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Meditationsräume in Amerika
von Werner Dicke

LeerWährend einer mehrmonatigen Studienreise durch die Vereinigten Staaten von Nordamerika ist aufgefallen, daß dort verschiedene Meditationsräume neu eingerichtet worden sind, die in ihrer Anlage und Zweckbestimmung so besondersartig sind, daß darum zu wissen, für den Leserkreis von „Quatember” sicherlich von Interesse ist. Es soll nachstellend über zwei solcher Meditationsräume berichtet werden. Dem aufmerksamen Beobachter amerikanischer kirchlicher und religiöser Verhältnisse wird es auffallen, daß trotz Unruhe und Betriebsamkeit in den Kirchen und Religionsgemeinschaften eine starke Bewegung zur Verinnerlichung und Stille vorhanden ist. Diese Bewegung findet ihren Niederschlag in einem starken liturgischen Interesse und in hohen Abendmahlsziffern, die die einzelnen Gemeinden aufweisen können.

LeerBesonders eindrucksvoll ist der Meditationsraum, der im unmittelbaren Anschluß an das Gebäude der Theologischen Fakultät der Drake University Des Moines, Iowa, errichtet worden ist. Dieser Meditationsraum ist die Stiftung eines vermögenden Inhabers einer großen Baufirma, der bereits sehr erhebliche Stiftungen für die Drake University und besonders auch für die Evangelische Theologische Fakultät gemacht hat.

LeerDer äußerlich sehr moderne Meditationsraum ist eine Rotunde ohne Fenster, die nur von einer mehreckigen Öffnung der Decke Licht erhält. Dieses Licht fällt unmittelbar auf einen großen kreisrunden, sehr schönen Stein, einen „Kommunion-Tisch”, der wiederum auf einem großen, besonders schön bearbeiteten niedrigen Steinpodium steht. Um diesen runden Stein ist eine Bankreihe geschaffen mit 24 Sitzen, die einen sesselartigen Charakter haben, und zwar so, daß sich die in diesem Raum Meditierenden kaum sehen können. Der Raum ist mit einer besonders schönen kleinen Orgel versehen. Falls mehr als 24 Besucher in dem Raum sind, können die Eintretenden gleich an der Eingangstür sehen, daß der Raum besetzt ist und warten still an einer Stelle des Raumes, ohne von den Meditierenden gesehen zu werden und ohne selbst die Meditierenden beobachten zu können. Es ist durch geschickte architektonische Gestaltung weitgehend die Ruhe und Stille dieses Raumes gewährleistet. Es erhebt sich natürlich die Frage, ob es richtig ist, vor einem Stein in dieser Form zu meditieren. Ein Kreuz über Krone und Weltkugel ist oben an der Lichtöffnung angebracht, sonst ist der Raum ohne Schmuck. Es konnte mir nicht gesagt werden, ob auf diesem altarähnlichen Stein das Abendmahl gefeiert wird.


Meditationskapelle


LeerDer andere Meditationsraum, der mein besonderes Interesse gefunden hat, ist in dem großartigen Gebäude der Vereinten Nationen in New York, einem fast 40 Stockwerk hohen Wolkenkratzer, dessen Außen- und Innenarchitektur den Besucher immer wieder ganz besonders deswegen beeindruckt, weil dieses Riesenhaus eine erstaunliche Leichtigkeit und Klarheit zeigt, und die Besucher, die aus aller Welt mit vielen Sorgen und Problemen kommen, schon durch die Art der Architektur in eine friedlichere und beruhigende Atmosphäre aufnimmt.

LeerGleich am westlichen Eingang dieses Gebäudes befindet sich ein Meditationsraum, der für den Gebrauch der Delegierten und Besucher bestimmt ist, und zwar, wie ausdrücklich erklärt wird, für Personen aller Glaubensrichtungen, also nicht nur der christlichen Konfessionen, sondern auch des Buddhismus, Hinduismus, Mohammedanismus, aus den Religionen der ganzen Welt. Der einzige Schmuck dieses Raumes ist ein großer Stumpf eines ganz besonders wertvollen herrlichen Mahagoni-Baumes aus dem französischen Äquatorial-Afrika. Dieser Stumpf wird jeweils mit Grünpflanzen und Blumen geschmückt. Fraglos soll dieser Baumstumpf für die Andächtigen ein Hinweis auf den Schöpfer der Welt und Menschheit sein, von dem alle Erdenkinder und auch alle Religionen abhängig sind, und zu dem hin die Menschheit zu streben und nach seinen Weisungen zu leben hat.

LeerWenn auch dieser Raum nicht ein typischer, mit christlichen Symbolen ausgestatteter Meditationsraum ist, so schien mir hier aber doch noch stärker das Leben der Welt und dieses Kosmos in diesen Meditationsraum hineinzuklingen, als in den an sich sehr schön hergerichteten Meditationsraum, in dem der Steintisch zur Sammlung einlädt.

LeerJedenfalls sind solche Versuche und Erfahrungen, wie sie in den Vereinigten Staaten gemacht werden, sicherlich anregend und hilfreich für die Gestaltung von Meditationsräumen, wie sie zur Zeit auch in Deutschland und Europa versucht wird.

Quatember 1957, S. 228-229

[Anmerkung: Der Meditationsraum im UNO-Gebäude wurde 1957 neu gestaltet]

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-27
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