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Michaelsorden und -Bruderschaften
von Gerhard Hage

LeerWenn wir an dieser Stelle einen Überblick über die uns bekannten Michaels-Gemeinschaften geben, so geschieht das nicht, um eine Sammlung einiger seltener geistlicher Erscheinungen auszubreiten und auch nicht der Vollständigkeit halber. Uns scheint vielmehr in diesen Gemeinschaften etwas zum Ausdruck zu kommen, was sowohl für die Geschichte der Kirche wie auch für ihren geistlichen Kampf bemerkenswert ist.

LeerDie große Zeit der Michaelsbruderschaften ist mit dem Mittelalter vergangen. Zahlreiche mittelalterliche Kirchen, wie etwa der „Mont St. Michel”, sind die stehengebliebenen Zeugen der inzwischen vergangenen geistlichen Gemeinschaften an diesen Stätten. Zu ihnen gehört etwa der Orden vom Flügel des Heiligen Michael (ala St. Michaelis), ein 1147 in Portugal entstandener Ritterorden, der dem Abt des bedeutenden Zisterzienserklosters Alcobaca unterstellt war. Er war nach der Zisterzienser-Regel geordnet und bestand aus portugiesischen Adligen, die sich gleicherweise zum Schutz des Glaubens und der Wehrlosen zusammengeschlossen hatten. Der enge Zusammenhang der zisterziensischen Reform und der ritterlichen Kultur des 12. Jahrhunderts wird hier sichtbar. Das Bild des christlichen Ritters steht vor uns. Der Orden hatte freilich kein langes Leben. Er erlosch bereits 1211.

LeerZu dieser Art von Orden gehört auch der französische Ritterorden vom Heiligen Michael, der 1469 von dem König Ludwig XI. gestiftet wurde und bis zur französischen Revolution bestand. Nach einer Unterbrechung lebte er dann 1825 als Verdienstorden noch einmal für kurze Zeit auf.

LeerAlle heute in der römisch-katholischen Kirche bestehenden Michaelsgemeinschaften sind Schöpfungen der Neuzeit oder der neuesten Zeit. An erster Stelle muß hier eine Schwesternschaft genannt werden, die Damen vom St. Michael, die auch „Schwestern von der Zuflucht” heißen. Dieser Orden ist eine Gründung des heiligen Johannes Eudes. Dieser ist einer der großen Erneuerer des christlichen Lebens in der römisch-katholischen Kirche des 17. Jahrhunderts, dem es vor allem um die Verehrung des Herzens Jesu ging. Nach anfänglichen Mißerfolgen gründete er den Orden 1644 in Caën in der Normandie und baute ihn nach der Augustiner-Regel auf. Als Ziel gab er ihm den Dienst an sittlich gefährdeten, schwer erziehbaren und gefallenen Mädchen. Es ist ein ausgesprochener Orden für Büßerinnen, der das Element des geistlichen Kampfes in einer sehr verdichteten Form darstellt. Zu den bekannten drei Gelübden der Armut, Ehelosigkeit und des Gehorsams tritt ein viertes Gelübde, das Gelübde, für die Rettung der Seelen zu wirken.

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LeerUm 1783 hatte der Orden in Frankreich sieben Häuser. Er überstand die schweren Verfolgungen der Revolutionszeit, in der die Schwestern unsägliche Leiden durchmachen mußten. 1808 kehrten 29 Schwestern nach Caën zum Neuaufbau zurück. Ihre Arbeit tun sie heute außer in Frankreich noch in Italien, England, Irland, Österreich, Spanien, Mexiko, Kanada und USA in über vierzig Häusern, deren Mittelpunkt das Haus St. Michel in Paris ist. Sie tragen eine weiße Tracht mit schwarzem Schleier. Ihre Erziehungsarbeit geschieht nach ganz eigenen Prinzipien, indem sie ihre Schützlinge stufenweise in vier Gruppen sammeln, die ganz getrennt voneinander leben. Die erste Stufe trägt den Namen „St. Augustin” und erfaßt die Gefährdeten und die Verwahrlosten. Die zweite Gruppe heißt „Herz Jesu” und betreut die Jugendlichen, die eine Nacherziehung brauchen. In der dritten Stufe, der „Schutzklasse”, sind schwer erziehbare Mädchen vereint sowie verwahrloste Schulkinder und solche, die für eine Stellung ausgebildet werden. Die vierte Gruppe, „Ausharrende” oder Hauskinder, sind Mädchen aus der ersten bis dritten Gruppe, die länger im Haus bleiben und sich noch weiterbilden.

LeerIn die Nähe dieser Gemeinschaft gehört die polnische Kongregation der Schwestern vom Heiligen Erzengel Michael, die 1892 von Bronislav Markiewitz gegründet wurde. Ihr Mutterhaus befindet sich in Miejsce Piastowe. Die Kongregation hat die Aufgabe, Waisen- und Findelkinder zu erziehen.

LeerAn weiteren Genossenschaften müssen noch genannt werden die Kleinen Schwestern vom heiligen Michael im apostolischen Vikariat Phat Diem (Hinterindien). Sie sind 1906 aus einem Pariser Seminar hervorgegangen und stellen eine einheimische Missionskongregation dar.

LeerEine starke militante Gemeinschaft aus älterer Zeit ist der bayrische Michaelsorden. Seit dem Jahre 1837 ist er zwar ein reiner Verdienstorden des Königreichs Bayern gewesen, der 1918 mit diesem zugleich erloschen ist. Ursprünglich aber war er seit seiner Stiftung im Jahre 1693 durch den Kölner Kurfürsten Josef Clemens von Bayern in mannigfacher Weise für die Aufrechterhaltung des katholischen Glaubens tätig.

LeerMilitant ist auch die St. Michaelsbruderschaft. Sie ist in den Kämpfen um den Kirchenstaat unter Pius IX. entstanden, im Jahre 1860 in Wien gegründet und in Österreich, Deutschland und Italien verbreitet. Ihr Ziel ist die Unterstützung des Papstes auf die verschiedenste Art und Weise: Gebet (täglich ein Vaterunser, Ave Maria, Credo), Opfer (monatlich mindestens 2 Pfg.). Das ursprüngliche Ziel war die Wiederherstellung der weltlichen Macht des Papstes.

LeerIn dieselbe Gruppe gehört auch die Skapulierbruderschaft vom Heiligen Michael. Sie ist 1878 in Rom gegründet, wo ihr Sitz in St. Angelo in Pescaria besteht. Das Gebiet dieser Bruderschaft, deren Mitglieder ein schildförmiges blau-schwarzes Skapulier mit dem Bild des Erzengels tragen, ist auf die Freiheit der römischen Kirche und die Ausbreitung des Reiches Christi gerichtet.

LeerGanz anders geartet ist eine Michaelsbruderschaft in der Erzdiözese Freiburg. Sie ist eine „Erzbruderschaft” zu Ewigen Anbetung des Altarsakraments und besteht seit 1856.

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LeerSchließlich müssen wir noch eine Gruppe von Michaelsgemeinschaften nennen, die ausgesprochen missionarischen Charakter tragen. Dazu gehört die Kongregation St. Michael aus Böhmen, die aus Priestern und Laienbrüdern besteht und ihren Sitz in Bilin hat. Sie ist 1920 von dem Pfarrer Alfred Pattloch gegründet und beschäftigt sich mit dem Presse-Apostolat in der Heimat und in den Missionsländern, wie auch mit der Förderung der Exerzitienbewegung. Ihre Monatsschrift trägt den Titel: „Das Schwert des heiligen Michael”.

LeerZuletzt nennen wir noch die Missionsbrüder vom Heiligen Michael, die speziell zur Unterstützung der Maryknoller Missionare aus New York da sind. Diese Bruderschaft wurde 1911 in USA gegründet und ist ein Zusammenschluß von Weltpriestern, die die lebenslängliche Verpflichtung zur Mission auf sich genommen haben. Ihre Seminare befinden sich in der Mandschurei, Korea, Hawaii, Philippinen, früher auch in China.

LeerEs ist wirklich ein buntes Bild, das sich uns darbietet. Auffallend ist die kleine Zahl der Gemeinschaften, die in unserer Zeit in der Gestalt des Erzengels Michael ihren Patron sehen, verglichen etwa mit der Fülle von marianischen Gemeinschaften in der römisch-katholischen Kirche. Ob dies nicht auch ein Symptom dafür ist, daß das Verständnis für den mit dem Namen Michael verbundenen Kampf geschwunden ist zugunsten einer alles andere überwuchernden marianischen Frömmigkeit? Die Michaelsgemeinschaften leben alle unter dem Zeichen des Erzengels und wollen in irgend einer Form dem geistlichen Kampfe dienen. Wie verschieden freilich diese Formen und das Verständnis des geistlichen Kampfes in diesen Gemeinschaften ist, kann man wohl deutlich sehen.

LeerEinmal ist es die Diakonie an Elenden und Geringen bei den „Schwestern von der Zuflucht”, die zugleich einen Kampf gegen sich selbst und den eigenen Stolz führen wie eben gegen die Versuchungen und Angriffe auf die ihnen anbefohlenen Menschenkinder. Ein anderes Verständnis des geistlichen Kampfes liegt wieder vor bei den missionarischen Gemeinschaften, die mit der Martyria, dem Zeugnis, gegen den Götzendienst des Heidentums angehen gemäß dem Namen ihres Schutzpatrons: Michael, das heißt: Wer ist wie Gott? Völlig anders wieder wird der geistliche Kampf verstanden bei denen, die in rein kirchenpolitischer Weise einen militanten römischen Katholizismus vertreten. Das alles unter dem Zeichen des Erzengels Michael!

LeerEs liegt uns fern und es steht uns auch nicht zu, Urteile über Erscheinungen in der Kirche zu fällen, die wir nur literarisch, aber nicht lebensmäßig kennen. Als Christen, die sich selber dem geistlichen Kampf im Zeichen Michaels verpflichtet wissen, können wir freilich nichts anderes und besseres tun, als den Ruf: „Wer ist wie Gott” zunächst an uns selbst und unser Werk zu richten. Es bedeutet schon etwas, wenn man sich unter einen so großen Namen stellt.

Quatember 1957, S. 224-226

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-27
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