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Michael - abstrakt
von Erich Müller-Gangloff

Michael-Holzschnitt von Frère Marc TaizéLeerEs wird vielleicht für manchen Leser unserer Zeitschrift eine gewisse Zumutung bedeuten, die abstrakte Komposition, die diesem Hefte beigegeben ist, als eine Gestaltung des Michaelsthemas anzunehmen. Abstrakte Kunst ist nicht jedermanns Sache, und den Engelsfürsten, den man sich als trutzigen Ritter vorzustellen pflegt, im abstrakten Bilde darzustellen, könnte dem einen oder anderen gar als ein Sakrileg erscheinen. Daher sei hier der Versuch einer Hinführung und Deutung unternommen, obwohl man es vielleicht gerade bei solchem Bilde lieber bei einem einfachen Ja oder Nein bewenden lassen sollte.

LeerFrère Marc selber - übrigens der erste deutschsprachige Bruder, der vor zwei Jahren in die Communauté de Taizé eingetreten ist - sagt zu seinem Entwurf, er sei das Resultat eines langen, oftmals harten Bemühens, dem gestellten Thema mit den Mitteln des Holzschnittes gerecht zu werden. Er hofft, wie er dem Schriftleiter schrieb, der ihn vor einem halben Jahr um einen graphischen Beitrag zum Michaelsheft von Quatember gebeten hatte, daß „aus meiner Komposition der Sieg des lichtvollen Engelfürsten über das Finstere verständlich” werden möchte.

Linie

LeerFür das Verständnis des Bildes ist es zunächst wichtig zu wissen, daß die Originalgröße des wiedergegebenen Holzschnittes ein Vielfaches der Seitengröße eines Quatemberheftes beträgt. Die Komposition hat daher im Original eine ganz andere Wucht und Eindringlichkeit, als die verkleinerte Wiedergabe vermuten läßt. Immerhin kommt die Aussage des Bildes auch in der Verkleinerung durchaus zu ihrem Recht. Möchten nur recht viel Leser der Zeitschrift von daher die Anregung empfangen, einen Original-Abzug des Holzschnittes von Frère Marc zu erwerben!

LeerZu Inhalt und Aussage des Bildes wird man sich am besten auf Martin Bubers „Bilder von Gut und Böse” besinnen, obwohl kaum zu vermuten ist, daß der Künstler dieses Buch gelesen oder auch nur etwas von seinen Gedanken gehört und erfahren hat. Buber spricht dort von dem Bösen als einem richtungslos Kreisenden, einem wirbelnden Chaos, während er das Gute als das Gerade, Gerichtete kennzeichnet. Es fällt nicht schwer, in Frère Marcs Komposition dieses wirbelnde Chaos des Bösen zu erkennen, in dem man, wenn man will, Züge des Drachen oder sagen wir des Drachenhaften entdecken kann. Es ist gleichwohl nichts „Krummes” in diesem Bild, denn das Kreisend-Chaotische ist zum Geraden, zum Rechten und Gerichteten hingeführt, das sich in seinem, dem oberen Bereich in voller Freiheit und ohne auch nur mittelbaren Bezug auf die Welt des Bösen entfaltet.

LeerDabei ist die Macht des drachenhaften Bösen keineswegs zu gering geschätzt. Seine mächtige, wirbelnde Schwärze ist bis zu ihren zähe haftenden Fetzen sehr eindringlich dargestellt, und das lichtvolle Rot des Engels bedarf großer Kraft, um diese chaotische Schwärze nicht nur zu durchdringen, sondern zu bändigen und zu überwältigen. Wer genauer hinblickt, kann unschwer auch das Schild- und das Flügelmotiv entdecken: der Erzengel ist geflügelt und mit dem Schilde gewappnet. Und es ist gewiß kein Zufall - mag es vom Künstler beabsichtigt sein oder nicht - daß das Gerade und Gerichtete der michaelischen Welt zu mehreren Kreuzesfiguren hinführt, deren eine mit dem Schildmotiv verbunden ist. Das Gerade und das Kreuz - in solchem Zeichen siegt Michael über die höllischen Wirbel des Bösen.

Quatember 1956, S. 256

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-24
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