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Katholische Ökumene
von Reinhard Mumm

LeerFür Leser des „Quatember” ist es nichts Neues, daß katholisch durchaus etwas anderes ist als römisch-katholisch. Es gibt innerhalb der ökumenischen Christenheit zahlreiche Kirchen, die sich mit voller Überzeugung als katholisch bezeichnen. Wir rechnen hierzu nicht nur die zumeist zahlenmäßig schwachen altkatholischen Kirchen der Utrechter Union, sondern durchaus auch die orthodoxen Kirchen und die (zumeist in der Lambeth-Konferenz zusammengeschlossenen) Anglikaner, die sich selbst, vor allem auf anglokatholischer Seite, mit Leidenschaft Katholiken nennen.

LeerDiesen nicht-römischen Katholiken gegenüber stehen innerhalb der Ökumene die „Protestanten”. Diese Selbstbezeichnung gebrauchen gern die Freikirchen. So klein ihre Mitgliederzahlen - trotz allem Wachstum in den letzten Jahren - auf dem europäischen Kontinent sind, so stattlich sind sie in der englisch sprechenden Welt vertreten. Als Protestanten verstehen sich wohl auch die Anglikaner der sogenannten Low Church oder Evangelicals und selbstverständlich die Reformierten.

LeerWohin aber gehört die Kirche Augsburger Konfession? Sie bekennt sich doch ausdrücklich zur una sancta catholica et apostolica ecclesia. Man hat bei uns ernsthaft überlegt, auch in deutschen Text des Credo zu sagen: „Ich glaube an eine heilige katholische und apostolische Kirche.” (Diese Fassung ist dann freilich doch wieder fallen gelassen worden aus Sorge um das bei uns fast unüberwindliche Mißverständnis: katholisch gleich römisch-katholisch.) Es gibt Bestrebungen, besonders innerhalb der Kirche von Schweden, die Katholizität in Verbindung mit der dort vorhandenen historischen apostolischen Sukzession der Bischöfe liturgisch, kirchenrechtlich und kirchenpolitisch stark herauszukehren.

LeerWir stellen darüber hinaus fest, daß sich auch Reformierte außerhalb von Deutschland sehr bewußt zum recht verstandenen katholischen Glauben bekennen, sei es Karl Barth aus dogmatischen Gründen oder die Brüder von Taizé mit ihrem monastischen Leben. Um diese katholische Frage ging es bei einer Tagung der International League for Apostolic Faitk and Order (ILAFO) im September in der südenglischen Landschaft Sussex im Bistum Chichester. Seit einigen Jahren vereint diese Organisation Vertreter der vorgenannten Konfessionen, jetzt unter dem Vorsitz des Primus-Bischofs der Episcopal Church von Schottland. Die ILAFO, besonders getragen von den in der Church Union zusammengeschlossenen Anglokatholiken (man nennt sie volkstümlich auch High-Church) Englands und der USA, möchte den katholischen Flügel innerhalb der Ökumene stärken. Dies geschieht durch Aussprachen über entsprechende theologische Themen: Die eine Kirche und die geteilte Christenheit - das Opfer in der Messe - die Realpräsenz Christi im Gottesdienst - die Bedeutung des Bischofsamtes und der apostolischen Sukzession - Beichte und Vollmacht zur Absolution.

LeerAber nicht nur diese Fragen, auf die die Lehre jeder Kirche entsprechend ihrer Eigenart und Überlieferung antwortet, sondern mindestens im gleichen Maße prägt das geistliche Leben anglikanischer Ordensleute das mehrtätige Zusammensein. Es macht auf einen „kontinentalen Protestanten” (so sieht man uns teilweise in England an) einen tiefen Eindruck, wenn ein anglikanischer Benediktinermönch jeden Tag eine meditative biblische Betrachtung hält und anschließend alle Anwesenden vom Bischof bis zum Studenten, Orthodoxe, Altkatholiken, Anglikaner, Lutheraner und Reformierte schweigend eine halbe Stunde miteinander in der Kapelle beten, jeder in seiner Art, kniend, stehend, sitzend oder auch liegend, in völliger Proskynese. Solches schweigende gemeinsame Gebet hat eine eigentümliche Gewalt, wie wir sie bei uns, wo man meint, immer Worte gebrauchen zu müssen, kaum kennt. Leben im Raum des Mysteriums Christi, opferbereite Hingabe im Sinn der drei alten Gelübde Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam und zugleich eine für alle Menschen aufgeschlossene fröhliche Lebensart begegneten uns in den zum Teil noch jungen fathers verschiedener Orden: Community of Resurrection, Oratorium vom „Guten Hirten” und anderen.

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LeerEs ist auch ein seltenes Erlebnis, Tag um Tag die Feier der Eucharistie in einer anderen Gestalt und Sprache zu erleben: anglikanisch, holländisch-altkatholisch, griechisch-orthodox, schwedisch- und deutsch-lutherisch.

LeerWir Teilnehmer wurden uns der Einheit des Gebets und der gleichzeitigen schmerzlichen Trennung in der Kommunion sehr bewußt. Es kann in diesem Bericht nur angedeutet werden, welche schwerwiegenden Probleme auftauchen, wenn Altkatholiken und Schweden auf Grund eines besonderen kirchlichen Abkommens bei der anglikanischen „Holy Communion” am heiligen Mahl kommunizierend teilnehmen, norwegische und deutsche Lutheraner aber ausgeschlossen bleiben, obwohl sich ihr Bekenntnis nicht im mindesten von dem der Schweden unterscheidet; und wenn umgekehrt die schwedischen Lutheraner sich bei der deutschen lutherischen Messe vom Altar fernhalten, während holländische Reformierte der Einladung zur Kommunion folgen. Hier wird nach unserer Einsicht die Einheit des Leibes Christi durch kirchenpolitische Erwägungen innerhalb der Ökumene zerstört, die einem gründlichen theologischen Denken nicht standhalten. In der Frage der Einheit am Tisch des Herrn läßt sich nichts erzwingen. Gerade hier ist viel Geduld und verstehende Liebe nötig.

LeerWie eigentümlich versöhnlich wirkt es da, daß die so merkwürdig getrennten „katholischen” Brüder an demselben Altar mit denselben heiligen Geräten, demselben Brot und Wein, in denselben (anglikanischen) Gewändern (weil keine anderen zur Hand waren) die Messe nach ihrer Ordnung und Sprache feierten! Und ebenso versöhnlich wie auch „katholisch” war es, daß wir alle miteinander in der Hauskapelle des bischöflichen Palastes von Chichester niederknieten, um von dem in der ganzen Welt verehrten Lordbischof Dr. Bell, der in Kürze resignieren wird, den bischöflichen Segen zu empfangen. Dr. Bell ist kein Anglokatholik, sondern ein „Low-church-man”, wie man drüben sagt, aber der würdige Inhaber des allgemeinchristlichen, bischöflichen Amtes der Kirche. Und eben auch damit waren wir in der „katholischen Ökumene” - weit über die ILAFO hinaus.

LeerEs wäre wichtig, noch manches zu sagen von den erheblichen Spannungen innerhalb der weltumspannenden anglikanischen Kirchenfamilie um die Probleme der südindischen und demnächst auch der nordindischen Union, in der sich auf dem Felde der „Jungen Kirchen” die Kinder verschiedener Missionen, meist englischen Ursprungs, zusammengeschlossen haben: Anglikaner, Methodisten, Kongregationalisten, Presbyterianer, Baptisten und einzelne Lutheraner. Kann es eine allgemeine Interkommunion und Interzelebration geben, wo man nur den gemeinsamen historischen Episkopat durch einen Weiheakt übernommen hat, aber in vielen Lehrfragen noch gar nicht einig ist? Hier haben unsere anglikanischen Brüder erhebliche Fragen zu lösen, die wir vorerst nur zur Kenntnis nehmen können. Sie ringen hart darum, bis an die drohende Grenze neuer Spaltungen. Vielleicht aber können wir ihnen auch helfen, indem wir durch unser Dabeisein in Erinnerung bringen, daß die Frage der apostolischen Sukzession, die bei uns erst langsam auftaucht, nicht nur historisch-pragmatisch gelöst werden kann, sondern die apostolische Lehre mit einschließen muß.

LeerUnd dann ist die Aufgabe viel weiter gestellt: katholische und apostolische Kirche ist dort, wo wir in der Fülle des Glaubens der Kirche leben, wie sie im Neuen Testament gestiftet ist, und wo in diesem Glauben der Gottesdienst gefeiert und die Ordnung der Kirche gestaltet wird. Hier werden wir auf beiden Seiten Lernende und Lehrende sein müssen.

Quatember 1958, S. 42-43

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-30
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