Startseite
Inhalt
Inhalt 1957
Jahrgänge
Autoren
Suchen


Luther über das Ordenswesen
von Heimo Begusch

LeerSeit den Tagen der Reformation ist die Frage nach dem Lebensrecht des Ordens in der Theologie des Protestantismus nie mehr so heftig erörtert und so wesentlich, nämlich durch Gründung evangelischer Orden und mit der Stiftung zahlreicher Bruderschaften, beantwortet worden, wie das heute geschieht. Eine neue Urteilsbildung in dieser Frage wird keiner Landeskirche erspart bleiben. Aus diesem Anlaß erscheint es geboten und sinnvoll, die Stellung der Väter der Reformation, vor allem Luthers, zum Ordenswesen eingehend zu studieren und kritisch zu sichten.

LeerLuthers Ansichten über das Mönchtum sind ja sehr vielschichtig, sein Urteil ist nicht so einseitig ablehnend, wie allgemein angenommen und gegen evangelische Ordensgründungen ins Treffen geführt wird. Solche positive, mehr unbekannte Äußerungen des Reformators über das Mönchtum haben wir im Taufsermon von 1519 vor uns, und zwar aus der Zeit nach der Leipziger Disputation, nachdem die Bindung an Rom praktisch schon zerrissen war.

LeerUnter den drei „Sermones”, die Luther im Herbst 1519, angeregt dazu von „guten frund, vetter und herrn” (WA 2, S. 713, Z. 9), der frommen Herzogin Margarete von Braunschweig-Lüneburg widmete, die Luthers Sache wohlwollend geneigt war, befindet sich „Eyn Sermon von dem heyligen Hochwirdigen Sacrament der Tauffe” (WA 2, S. 727 ff.), in welchem der Verfasser auch Stellung nimmt zum Wert und Sinn der Ordensgelübde und ihr Verhältnis zum Taufversprechen klären will. Die wenigen Druckzeilen, die Luther zur Klärung dieser Frage im Gesamtrahmen jener Taufbetrachtung verwendet - die ganze Schrift ist in zwanzig Abschnitte gegliedert und umfaßt nur acht Blätter in Quart, wobei die letzte Seite leer ist -, erhalten durch die Tatsache, daß sie in einer unpolemischen Erbauungsschrift stehen, aufschlußreiche Bedeutung und verdienen entsprechendes Interesse. Zu Luthers Zeit fand diese Schrift reiche Verbreitung. Die Weimarana verzeichnet neben dem Urdruck, aus dessen Impressum wir den Tag der ersten Veröffentlichung ersehen können - es war der 9. November 1519 -, 15 Nachdrucke bis zum Jahre 1523 (vgl. WA 2, S. 724 ff.).

LeerDas Verständnis der Heiligen Taufe, wie es Luther hier vorträgt, ist stark geprägt von seinem sogenannten reformatorischen Erlebnis und entspricht durchaus der theologia nostra, die Luther und seine Freunde damals mit großem Eifer in Wittenberg vortrugen und in zahlreichen Schriften unters Volk brachten. Augustinus spielt darin keine geringe Rolle.

LeerGanz entsprechend dem radikalen Ernst, mit dem Luther in der ersten seiner 95 Thesen gefordert hatte, „daß das ganze Leben der Gläubigen nichts als Buße sein soll”, sagt er hier von der Taufe: „Drumb ist diß gantz leben nit anders, dan eyn geystlich tauffen an unterlaß biß yn denn todt” (WA 2, S. 728, Z. 16 f.). Nach Luther vollendet sich das Aus-der-Taufe-Heben erst am Jüngsten Tag. Das Tröstliche an der Taufe ist, daß Gott sich mit uns verbindet, uns die Sünde nicht zurechnet, die auch nach der Taufe in der menschlichen Natur waltet. Abgesehen von dieser Sündenvergebung, bei deren Beschreibung Luther die termini seiner Rechtfertigungslehre verwendet und sein radikales Verständnis der Erbsünde und ihrer Folgen darlegt, dient die Taufe, seiner Meinung nach, ebensosehr zur Sündenaustreibung. Uns ist auferlegt, kraft der Taufe, an die wir uns zu klammern haben, weil sie die Sünde zudeckt, uns immer mehr und mehr von der Sünde zu befreien. Gott will uns umschaffen und vollenden, wie der Töpfer ein unter seiner Hand mißratenes Gebilde zurechtknetet und neuformt und „übet dich deyn lebelang mit vilenn guten wercken und mancherley leyden, damit er thut, das du begeret hast yn der Tauff, das ist, das du wilt der sund loß werden, sterben und new auffersteen am Jüngsten tag, und alßo die tauff volnbringen”.

Linie

LeerDas Taufwerk zu vollenden bieten sich, nach Luthers damaliger Anschauung verschiedene Wege an. Gott hat „mancherley stend vorordnet, in wilchen man sich üben unnd leyden leren soll” (WA 2, S. 734, Z. 25). Luther nennt hier den ehelichen Stand, den Ordensstand und den Stand der regierenden Geistlichkeit, worunter er besonders Pfarrer und Bischöfe versteht. Allen hat Gott befohlen, Mühe und Arbeit zu haben, „das man das fleysch toedte” (WA 2, S. 734, Z. 27 f). Die Taufe hat „allen ein gemeyn maß gesetzt, das ein yglicher seyns Stands sich prueffe, wilche weyße yhm am besten forderlich sey, der Tauff gnug zu thun”.

LeerSo beantwortet Luther die „gemeyne frag” , ob das Taufgelübde oder „die gelubd der keuscheit, priesterschafft, geystlicheit” (WA 2, S. 735, Z. 30 f.) höher zu bewerten seien, zwar dahingehend, „das keyn hoher, besser, groesser gelubd ist, dan der tauff gelubd” (WA 2, S. 736, Z. 3 f.), wie das in der heutigen Theologie auch geschieht. Denn in der Taufe geloben wir alle das gleiche, nämlich die Sünde zu töten und heilig zu werden „durch gottis wircken und gnad, dem wir unß dargeben und opfern” (WA 2, S. 735, Z. 36). Und mehr kann man nicht geloben, „dan alle sund vortreyben, sterben, diß leben hassen und heylig werden” (WA 2, S. 736, Z. 4 f.). Der Anschauung, daß die Geistlichen (gemeint sind vor allem die Ordensleute) „eyn beßonders habenn und hohers” (WA 2, S. 735, Z. 32 f.) setzt er auch klar entgegen: „ist da keyner besser dan der ander” (WA 1, S. 735, Z. 37). Aber Luther zeigt noch durchaus warmes Verständnis für die verschiedenen Arten und den besonderen Weg, mit denen der einzelne Christ seiner Taufverpflichtung nachkommen kann. Im Gegensatz, dazu steht die „Parochialhäresie” vieler Protestanten.

LeerEr gebraucht für diese Mannigfaltigkeit der Möglichkeiten, christlichen Glauben darzustellen, das anschauliche Bild zweier Menschen, die derselben Stadt zuwandern und sich dabei getrennte Wege aussuchen, um zum gemeinsamen Ziel zu gelangen. Der eine entscheidet sich für den Fußsteig, während der andere die Landstraße wählt.

LeerDas Aufsuchen eines bestimmten Standes ist erlaubt, ja sogar wünschenswert, meint Luther, wie seine Äußerung beweist, daß einer das Taufgelübde in der Ehe besser erfüllen kann als allein lebend. Einer falschen Gleichmacherei spricht er sehr deutlich die Berechtigung ab: „Mag nit eyne weyße odder stand seyn” (WA 2, S. 735, Z. 38 bis S. 736, Z. 1). Luther kennt noch nicht das nivellierte Christenleben in den landeskirchlichen Gemeinden. Für ihn stellt auch der Ordensstand eine solche Möglichkeit dar, der Taufe zu entsprechen. Der Ordensstand bildet sogar eine bessere Möglichkeit als die Ehe. Schon der Mensch, der in die Ehe tritt, belädt seine Natur mit Mühen und Leiden: „Wer aber mehr leyden sucht und durch vill ubung will kurtzlich sich zum tod bereyten und seyne tauf werck bald erlangen, der pind sich an die keuscheyt odder geystlichen orden” (WA 2, S. 736, Z. 12-14).

Linie

LeerDarin besteht also der Sinn des Ordenslebens, einen leidvolleren, kürzeren und radikaleren Weg der Nachfolge anzubieten. Dieser Stand ist aber eben nur dann sinnvoll, wenn er voll Leiden und Marter ist und mehr Übung seiner Taufe habe als die Ehe (vgl. WA 2, S. 736, Z. 14 ff.). Die positive Bewertung des Mönchtums durch Luther beruht also auf der Feststellung, daß durch ein Ordensleben dem Taufgelübde in besonders guter Weise entsprochen werden kann. Diese Aufgabe des Ordenslebens sieht er schon 1519 im Ordenswesen seiner Zeit kaum mehr erkannt und wahrgenommen, die er aber dann 1520, seit den Reformatorischen Hauptschriften, fortgerissen von radikaler Kritik und leidenschaftlicher Polemik, überhaupt dem ganzen Mönchtum auf das schärfste abstreitet. In unserem Taufsermon, den er auch um der betrübten und geängsteten Gewissen willen schrieb, das er bei sich selbst erfahren, hat das Mönchtum auf dem Wege zum Heil - für Luther vor allem das Heil der einzelnen Seele, die um den gnädigen Gott ringt und gegen die Sünde streitet - noch seinen unbestreitbaren Platz! (Was nicht bedeutet, daß der Ordensstand der Heilsweg ist.)

LeerLediglich der regierende Stand der Geistlichen, Bischöfe und Pfarrer, ist noch höher einzuschätzen. Die sollen sich stündlich durch Leiden und Werke zum Tode bereiten, um ihret-und der ihnen Anvertrauten willen. Von diesem Amt für den andern, der stellvertretenden Funktion der Orden im Leben der Kirche, finden wir nichts in den knappen Bemerkungen Luthers. Vielleicht, weil ihnen ein zu geringer Raum gegönnt war. Sehr wahrscheinlich aber liegt das stellvertretende Amt nicht mehr klar genug im Blickfeld der Ordensvorstellung Luthers. Ein Restbestand dieses Wissens liegt aber doch noch der Beurteilung des Ordens, als beispielhafte Stätte christlichen Lebens beim Vollbringen der Taufe zugrunde.

LeerWohl drängte es ihn, bei dieser Erörterung der Gelübdefrage einzuschärfen, wie wichtig es für alle Stände sei, sich von übertriebener Askese zu distanzieren, Maß zu halten, weil hier Übertreibung nur schadet und dem Nächsten nicht nützt, sondern vielmehr dem Dienst der Nächstenliebe hinderlich ist.

LeerEbenso wichtig bleibt es, der Taufe und ihrer Bedeutung nicht zu vergessen, wie Luther es damals bei denen feststellen mußte, die sich, seiner Meinung nach, der Werkheiligkeit zugewendet hatten und nach Größe und Menge der Werke richteten, um Verdienste zu sammeln. Darüber hat man auch die Stände und die verschiedenen Möglichkeiten, die sie für den Christen bieten, vergessen und weiß fast nicht mehr, wozu solche Stände eingesetzt sind, „oder wie man sich drynnen halten soll tzur tauffe erfullung” (WA 2, S. 736, Z. 28 f.). Luther führt darüber bewegte Klage: „Es ist eyn pompa drauß worden, und nur eyn weltlicher scheyn kaument ubirbliben, wie Jsaias sagt: Deyn silber ist schäum worden, unnd deyn weyn ist wesserig worden. Das erbarme Gott, Amen” (WA 2, S. 736, Z. 29 ff.).

LeerAber diese schmerzliche Feststellung, die Luther hier macht, und die bitteren Worte, die er sonst noch in dieser Schrift, vor allem im Abschnitt 17, gegen die Werkheiligkeit findet, verdunkeln ihm nicht die Erkenntnis, daß gemeinschaftliches Leben, durch Gelübde geordnet, ein notwendiges Daseinsrecht im Organismus der Kirche hat und dem Evangelium nicht widerstreiten muß.

Quatember 1957, S. 226-228

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-27
Haftungsausschluss
TOP