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von Jürgen Boeckh |
Als im vorigen Jahre während einer Bußtags-Retraite in der Evangelischen Akademie Berlin, die von einem Bruder der Communauté de Taizé geleitet wurde, Schallplatten einer französischen Firma mit neuen Psalmodien vorgespielt wurden, fanden sich die Teilnehmer der Retraite (deren kirchliche Herkunft keineswegs einheitlich war) sofort bereit, selbst eine Psalmodie neuer Art einzuüben, die dann in den Stundengebeten und in der Evangelischen Messe (als Introitus-Psalm) gesungen wurde. Kirchenmusikdirektor Gerhard Schwarz-Düsseldorf hatte uns einen von ihm in Anlehnung an die neue französische Psalmodie komponierten Psalm zur Verfügung gestellt. Über diese „wohl Aufsehen erregendste Erscheinung in der katholischen Kirchenmusik der Gegenwart” berichtet eingehend - im Anschluß an einen Vortrag ihres Schöpfers, Pater Joseph Gelineau SJ in Freiburg - die Herder-Korrespondenz (Jahrgang 1956 Heft 11, S. 519-522). Innerhalb kurzer Zeit hat diese neue Art des Psalmengesanges weite Verbreitung in Frankreich und darüber hinaus erlangt. Auch die Brüder von Taizé singen ihre Psalmen nach der neuen Art, in der auch Traditionen der französisch-reformierten Psalmlieder des Reformations-Jahrhunderts aufgenommen worden sind. Durch rhythmische Vortragsweise der Psalmen und durch das Gegenüber von Vorsänger (Psalm) und Chor (Antiphon) kommt die neue Psalmodie höchstwahrscheinlich dem Psalmengesang des Volkes Israel und auch der alten Kirche sehr nahe. Die heutige lateinische Chorpsalmodie sieht Pater Gelineau gegenüber den rhythmischen Kirchengesängen der alten östlichen und lateinischen Liturgien als einmalige Ausnahme an, die sich etwa seit dem Hochmittelalter herausgebildet haben dürfte. Die neue Art der Psalmodie trägt von ihrem Ursprung her und schon in ihrer ersten Verbreitung deutlich ökumenische Züge. Bei uns sind inzwischen von Pater Corbinian Gindele OSB „Zwölf Psalmen für die Sonntage nach Pfingsten” vorgelegt worden (Als Manuskript gedruckt. Im Selbstverlag. Auslieferung Beuroner Kunstverlag, Beuron. Ausgabe A -.40; B 3.-; C 2.50). Die Ausgaben B und C enthalten Hinweise für die Ausführung und eine Tabelle für den liturgischen Gebrauch. Ausgabe A - ein Blatt - enthält nur die Antiphonen (einstimmig). Die Antiphon wird zu Beginn von einem vorgesungen, dann sogleich von allen, das heißt einem Chor oder auch der ganzen Gemeinde, wiederholt, außerdem nach jedem Psalmvers. Der Text der (gereimten) Antiphonen stammt von Franz Johannes Weinrich. Die Antiphonen sind mehrstimmig in Ausgabe C enthalten, zusammen mit der Psalmodie und dem Psalmtext. Ein mehrstimmiger Gesang der Antiphon kommt wohl nur in Frage, wenn diese von einem Chor gesungen wird. In der Psalmodie selbst sind jeweils ganze Noten angegeben, auf die aber mehrere Silben verteilt sind. Für die Verteilung der Silben innerhalb der ganzen Note hat der Vorsänger (oder ein kleiner Chor mit Stimmführer) volle Freiheit, doch liegt der Hauptwert der ganzen Note jeweils auf der ersten Silbe. Die entscheidenden Unterschiede gegenüber der mittelalterlich-gregorianischen Psalmodie bestehen darin, daß die „Tuba”, der eine Ton, auf dem der größte Teil der Vershälfte gesungen wird, fortfällt, und außerdem in der Tatsache, daß rhythmisch gesungen wird. Freiheit und Bindung halten sich die Waage: Gebunden ist der Vorsänger an die gleichlangen Takte, während er die Silben innerhalb der Takte der Sprachrhythmik entsprechend nach Belieben verteilen kann; doch soll die erste (im Text fettgedruckte) Silbe beinahe den vollen Umfang der ganzen Note bekommen. Ausgabe B ist das Begleitheft für den Organisten. Es enthält Begleitsätze für die Psalmen und Antiphonen. Pater Corbinian, Mönch der Erzabtei Beuron, ist Hindemith-Schüler. Seine Kompositionen halten sich nicht an die klassische Dur-Moll-Harmonik, sondern sind der modernen Musik zuzurechnen. Dem entspricht durchaus die von P. Corbinian benutzte Psalmübersetzung von Martin Buber. Schwer verständliche Wortbildungen Bubers sind allerdings zum Teil abgewandelt. Die Freunde der deutschen Gregorianik stehen den neuen französischen und deutschen Wegen in der Psalmodie zum Teil skeptisch gegenüber. Sollte man aber nicht mit dem Urteil zurückhalten, bis man selbst die neue Psalmodie wirklich erprobt hat? Praktische Erfahrungen haben bereits gezeigt, daß Konfessions- und frömmigkeitsgebundene Vorurteile, die sich gerade im evangelischen Bereich der mittelalterlich-gregorianischen Psalmodie gegenüber einstellen, hier fortfallen. Damit soll nicht der Wert der Gregorianik für festgefügte Gemeinschaften bestritten werden. Anderseits schließt die Eingliederung der hier besprochenen Psalmen keineswegs aus, daß man offen bleibt für andere Neugestaltungen deutscher Psalmodie, da jeder Psalm mit Antiphon eine Eigenkomposition darstellt. Quatember 1956, S. 222-223 |
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