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Palästinas einheimische Christenheit
von Hermann Schneller

LeerVon Palästina kennen wir die heiligen Stätten, die Grabeskirche, die Via Dolorosa, den Tempelplatz in Jerusalem, die Geburtskirche in Bethlehem, die Verkündigungskirche in Nazareth. Aber von den Schicksalen der seit den ältesten Zeiten dort ansässigen Christenheit ist den wenigsten Menschen im Abendlande etwas bekannt. Man weiß gewöhnlich nur, daß sie sich um die heiligen Stätten oft streiten, und daher wird vielfach nur abschätzig über diese orientalischen Christen geredet. Doch haben sie eine bewegte Geschichte, eine Geschichte von reichem christlichem Leben und schmerzlichem Niedergang, von hartem Druck und zähem Ausharren und Festhalten am angestammten Glauben. Diese Geschichte hat wohl auch uns etwas zu sagen.

LeerDie einheimische Christenheit Palästinas hat mit der judenchristlichen Gemeinde der Apostelgeschichte nichts zu tun. Schon vor der Eroberung Jerusalems durch Titus im Jahre 70 nach Christus flohen die Judenchristen aus der heiligen Stadt nach Pella im Ostjordanland oder auch in den Hauran, die alte Trachonitis, im Nordosten (im heutigen Syrien). Dort führten sie immer mehr ein Sonderdasein, entwickelten sich zur Sekte und verschwanden schließlich aus der Geschichte. So stammen die später in Palästina ansässigen Christen aus dem Heidenchristentum. Nach dem letzten Aufstand der Juden unter Bar Kochba, der vom römischen Kaiser Hadrian im Jahre 135 blutig niedergeworfen wurde, gründete dieser Kaiser auf den Trümmern Jerusalems eine Militärkolonie, Aelia Capitolina genannt. Heidnische Tempel erhoben sich in der Stadt. Kein Beschnittener, also weder ein Jude noch ein Judenchrist, durfte die Stadt betreten. Aber mit den heidnischen Soldaten und Bürgern des römischen Reiches, die sich damals allmählich in Jerusalem und dem gänzlich verwüsteten Judäa ansiedelten, kamen auch Heidenchristen ins Land. Diese breiteten sich allmählich im Lande aus: in der Diokletianischen Verfolgung werden die Christen im Heiligen Lande besonders erwähnt: obwohl sie Furchtbares erlitten, ertrugen sie es mit freudigem Bekennermut.

LeerAls Konstantin den Verfolgungen ein Ende setzte, durften auch die Christen in Palästina aufatmen. Nun wurden prächtige Kirchen gebaut, und Pilgerscharen kamen von allen Seiten, die heiligen Stätten zu besuchen. Zweifellos blieben auch manche von ihnen im Heiligen Lande, siedelten sich dort an und vermehrten die Zahl der ansässigen Christen. Nach dem Aufkommen des Mönchtums entfaltete sich auch in Palästina ein Klosterleben; das Kloster des Heiligen Sabbas, Mar Saba, südöstlich von Bethlehem in der Wüste Juda gelegen, wurde damals gegründet und besteht bis heute. Tausende von Einsiedlern bewohnten die heißen, aber von Quellen bewässerten Täler der Wüste. Justinian begünstigte Palästina besonders; er baute neue, bedeutende Kirchen, zum Beispiel in Nazareth. Im Jahre 451 wurde der Bischof von Jerusalem zum Patriarchen erhoben. Ihm unterstanden (wie Professor Albrecht Alt in einem Vortrag sagte, den er etwa 1934 in Jerusalem hielt) 84 Bischöfe in Palästina und Jordanien - ein Zeichen für ein reiches christliches Leben.

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LeerIn dieses christliche Land brachen plötzlich und unerwartet die islamischen Heere ein. 637 fiel Jerusalem in ihre Hände. Die Stadt zählte damals 50 000 christliche Einwohner. Der Kalif Omar erschien selbst, um die Übergabe der Stadt zu leiten. Der damalige Patriarch, Sophronius, ging ihm entgegen, empfing ihn demütig und führte ihn in die Stadt. Den Bewohnern wurden folgende Bedingungen auferlegt: Die Christen dürfen keine neuen Kirchen bauen, ihre Glocken nicht mehr läuten, sondern nur anschlagen; Kreuze und heilige Bücher dürfen nicht öffentlich gezeigt werden, die Christen dürfen nicht offen zu Mohammedanern von Religion sprechen; sie werden nicht zum Übertritt zum Islam gezwungen, dürfen aber einen freiwilligen Übertritt nicht hindern; den Mohammedanern müssen sie überall den Vorrang lassen; durchreisende Mohammedaner müssen sie drei Tage unentgeltlich verpflegen; sie müssen Kleider tragen, die sie von den Mohammedanern deutlich unterscheiden, dürfen keine Waffen führen, müssen aber eine Kopfsteuer bezahlen und den Kalifen als ihren Oberherren anerkennen. (Nach A. Lüttke, Das Heilige Land im Spiegel der Weltgeschichte.)

LeerDiese Übergabebedingungen sind für das Verfahren mit den Christen beispielhaft. Die Christen wurden, besonders in der Frühzeit der islamischen Herrschaft, milde behandelt, aber zu Bürgern zweiten Ranges degradiert. Das eigentliche Druckmittel, das mit der Zeit immer schwerer auf den Christen lastete, war die Kopfsteuer. Sie wurde nur von Christen, niemals von Mohammedanern erhoben und konnte beliebig erhöht werden; mit den Erträgen dieser Steuer wurden die mohammedanischen Heere unterhalten. Die christlichen Grundbesitzer verloren vielfach ihren Besitz, durften aber als Pächter auf dem Grund und Boden bleiben. Viele Christen hielten auf die Dauer diesem wirtschaftlichen Druck und der Degradierung nicht stand. Sie schlössen sich lieber dem Islam an. Daher ging die Zahl der Christen vom Jahre 637 an langsam, aber stetig zurück. Erst in späterer Zeit wurden Übertritte zum Islam auch durch Drohungen erzwungen.

LeerTrotz alledem verschwand aber die Christenheit des Landes niemals ganz, weder in Palästina noch in Transjordanien oder Syrien. Als die Kreuzfahrer im Jahre 1099 Jerusalem eroberten, unterstanden der Leitung des Patriarchen von Jerusalem immer noch 24 Bistümer in Palästina und Transjordanien. Während der Kreuzzüge faßten die orientalischen Christen neuen Mut, auch blieben aus der Ritterschaft und besonders aus dem Troß viele im Lande und verstärkten die einheimische Christenheit, besonders in Jerusalem und Bethlehem. In Bethlehem gibt es zum Beispiel bis heute eine Familie Cavalcante, die ihren Stammbaum auf die Kreuzfahrerzeit zurückführt. Aber mit dem Fall Jerusalems im Jahre 1187 und der Verdrängung der Kreuzfahrer aus dem Lande verstärkte sich der alte Druck auf die Christenheit im Orient wieder.

LeerDennoch haben die Christen in Palästina und überhaupt im Orient durch siebenhundert Jahre standgehalten. In Städten und in einer Anzahl von Dörfern wurden christliche Gemeinden, meist orthodoxen Bekenntnisses festgestellt, als vor etwas mehr als 100 Jahren die evangelische Mission in Palästina ihre Arbeit aufnahm. Das Eingreifen dieser Mission, in Palästina der englischen Kirchenmission und der deutschen Missionsvereine von Kaiserswerth, dem Syrischen Waisenhaus, dem Jerusalemverein und der Karmelmission, bedeutete für die orientalischen Christen eine Stärkung. Sie konnten ihre Kinder in den gut geleiteten Missionsschulen ausbilden lassen und hatten an der Mission einen Rückhalt. Daher war auch das Verhältnis der orientalischen Christen zur evangelischen Mission ein gutes und oft freundschaftliches. Ich selbst hatte als Leiter des Syrischen Waisenhauses in Jerusalem häufige Besuche orthodoxer und anderer Priester.

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LeerIn den besonderen Notjahren 1936-1939, während des arabischen Aufstandes in Palästina, flüchteten zahlreiche christliche Familien aus ihren Dörfern in die Städte und baten um die Hilfe der Missionen. Dabei stellte sich heraus, daß in viel mehr Dörfern, als man angenommen hatte, noch wenige christliche Familien zwischen den mohammedanischen Bauern wohnten, besonders in Samaria und Galiläa. Sie gehörten zu den Ärmsten, hatten meistens keinen Landbesitz und lebten als Dorfhandwerker und Landarbeiter, ganz der Willkür ihrer islamischen Dorfgenossen preisgegeben. Diese bemühten sich, ihren schutzlosen christlichen Dorfgenossen das letzte Stücklein Land, die letzten paar Olivenbäume, die sie noch besaßen, abzuringen, oder auch christliche Mädchen gelegentlich zwangsweise mit einem mohammedanischen jungen Mann zu verheiraten. Der Versuch, diesen Christen in der Zerstreuung, die nur sehr unvollkommen kirchlich versorgt waren, geistliche und wirtschaftliche Hilfe zu bringen, konnte nicht mehr durchgeführt werden, da der zweite Weltkrieg ausbrach.

Leer1948 floh der größte Teil der arabischen Bevölkerung Palästinas, Christen und Mohammedaner, vor der israelischen Armee. Dabei verloren die meisten alles, was sie hatten, und wurden zu einem sehr primitiven Lagerdasein verdammt. Doch zeigten hier die orientalischen Christen eine größere Tatkraft als die meisten ihrer islamischen Landsleute. Sie versuchten, oft mit gutem Erfolg, aus den Lagern herauszukommen und sich wieder eine Existenz aufzubauen. Dabei ergab sich allerdings eine gewisse Umschichtung der einst in Palästina ansässigen Christenheit. Hunderte sitzen noch im Staate Israel, meistens in den Städten Jaffa, Haifa und Nazareth. Tausende sind entweder nach Nord- oder Südamerika ausgewandert (was übrigens schon seit etwa 70 Jahren begonnen hatte), andere fanden Arbeit in Libyen, im Irak oder auch in Kuweit, meistens bei den großen Ölgesellschaften. Sie leben also stärker zerstreut als früher und haben auch in Syrien und im Libanon die ansässige Christenheit verstärkt.

LeerEs ist also immer noch christliches Leben im alten Palästina, in Jordanien, in Syrien und auch im Libanon. In Jordanien und Syrien schätzt man, daß etwa 10 Prozent der Einwohner Christen sind. Das wären in Jordanien ungefähr 14.000, in Syrien 35.000. Für den Libanon dagegen, den einzigen christlich bestimmten Staat des Nahen Ostens, nimmt man an, daß 60 Prozent der Einwohner Christen sind, das wären über 600.000.

LeerAber das Schicksal der Christen in den islamisch bestimmten Staaten ist ungewiß. Der steigende Nationalismus, das wachsende Selbstbewußtsein des Islam, die politische Verwirrung im Nahen Osten sind für die Christen bedrohlich. Sie kommen in die Gefahr, als unzuverlässige, zweifelhafte Elemente mit Mißtrauen betrachtet zu werden; auch werden sie, obwohl sie oft eine bessere Bildung aufweisen, in Staatsstellungen nicht gern gesehen. Es ist daher verständlich, daß immer mehr von ihnen daran denken, auszuwandern und irgendwo in der Welt eine weniger bedrohte Existenz zu finden. Die abendländische Christenheit aber sollte nicht mit Geringschätzung, sondern mit brüderlichem Sinn an die orientalische Christenheit denken, die durch so viele hundert Jahre unter ungünstigen, bedrängenden Verhältnissen treu an ihrem Glauben festgehalten hat.

Quatember 1957, S. 161-164

[Arabische Christen bei Wikipedia]

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-27
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