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Theologie und Lobgesang
von Wilhelm Schmidt

Leer„Lasset uns freuen und fröhlich sein und ihm die Ehre geben; denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen, und sein Weib hat sich bereitet” (Offb. 19, 7). Die Sprache dieses biblischen Verses ist, meinen wir, nicht von der Theologie erfunden worden; denn in dieser Sprache denken wir nicht und sprechen wir nicht unsere Gedanken aus. Wir unterscheiden die Sprache der Hymnologie von der Sprache der Theologie und urteilen, daß dem hymnischen Satz genau das fehle, was uns den theologischen Satz gewichtig macht, weil der hymnische Satz sowohl in seinem Impuls als auch in seiner Gestalt sein Gewicht habe in dem Einklang menschlicher Teilnahme und empfindungsreicher Zuwendung, aber nicht, wie der theologische Satz, in der Entsprechung zu seinem Kanon; seien es nun philosophische Axiome, kirchengeschichtliche oder kirchenregimentliche Entscheidungen (wobei sich die Kirchengeschichte zuweilen als das stärkste Kirchenregiment erweist) oder auch der Kanon heiliger Schriften: Es genügt, daß ein Satz dem Kanon entspreche: dann ist er schon richtig.

LeerEs ist eher möglich, daß ein schöner Satz, auch wenn er richtig ist, uns um seiner Schönheit willen bedenklich macht, als daß die häßliche Mißgestalt eines auch nur scheinbar korrekt gefolgerten logischen Satzes uns beleidigt. Es scheint fast so, als stehe das selbst nur scheinbar Richtige schon über dem wahrhaft Schönen. Andere Zeiten urteilten anders. Wir Heutigen haben auf unserer Seite den großen Thomas von Aquin (der sangbare Hymnen dichten konnte) und reden ihm wissentlich oder unwissentlich den wichtigen Satz nach: dicitur theologia quasi sermo de Deo: „Theologie” heißt „Rede von Gott”. Es ist wohl kaum ein Zweifel daran möglich, daß sermo nicht die hymnische Rede meint, sondern vielmehr, zumal es von sero = „knüpfen” abstammt und mit dem griechischen Wort für „Seil” verwandt ist, die richtig schlüssige Folgerung, ja, geradezu den wissenschaftlichen Vortrag bezeichnet.

LeerDagegen vertritt Origenes, der ein großer Wissenschaftler war, die Meinung: „Im Lobgesang besteht die Theologie.” Nun ist freilich Origenes nicht für jedermann ein unverdächtiger Zeuge - aber auch solche Nachfahren des heiligen Johannes, denen der Geruch der Rechtgläubigkeit verblieb, geben das gleiche Zeugnis, indem sie dem Seher der Apokalypse, von dem der eingangs angeführte hymnische Satz stammt, den Ehrentitel „der Theologe” beilegten -, und zwar gerade darum, weil er in Hymnen von Gott sprach.

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LeerJohannes aber sprach in Hymnen von Gott, weil er (menschlich empfunden fast bis zum Erlöschen seiner selbst, fast bis an den Tod) hingegeben war an den, von dem er sprach. Vor allen Hymnen der Apokalypse steht der Satz: „Als ich Ihn sah, fiel ich zu Seinen Füßen wie ein Toter; und Er legte Seine rechte Hand auf mich” (Offb. 1, 17). Die letzte Hymne aber singt - das ist gewiß nicht zufällig - von der Hochzeit. Er wird nicht vergessen haben, daß der Herr selber die Hochzeit in die frohe Botschaft eingefügt hat - und auch gerade gegen Ende seiner Gleichnisreden. „Hochzeit” ist kein philosophisches, sondern ein hymnisches Wort. Die Hochzeit ist zwar das Fest der Erkenntnis, aber durchaus und ganz und gar nicht ein akademisches Ereignis, sondern sie gehört von Grund und Wesen zum Rühmbaren und ist, was nicht nur den Vogel, sondern auch den Dichter und (wie die Alten urteilen) den Theologen singen macht.

LeerEs ist wohl eine Bemerkung wert, vermutlich jedoch von hohem theologischem Rang, daß auch in der deutschen Sprache das Grundwort der Theologie „glauben” von Haus aus nicht ein gedankenreiches, sondern ein inbrünstiges Wort ist, was freilich nicht besagen will, daß es gedankenarm sei, sondern vielmehr, daß sein Ursprung „Brunst” sei und in ihm die Fülle des Denkbaren wie in einem Feuer verwandelt werde. Die indogermanische Wurzel, aus der das deutsche Wort „glauben” entsprossen ist, lautet leubh und bedeutet „lieben, begehren”. Welcher Art die Gestaltungskraft dieser Wurzel ist, in welche Richtung ihr Antrieb und Intrieb drängen, zeigen am deutlichsten die ältesten aus ihr hervorgegangenen Worte, nämlich die altindischen lubhyati „empfindet heftiges Verlangen”, lobha „Verlangen, Gier” - Worte, in denen drängendes treibendes, Grenzen öffnendes und überschreitendes Leben sich ausspricht, das teilhaben und teilnehmen will und muß, um lebendig zu bleiben. Denn alles Lebendige, das wir erkennen können, ist nur als ein Teilnehmendes zu erkennen, das nicht an sich selber genug hat und satt wird, ja das, wenn es reich ist, sich seines Reichtums erst freuen kann, wenn es ihn mitteilt.

LeerAuch die weiteren Wortbildungen, die zu dem heutigen Wort „glauben” hinführen, entfalten dieses innere Gesetz. Die gotische Sprache bildet aus dem gleichen Ansatz die Worte liufs „lieb”, galaufs „begehrenswert, schätzbar, wertvoll”, galaubjan „glauben” und lubains „Hoffnung” - und das Althochdeutsche weiterhin lobon „loben, preisen, bewilligen, versprechen”, gilubida „Gelübde” und das Neuhochdeutsche dazu schließlich noch „verloben”

LeerDiese Wortreihe zeigt gewiß mancherlei Wandlung an, und ihre Geschichte überschreitet viele Stufen des menschlichen Raumes, aber doch ist allen diesen Worten gemeinsam der warme Atem des ergriffenen und teilhaftigen Lebens und die hymnische Neigung. Die Sprache steht im schönen Einklang mit der Empfindung. Was einer liebt, muß er loben - und er kann nichts sehnlicher wünschen, als sich dem zu verloben, woran er sein Herz hängt. Die Liebe wagt sich immer darauf, daß der, den sie liebt, der Richtige sei. Sie bringt sich selber das Ende, wenn sie, das Rühmen verlassend, die Richtigkeit des Richtigen errechnen oder gar sie berichtigen will. Gerade so verläßt der Glaube sich selbst, wenn er zum Rechnen und Berichtigen wird, weil seine Richtschnur das Rühmbare ist. Der Heiligen Schrift liegt der Gedanke nahe, daß in Ewigkeit nur gilt, was sich singen läßt.

Quatember 1957, S. 95-96

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-27
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