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Fastnacht oder Fasenacht?
von Wilhelm Stählin

LeerIch stelle die beiden Schreibweisen nebeneinander und mache ein Fragezeichen dazu. Die Sprachforscher sind sich nämlich nicht ganz einig, ob die in ganz Süddeutschland übliche Aussprache Fasnacht oder Fasenacht die ursprüngliche Wortform darstellt, die später zu der Form Fastnacht verchristlicht oder verkirchlicht worden ist, oder ob Fastnacht die alte Wortform ist, die dann in Bayern und anderswo durch eine originelle Volksetymologie mit dem alten deutschen Wort fasen oder faseln in Verbindung gebracht und verändert worden ist. Ich habe immer die Form Fasnacht vorgezogen, nicht nur, weil ich als Kind das Wort nur in dieser Form gehört habe, sondern weil mir auch das Wort faseln als der genaue Ausdruck dessen erscheint, was in diesen Tagen geschieht.

LeerEs ist uns Menschen im Allgemeinen nicht gegeben, unser Leben immer in würdiger Ernsthaftigkeit zu leben, und es ist eine noch seltenere Kunst eine schöne Verbindung von sachlichem Ernst und überlegener Fröhlichkeit gleichmäßig zu bewahren. Darum werden sozusagen bestimmte Zeiten für die im Menschen steckende Ausgelassenheit und Tollheit freigegeben, um dann in der übrigen Zeit dem nüchternen Ernst des Lebens um so besser sein Recht geben zu können. Eine solche Zeit „Fasenacht” könnte also nur denen leid sein, die den Menschen niemals aus seiner steifen Ernsthaftigkeit entlassen wollen, oder denen, die geneigt sind, die Tollheit über das ganze Jahr auszudehnen. Der durch den „Ernst des Lebens” überforderte Mensch ist es müde, das in ihm steckende - und manchmal sehr sorgfältig versteckte - närrische Wesen dauernd wie wilde Hunde im Zwinger zu halten, und möchte sie einmal, für kurze Zeit, loslassen - „Narrenfreiheit” -, um sie dann alsbald wieder einzufangen und einzusperren.

LeerDer Fasnacht kommt die Verkleidung und die Maske zu Hilfe. Warum? Ist es die Freude an dem Besonderen und Ungewöhnlichen, an den bunten Farben und der reicheren und fremdartigen Form? Oder steckt etwas sehr viel Tieferes dahinter? Daß der Trieb, sich zu verkleiden ursprünglich nicht an Zeiten ausgelassener Lustigkeit gebunden war, sondern mit kultischen Feiern zusammenhing, ist schon ein Hinweis darauf, daß der Mensch sich nicht nur zu seinem Vergnügen verkleidet und ein Maske trägt. In der fremden Hülle und hinter der Maske verborgen, möchte der Mensch eine Zeit lang seine eigene Existenz mit einer fremden vertauschen und wie in das fremde Gewand in ein anderes Lebensgefühl schlüpfen, in dieser Vermummung nicht nur anderen, sondern auch sich selbst unkenntlich werden und sozusagen von sich selber Urlaub nehmen.

LeerDieses Verlangen ist darum - wenigstens bei manchen Menschen - ganz elementar, weil wir alle in unserem normalen und alltäglichen Leben nur einen Teil dessen verwirklichen können, was in uns angelegt ist und was in uns Gestalt gewinnen möchte; ganze Seiten unseres Wesens sind „verdrängt” und verkümmert. Und umgekehrt sind unzählige Menschen durch ihren Beruf, durch ihre soziale Stellung mit ihrer festgeprägten Sitte mehr oder weniger genötigt, sich selbst in eine Form zu zwängen und eine Rolle zu spielen, die ihrem eigentlichen Wesen gar nicht gemäß ist. Mancher Mensch legt in der Tat, wenn er sich verkleidet, die Maske ab, die er für gewöhnlich trägt, und in der Maskierung, die ihn unkenntlich machen soll, kommt der wirkliche Mensch zum Vorschein, der sonst verkrampft und verkrustet war.

LeerDas ist freilich immer eine zweischneidige Sache. Es kann sein, daß ein Mensch in den Stunden, wo er sich in dem Mummenschanz wie hinter einem Schutzschild sicher fühlt, alle Steifheit, die ihm sonst anhaftet, verliert, und mit einem Male ungehemmt, beweglich, lustig und witzig ist und es unsagbar genießt, für kurze Zeit der sein zu dürfen, der er doch eigentlich ist. Jeder Erzieher weiß, welche erstaunlichen Fähigkeiten, witzige Einfalle, ja echte künstlerische Begabung bei manchen ängstlich verschlossenen Kindern zum Vorschein kommen können, wenn sie einmal in einem kleinen Theater das spielen dürfen, was sie in Wahrheit sind oder doch sein möchten.

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LeerEs kann auch sein, daß eine „heilige Maskerade” von den Menschen abfällt, ein geflissentlich zur Schau getragener Ernst, eine Schein-Heiligkeit, in die sich ein sehr weltliches Weltkind verkleidet, und das ist jedenfalls besser und weniger gefährlich, als wenn junge Menschen dazu verführt werden, in einem geistlichen Spiel eine Rolle zu spielen, die ihnen gar nicht liegt, und fromme Dinge zu sagen, die wie ein schlecht sitzendes Maskenkostüm nur lächerlich wirken und zum Spott reizen.

LeerDas reizvolle Spiel der Verkleidung und der Maske kann auch in einem ganz anderen Sinn ein gefährliches Spiel sein. Es kann geschehen, daß in solchem „Faseln” die Schlammgründe der Seele aufgerührt werden und an die Oberfläche kommen; daß unter dem Schutz der Narrenfreiheit der Narr, der mühsam genug in die Verborgenheit gedrängt war, sich nun ganz frech und schamlos tummelt; daß das wüste, geile und gierige Tier, das hinter den Gitterstäben äußerer Ordnung (des „Gesetzes”) gebändigt war, nun brüllt und tobt. Verkleidung ist immer eine Probe auf das, was in dem Menschen steckt, und wie oft ist das Ergebnis dieser Probe erschreckend und erschütternd! Man lernt einander sehr kennen, worin man miteinander Fasnacht hält, und dieses Kennenlernen ist nicht immer eine Freude.

LeerAuch wer mit viel gutem Willen der ausgelassenen Lustigkeit ihren Spielraum gegen densteifleinenen Ernst verteidigen und den positiven Sinn der Maske und der Verkleidung .gegen allen pharisäischen Moralismus bejahen will, kann doch nicht leugnen, daß aus sehr tiefliegenden Gründen die meisten Menschen heute unfähig geworden sind zu dem Narren-Spiel, das ein Spiel bleibt, und daß statt dessen die wirkliche Narrheit alle Gitterstäbe zerbricht und die Bestie losläßt; und es ist ebenso wenig zu übersehen, in welchem Maß das Geschäftsinteresse der Vergnügungsindustrie und vielleicht mehr noch die dämonische Macht des Alkohols im Stande ist, heilsame Schranken zu zerbrechen und Grenzpfähle herauszureißen.

LeerDamit, daß man nachher einen Aschermittwoch hält, zu fasten anfängt und (im physischen oder im übertragenen Sinn) Asche aufs Haupt streut, ist der Schade nicht geheilt, den der Narr angerichtet hat.

LeerVor fast dreißig Jahren hatten wir in unserem „Bund Deutscher Jugendvereine” eine heftige Diskussion darüber, ob unsere „jugendbewegte” Jugend an Fasnacht mitmachen solle oder nicht. Ich habe mir die alten Hefte herausgesucht um nachzulesen, was ich damals geschrieben habe, und bekenne, daß ich einige Sätze von damals hier wiederholt habe. Damals haben es mir jüngere Freunde schwer übelgenommen, daß ich überhaupt versucht habe, einen positiven Sinn im Unsinn zu finden, und das Verlangen nach Faselei nicht nur verdammt habe. Jörg Erb hat damals erzählt, daß in seinem Nachbardorf im Schwarzwald die Fasnacht mit diesem Geschrei begann: „Wohluff, im Namen des Herrn Antichrist, der Narro-Tag erschienen ist!”

LeerEs ist eben immer und überall so: die Grenze läuft mitten hindurch. Als ich mit meinen Nürnberger Konfirmanden über das Vergnügen sprach und sie aufforderte, ein Blatt in ihrem Heft in der Mitte zu falzen und nun auf die eine Seite die erlaubten, auf die andere Seite die unerlaubten Vergnügungen zu schreiben, fingen sie wohl munter an, aber nach ein paar Minuten sagte einer um den anderen: man muß sie eigentlich alle in die Mitte auf den Falz schreiben; denn es kommt ja ganz darauf an ...! Ja worauf kommt es an?

Quatember 1958, S. 93-95

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-30
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