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Nach einem Menschenalter XXI von Walter Stökl |
Im Archiv des österreichischen Konventes der Evangelischen Michaelsbruderschaft wurde kürzlich ein längst vergessenes und verloren geglaubtes Tagebuch entdeckt, das während der „World Conference for Faith and Order” 1937 in Edinburg niedergeschrieben wurde. Heute sind der Weltkirchenrat und alle anderen Einrichtungen der Ökumene fast etwas Selbstverständliches. Damals - 1937 in Schottland - wurde der weittragende Entschluß gefaßt, die ökumenischen Bewegungen für praktisches Christentum (Life and Work) und für Glaube und Verfassung (Faith and Order) zusammenzulegen und den „World Church Council” mit dem Sitz in Genf zu gründen. Diese kirchliche Weltkonferenz war aber auch dadurch bedeutungsvoll, daß der Bericht der Sektion I über die Gnadenlehre einstimmige Annahme fand, von den angelsächsischen Freikirchen bis zu Lutheranern, Anglikanern und Orthodoxen. Dieses Dokument über die Lehre von der Gnade und Rechtfertigung, die gerade im Reformationsjahrhundert kontrovers war, hat eine so katholische Haltung, daß nicht nur die nichtrömische Christenheit sich darauf einigen konnte, sondern daß von da aus selbst mit der Gnadenlehre des tridentinischen Konzils ein Einverständnis denkbar wäre. In den zwanzig Jahren seit Edinburg hat freilich die Ökumene in dogmatischen Fragen kaum einen wirklichen Fortschritt auf die Einigung hin gemacht, weder in der Lehre von der Kirche, noch vom Amt, noch von den Sakramenten. Um diese Fragen wurde damals in Edinburg gerungen, sie sind heute so ungelöst wie je. Aber die Konferenz von Edinburg war auch durch die damalige politische Lage gekennzeichnet. Der deutschen Delegation verbot das nationalsozialistische Regime die Fahrt nach Schottland. Der Kampf zwischen dem Staat und der Bekennenden Kirche war heftig entbrannt. Nur Bischof Kreuzer von den Altkatholiken und Superintendent Sommer von den Methodisten erhielten die Reiseerlaubnis und versuchten in einer stürmischen Abendsitzung die Haltung der deutschen Regierung zu verteidigen. Andere kleine Gruppen, wie die Herrnhuter, hatten die Teilnahme aus Solidarität mit der Bekennenden Kirche abgelehnt. Da nun die Michaelsbruderschaft sechs Jahre zuvor (1931) in Deutschland gestiftet worden war und sich fast nur in Deutschland verbreitet hatte, ist es um so verwunderlicher, daß dennoch Brüder auf der Konferenz waren. Vier Brüder aus außerdeutschen Konventen, die damals schon bestanden, waren Mitglieder nichtdeutscher Delegationen und führten so die erste über persönliche Beziehungen und Gespräche einzelner Brüder hinausgehende Begegnung der Michaelsbruderschaft mit der Ökumene herbei. Von den vier Brüdern - einer aus Frankreich (Elsaß), einer aus der Schweiz, einer aus Österreich, einer aus der Tschechoslowakei - sind zwei nicht mehr unter den Lebenden, einer ist bald danach aus der Bruderschaft ausgetreten. So ist nur der Schreiber dieser Zeilen als Augen- und Ohrenzeuge da. Wir wollen hier Auszüge und Absätze aus den eng beschriebenen Blättern aus dem Jahr 1937 wiedergeben, die diese frühe Begegnung von Michaelsbruderschaft und Ökumene in Erinnerung rufen und festhalten möchten. Mit Professor Hromadka führte ich ein sehr eingehendes Gespräch über seine Kirche und die neue Bewegung unter den evangelischen Tschechen zur Kirche hin und dann ein freies, offenes und gutes Gespräch über die deutsch-tschechische Frage. Wir saßen schließlich ganz allein im Speisesaal, hatten alles um uns herum vergessen. Es war ein erstaunlich gutes Gespräch, nachdem vorher ein längeres tschechisch-slowakisches Gespräch in der Gesamtdelegation reichlich oberflächlich war und sich in antikatholischen Komplexen bewegte. Professor Hromadka sagte mir: „Zeigen Sie mir einen deutschen Lutheraner in der Tschechoslowakei, der etwas von Kirche weiß. Ich habe engen Verkehr mit einem römisch-katholischen deutschen Theologieprofessor. Wir besuchen uns, er betet für mich, ich für ihn!” Täglich wächst die Masse der papers, aber man wird auch täglich bedenklicher, ob diese ganz rationale, intellektuelle Art der theologischen Diskussion, noch dazu in so großem und alles umfassenden Kreis, einen wirklichen Sinn hat. Wenn es ein wirkliches Gespräch wäre von Konfession zu Konfession, wäre es jedenfalls fruchtbarer als so, wo es sich um ein Ringen um ein Minimum an Einheit in der theologischen Formulierung und Lehre handelt. Die Skepsis über den Wert, den Sinn und die Frucht solch einer Weltkonferenz in solchem Ausmaß ist auch sonst in der Konferenz groß. Beim Abendessen saß ich neben dem Dean of Chichester, ein sehr eindrucksvoller Mann, überaus lebendig, er überragt die anderen nicht nur leiblich um Haupteslänge. - Er will nach Marburg kommen und sprach sehr freundlich von Berneuchen. Er wußte nicht, daß F. Michaelsbruder ist und sagte: „Deshalb hat er sich so hilfreich erwiesen in unserer Kommission, weil er auch Bruder ist.” In meiner Untersektion hatte ich heute reichlich Gelegenheit, unsere besondere Stellung klarzulegen, bei der Frage vom Wesen des Sakramentes. Ich sprach ganz frei aus, daß wir uns wehren gegen die Einteilung: Hie Katholiken, hie Protestanten. Da gehören wir als Lutheraner zu den Orthodoxen, den Anglokatholiken und Altkatholiken. Am stärksten kam es zum Ausdruck bei der Frage der Zahl der Sakramente. Die Orthodoxen und die Anglikaner waren zuerst sehr verblüfft, dann hocherfreut, Bundesgenossen aus dem Lager des Protestantismus gefunden zu haben. Aber natürlich waren wir Lutheraner ebenso uneins wie die Anglikaner und die Orthodoxen. Es geht eben die Scheidung mitten durch die Konfessionen hindurch. Die Arbeit in der Untersektion ist heute beendet. Sie war ganz gewiß nicht fruchtlos. Der Abschluß war aber außerordentlich nett. Mir fiel schon auf, daß der deutsche Theologiestudent, der Übersetzer ins Deutsche, sehr lebhaft bewegt war von dem, was ich sagte. Dann stürzte er auf mich zu und fragte: Wissen Sie etwas von Berneuchen? Und es stellte sich heraus, daß es ein in England studierender Jungbruder aus Pommern ist. Nun sind wir fünf! Ein gutes Gespräch hatte ich mit Pfarrer de Saussure aus Genf, einem sehr aufgeschlossenen Neocalvinisten, Er hält in der Kathedrale von Genf monatlich eine Sakramentsfeier und wies uns hin auf die Bruderschaftsbewegung im Kanton Waadt. Er hat einiges Vortreffliches gesagt in meiner Untersektion. Wir spüren, daß unsere Gebetsordnungen eine große Hilfe auch für diese Tage sind. Wir Brüder wachsen recht zusammen durch gemeinsame Mahlzeiten, Spaziergänge und Gebetszeiten, sind nicht heimatlos in der Konferenz. Dabei sind wir ja keineswegs aus denselben Landschaften oder derselben Konfession, aber wir haben eben ganz und gar unsere Heimat in der Bruderschaft. Wir merken von Tag zu Tag mehr, daß man auf uns aufmerksam wird und von uns wissen will. Eben habe ich einen der Anträge formuliert und mir die Begründung überlegt, die wir vor die Konferenz bringen wollen, um unser Anliegen der Ökumene zu Gehör zu bringen. Wir merken aus manchem Gespräch, daß wir Bundesgenossen aus verschiedenen Lagern haben werden. Die Orthodoxen protestierten heute in meiner Kommission gegen die spiritualistische Fassung des Opferbegriffes und der ganzen Sakramentslehre, der Realpräsenz im Sakrament. Auch die Anglikaner denken im Grunde spiritualistisch. Aber sie denken überhaupt nicht viel nach, sondern feiern eben das Sakrament. Die ‚protestantische Masse’ hier auf der Konferenz nimmt wenig teil an den Beratungen über das Sakrament und wenn, nur negativ. Um so bitterer und größer war die Enttäuschung abends. Das „Weltluthertum”, Skandinavier und die wenigen kontinentalen Lutheraner, Slawen, Holländer, Franzosen, waren zusammen. Nichts als selbstsichere Kirche und Professoren, die feststellen, was sie durchgebracht haben in den Sektionen, und Kirchenfürsten, die das herrliche Erbe der lutherischen Kirche preisen, unbewegt von allen Sorgen und von den Einsichten, was jetzt der Kirche nottut. Wir gingen mit Zorn weg. Von halb neun bis halb zwölf dauerte dieses Selbstlob und die Feststellung, wo wir gesiegt hätten, was wir noch durchkämpfen müßten. Wir waren auf einer parlamentarischen Sitzung der Weltkirche, die in ihrer Fraktionssitzung beschließt, wie weiter vorzugehen ist. Von Gemeinschaft keine Spur. Heute nachmittag noch einmal zwei Stunden über das geistliche Amt. Der schöne Bericht, den die Untersektion gebracht hatte, wurde völlig verworfen. Die protestantischen Freikirchen und katholischen Gruppen der Anglikaner, Altkatholiken und Orthodoxen traten völlig klar auseinander. Sehr deutlich sagte der Vertreter der Orthodoxen: „Hier müssen wir einander bekehren, ihr uns und wir euch.” Aller anglikanischen Diplomatie gelang es nicht, den Graben zu überbrücken. Beim Frühstück ein interessantes Gespräch mit Siegmund-Schultze. Wir stellten übereinstimmend fest, daß unsere Sympathien den äußersten Flügeln, den Quäkern und den Orthodoxen, am stärksten zugewandt sind. Das sind auch keine Gegensätze, weil ja auch erstere wirklich sakramental leben. Interessant war auch seine Bemerkung über die Methodisten, die sich jetzt stark auf ihren lutherischen und Herrnhuter-Brüdergemeine-Ursprung besinnen und sehr viel stärker Kirche geworden sind und sehr anders als die Methodisten des Festlandes geradezu die sind, die Verbindung mit den anglikanischen Kirchen suchen. Das entsprach auch meinem Eindruck von einigen Methodisten. Die Fühlungnahme mit den Menschen wird immer interessanter, und es ist nicht das Schlechteste, was wir heute abend getan haben in einem kleinen ökumenischen Bruderschaftsgespräch, wenn man so sagen darf. Der Dean von Chichester hat es in die Hand genommen; ein Schwede: Brillioth, drei Orthodoxe: Florowsky, Zerkow, Zander, und ein amerikanischer Kongregationalist mit einem Michaelsbruder und mir bildeten das Kollegium. Wir stimmten alle einer Entschließung zu, die von möglichst vielen unterschrieben werden soll, daß auf ökumenischen Veranstaltungen der Liturgie und dem Sakrament mehr Raum gegeben werden soll, und wir kamen zu sehr schönen Plänen der Zusammenarbeit mit der englisch-anglikanischen St. Alban und St. Sergius Fellowship. Ich denke mir den Austausch ähnlich wie mit den nordischen Bruderschaften. Es ist übrigens sehr interessant für uns, zu entdecken, daß unsere Meßordnung sehr viel römischer und ostkirchlicher, beides zugleich, ist als die beiden anglikanischen Riten in ihrem ganzen Aufbau und manchen Stücken, die wir bewahrt haben. Die Diskussionen laufen weiter bis zum Ende. Weder die Untersektionen, noch die Sektionen, noch die Versammlung sind imstande, über das Amt eine Entschließung zustande zu bringen, der alle zustimmen und die einen Fortschritt in der Annäherung seit Lausanne darstellt. Alles ist schlaffes und totes Gerede. Das ist keine Methode, wie irgendwelche geistliche Dinge von solch ungeheurer Bedeutung geordnet werden können. Viel wichtiger ist folgendes, was mir erzählt wurde: Zwei Benediktiner-Abteien, eine in Belgien und eine in Frankreich, stehen mit anglikanischen Benediktinern mit besonderer Erlaubnis des Erzbischofs von Canterbury und des Papstes in Kommunionsgemeinschaft. Es bedeutet dies eine gegenseitige Anerkennung der Weihen und des Sakramentes auf einem kleinen Felde des monastischen Lebens. Die anglikanischen Benediktiner beten täglich auch für den Papst! Am letzten Verhandlungstag, wohl in einer der allerletzten Reden um ¼ 11 Uhr nachts, brachte der Dean of Chichester unseren Antrag vor und sprach durchaus in unserem Sinn. Er hat alles in sehr klarer Weise gesagt, was wir zusammengefaßt hatten, zum Teil fast in denselben Worten, wie ich es ihm in unserer Aussprache vorlegte. Er hat übrigens ausdrücklich auch die Anwesenheit der Michaelsbruderschaft erwähnt und ihr Interesse an diesem Antrag bezeugt und von unseren Erfahrungen in geistlichen Freizeiten gesprochen. Der Beifall war ganz schwach. Heute am Morgen hatten der Dean of Chichester, ein japanischer Bischof und ein anglikanischer Missionar von Japan an unserer Messe teilgenommen. Sie waren sichtlich beeindruckt. Nun haben wir siebenmal in St. Lukas gefeiert. Vielleicht hat am stärksten Eindruck gemacht, daß wir jeden Tag zwei Stunden früher aufgestanden sind als die anderen Delegierten, um unserer Sakramentsfeier in der Vorstadt willen. Aber wir haben gewiß nicht an Kraft verloren, sondern gewonnen. Gestern abend sprach mich der junge anglikanische Student an, der Sonntag in unserer Sakramentfeier war und bat mich um die Ordnung der Messe. Sie hätte so starken Eindruck auf ihn gemacht, da sie so starke eschatologische Züge trage. Quatember 1958, S. 33-37 |
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