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An die arbeitswütigen Brüder
von Helmut Hochstetter

LeerVon Zeit zu Zeit bekommen wir - und zwar immer vor den sogenannten heiligen Zeiten - rührende Ermahnungen auf den Tisch, doch ja diese „Zeit der Besinnung und Stille” zu nutzen, um dann mit um so größerer Freude in die Festlichkeit der hohen Kirchentage eingehen zu können. Die kirchlichen Verbände, Gemeinden und Werke werden darum gebeten, ihre Feiern in diese festliche Zeit zu verlegen.

LeerDas tun wir seit Jahren, das heißt: wir wollen es tun. Aber es ist nur umgekehrt. Die Weihnachtsfeiern, die wir sonst immer schon vor Weihnachten halten mußten, heißen jetzt Adventsfeiern. Statt weißer Kerzen kommen rote auf den Tisch, und statt des Christbaums brennt der „Adventskranz”, und das ganze heißt dann nicht festlich, sondern still und besinnlich. Im übrigen gibt es Kärtchen und Backwerk und Schriftchen und jene seltsame Mischung von Kaffee- und Gesangbuchgeruch, der das eigentümliche Parfüm unseres inner-gemeindlichen Betriebes geworden ist. Geselligkeitsstil nach ungeschriebenen, unbeugsamen Gesetzen. Daß Blockflöten und Handgewebtes heute zum Kerzenschein nicht fehlen dürfen, versteht sich von selbst. Wenn zum drittenmal „O Heiland, reiß die Himmel auf” ertönt, sehne ich mich nach Plüsch, Harmonium und „Süßer die Glocken nie klingen”. Das paßt wenigstens zu Kaffee und Spekulatius.

Leer„O Heiland, reiß die Himmel auf” kann man nur auf den kalten Steinen einer dunklen Kirche kniend hören.

LeerDie Forderung, man solle die Feste in der Festzeit feiern, ist absurd. Man soll zwar die Feste feiern, wie sie fallen, aber man kann sie nicht mehr so feiern, und zwar deshalb nicht, weil die Feste Arbeitscharakter angenommen haben. In der Arbeitswelt - was das gleiche sein dürfte wie die Tautologie „säkularisierte Welt” - entzieht sich nichts mehr dem Totalitätsanspruch der Arbeit. Die einzige Tätigkeit, die sich dem Anspruch der Arbeit entziehen kann, sind Gottesdienst und Liebesdienst. Das ist auch der innere Grund, warum seinerzeit die Zeitung „Das Schwarze Corps” die Pfarrer Arbeitslose genannt hat. Von Rechts wegen gebührt ihnen diese Bezeichnung, und sie müßten auf den Arbeitsämtern als nicht unterstützungsberechtigte Arbeitslose geführt werden.

LeerDie Echtheit von Gottesdienst und Liebesdienst ist nämlich daran zu erkennen, daß sie von dem, der sie übt, nicht als Arbeit gewertet werden. Gottesdienst und Liebesdienst haben den Charakter der Feier und sind daher ausschließender Gegensatz von Arbeit. Das Kriterium der Arbeit ist nun allerdings nicht in der durch sie bewirkten Abspannung und Müdigkeit zu erkennen - Gottesdienst und Diakonie machen rechtschaffen müde -, sondern eben darin, daß man beim Arbeiten nicht feiern, beim Feiern unmöglich arbeiten kann. Empfindet ein Diener beim Gottesdienst sein Handeln als Arbeit, so ist das ein Zeichen dafür, daß die Feier sich in ihr Gegenteil verwandelt hat und vom Leviathan Arbeit verschlungen wird. Hier ist dann nicht Christus, sondern Belial.

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LeerUntätigkeit, inertium, sind keineswegs Kennzeichen der Feier. Im Gegenteil, eine Feier nimmt unser Tun mit in Anspruch, während es heute Arbeitsweisen gibt, die eine Tätigkeit ausschließen. Hier zeigt sich denn, etwa bei der beginnenden Automation, der Sklavencharakter der Arbeit. Der Gefangene ist entweder zu erschöpfender, unaufhörlicher Arbeit oder zu vollkommener Untätigkeit verdammt. Der Freie darf tätig sein - er kann gar nicht anders als tätig sein. Untätigkeit engt den Raum der Freiheit ein, doch erweist sich die Tätigkeit als etwas ganz anderes und auch viel Umfassenderes als die Arbeit.

LeerIch möchte nicht leugnen, daß die Vorbereitung der Feier, daß auch die darauf folgende, von manchen als Nachbereitung bezeichnete, unerläßliche Tätigkeit Arbeitscharakter hat. Das Fest selbst aber ist dem Zwang enthoben, und seine Gesetzmäßigkeit spiegelt die Ordnung des gestirnten Himmels, nicht aber die Mechanik eines Motors wider. Der Himmel scheint, schimmert, leuchtet, strahlt, droht, zürnt, ist allen Wechsels fähig und bleibt doch der eine Himmel. Die Maschine aber funktioniert, und das auch nur dann, wenn die Konstanz ihrer Bedingungen erfüllt ist. Man wird das Gefühl nicht los, daß unsere Gottesdienste und Feiern, wenn sie am Schnürchen ablaufen, gut geölte Mechanismen, wenn sie schleppend und langsam sind, schlecht funktionierende Apparate sind. Die Wolke, die über den Himmel zieht, vermag ihn zu verhüllen, nicht aber zu ändern - ein „Versagen” im Gottesdienst (der Liturgie ist und nicht Programmabwicklung) ändert sein Wesen nicht. Wenn die Gemeinde von quietschender Orgel begleitet ist, vermag das zu stören, aber die Feier nicht zu verändern.

LeerWenn wir also die Feste nicht mehr feiern wollen, wie sie fallen, so hängt das damit zusammen, daß wir Feste überhaupt nicht mehr feiern, sondern „leisten”. Einer sich selbst heiligenden Welt von Arbeitern hat es beliebt, das Studium der Bibel als Bibelarbeit zu bezeichnen. Ihr Wert ist damit erwiesen. Bibelbetrachtung, -Auslegung, -lesen sind demgegenüber Tätigkeiten von minderem Rang. Nur was Arbeit ist, hat Wert. Ähnlich verhält es sich mit der Predigt, deren Arbeitscharakter an der freudlosen Anstrengung von Predigern und Hörern zu erkennen ist. Eine Predigt muß man feiern, weil sie ein Stück des Festes ist. Sie braucht daher auch keinen Lohn in Form von Lob und Tadel, wie das der Arbeit gebührt. Die kritische Besprechung eines Gottesdienstes erinnert mich in peinlicher Weise an die Manöverkritik, als käme es darauf an, dem lieben Gott eine Schlacht zu liefern und das Predigerseminar zum ewigen Maßstab dessen zu machen, was Gott wohlgefällig ist.

LeerIn der Welt der Arbeit gibt es nur Arbeitnehmer und Arbeitgeber. In dieser Welt erscheint der clericus als Arbeitnehmer, die Gemeinde als Arbeitgeber. Das zu taufende Kind, der zu konfirmierende Konfirmand, das zu trauende Brautpaar, der zu bestattende Tote sind Arbeitgeber und haben gesetzlichen Anspruch auf eine Leistung. Die Besucher des Gottesdienstes haben ein Recht, in ihren Ansprüchen befriedigt zu werden. Das hat zur Folge, daß zur Weihnachtszeit der Kaufhof-Mensch in unsere Kirche einbricht, um hier Weihnachtsstimmung zu konsumieren. Er wird aber in seinem Anspruch nie ganz befriedigt, weil er Feier als Arbeitsleistung fordert. Was mit einem Gotteshause geschieht, das zum Kaufhause gemacht wird, kann jedermann im zweiten Johanneskapitel nachlesen.

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LeerHier nun schlagen wir an unsere eigene Brust und bekennen, daß wir auch die Feier unserer Gottesdienste vielfach eine Arbeit im Sinne einer menschenwohlgefälligen Leistung sein lassen, statt Gott die Ehre zu geben, und daß wir Gottes Wort zwar hören und lernen, aber nicht gern hören und lernen, was ja die kürzeste und treffendste Kennzeichnung des Unterschiedes zwischen Arbeit und Feier wäre, daß wir aber andererseits nicht dazu helfen, nicht besser dazu helfen, es gerne zu tun.

LeerMan kann aus allem eine Arbeit machen. Auch aus der Meditation kann eine Denkleistung werden, der die Anstrengung anzukennen ist. Aber manche vermögen gar nicht, es sich anders vorzustellen, als daß es eben anstrengend sein müsse - sonst könne es doch nichts taugen. Mit dem Arbeitsgierigen verhält es sich eben wie mit dem Geldgierigen, er kann alles nur nach dem Arbeitswert bemessen und hat ein schlechtes Gewissen, wenn sein Leben nicht Mühe und Arbeit gewesen ist. Er handelt wie die Alten aus dem neunzigsten Psalm, deren Stolz in Mühsal und Plage besteht. (Wörtlich heißt es im 10. Vers: Die Tage unserer Jahre hören auf mit siebzig und bei den Kräftigsten mit achtzig Jahren und der Stolz, den sie daraus ziehen, ist Mühsal und Nichtigkeit.) Das Traurigste, was man von einem Menschen auf seinen Grabstein schreiben kann, ist ja: „Nur Arbeit war sein Leben”.

LeerWelcher Zwang zwingt uns eigentlich, auch Helden der Arbeit werden zu wollen? Welcher Ehrgeiz dazu, möglichst viel zu tun zu haben? Kürzlich kamen ein paar befreundete Pfarrer zu einer Besprechung zusammen. Sie zogen, kaum hatten sie sich um den Tisch gesetzt, schwarze Büchlein aus ihrer Tasche. Ein Außenstehender hätte gedacht, es sei ihr Psalter oder ein frommes Buch, aus dem sie nun eifrig und mit Hingabe beten wollten. Aber - weit gefehlt - es waren die uniformen Terminkalender, aus denen sie mit besorgter Miene ihre vollbesetzten Arbeitstage und -stunden einander vorzulesen begannen. Bei den Pfarrern heißt das Amtskalender, denn was bei Luther noch Amt oder Hochamt hieß, das ist hier umgewandelt in eine Summe von Beschäftigungen, die mit dem Prädikat Arbeit ausgezeichnet werden.

LeerIm Mittelalter war die Kirche der letzte Zufluchtsort für den Verfolgten, die letzte Stätte der Freiheit. Wehe einem Volk von Priestern, das sie zur Galeere macht!

LeerIn summa meine ich, daß wir weniger arbeitsstolz, dafür aber tatenfroher sein, und daß wir aus unserem Oratorium kein Moratorium machen sollen. Vielmehr laßt uns dazu helfen, daß „so mancher Ort hochtröstlich ist zu nennen, da wir ihn finden können in Nachtmahl, Tauf und Wort”, wie es im Adventslied so unmodern und so schön heißt.

Quatember 1958, 37-39

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-30
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