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