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Von Narren-Orden, -Mühlen und -Akademien
von Eberhard Mucha

Leer„Rheinische Absurditäten” schrieb Goethe 1828 auf die feierliche Urkunde, die ihn zum „Doktor humoris causa” ernannte. Die Narrenakademie von Dülken hatte ihm diesen Titel ehrerbietigst verliehen. Erleuchtete Monduniversität und berittene Akademie der Künste und Wissenschaften hieß der offizielle Titel dieser närrischen Institution, die in der närrischen Jahreszeit ihr Städtchen und, wie ihre Mitgliederlisten bezeugen, die Narren überall in der Welt regierte.

LeerNarrengesellschaften, Karnevals- und Faschings- und Fastnachtsgesellschaften sind heute weithin nur noch die Organisationsspitzen der örtlichen Vergnügungsindustrie, schnell gegründet und dem erfolgreichen Nachbarort nachgeschaffen, mit den herkömmlichen Zutaten - Zepter, Krone, Prinzentitel und Flitterorden - ausgestattet und für den Amüsierbetrieb hergerichtet. Daß es dazwischen überall uraltes Brauchtum gibt, daß jede Geste, jeder Titel, jedes Insignum eine lange Geschichte und fast schon vergessene Bedeutung hat, sollte unseren Blick auf einige dieser Institutionen rechtfertigen. Die mittelalterliche Freude am Narrentum lebt in ihnen fort, und wenn wir sonst oft über den Verlust aller Traditionen lamentieren - „die närrische” ist lebendig geblieben in den Narrengesellschaften am Rhein, an der Donau, an der Isar.

LeerDie Narrenakademie von Dülken ist nicht die älteste dieser Gesellschaften, aber immerhin hat sie schon über vierhundertmal am Elften im Elften ihr Neujahrsfest begangen, mit dem die „fünfte, die närrische Zeit” beginnt. Und sie betrachtet ihren gewichtigen Namen noch heute als eine Verpflichtung: Der Rektor magnificus reitet, geschmückt mit Talar und gepuderter Perücke, auf einem Steckenpferd durch sein Städtchen zum Hörsaal der Akademie - einer Windmühle. Schon die Gründer dieser Akademie hatten ihren Weisheitssaal, in dem sie die närrischen Kollegs hielten und hörten, in einer Windmühle. Bei Neugründung der seit dem vorigen Jahrhundert geschlossenen Narrenuniversität, vor rund zwanzig Jahren, wurde auch eine neue Windmühle als Sitzungssaal errichtet. „Inbegriff produktiver Wetterwendischkeit” nennt sie der heutige Rektor, der als akademisches Ziel für sich und seine Senatoren und Doktoren das „Studium des Kampfes gegen den tierischen Ernst” verkündet hat.

LeerDer Gründungsname und die ersten Berichte der Dülkener Narrenakademie aus dem Jahr 1554 weisen auf eine viel ältere Vereinigung zurück: auf den ritterlichen „Clever Narrenorden”. Die Geckengesellschaft von Kleve wurde vom Grafen von Moers und fünfunddreißig Rittern am Tage Cuniberti im Jahre 1381 gegründet. Die klevischen Narren-Ritter trugen als Ordenszeichen einen kunstvoll rot-silbern-gelb gestickten Narren mit Schellenkappe auf ihren Kleidern: Sie waren Brüder mit gleicher Kappe, die bei ihren Zusammenkünften alle Rangunterschiede außer acht ließen. Als bürgerliches Konkurrenzunternehmen ist dann hundertsiebzig Jahre später die Dülkener berittene Akademie entstanden.

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LeerAber auch die Dülkener waren stolz auf klingende adlige Namen in ihren Reihen. Als ihre Gesellschaft um 1800 in voller Blüte stand, gehörten ein Fürst von Salm-Reifferscheidt, ein Fürst von Wittgenstein und vor allem viele Gelehrte der Zeit zu ihren Mitgliedern - rund tausend Namen weist die Liste auf, und neben Goethe sind Schelling, Oken und Friedrich Görres genannt. Der Dülkener Titel des Doctor humoris causa wird noch immer verliehen; der Doctor honoraris causa kann als zusätzliche Ehrung für einen Jahresbeitrag von 111,11 DM erworben werden. Die Titel sind begehrt und die heutige Dachorganisation des Dülkener Karnevals kann mit den Beiträgen ihren Festen besonderen Glanz und ihren akademischen Sitzungen den nötigen Nachdruck verleihen. In der Nachfolge von Cervantes' Don Quijote muß noch heute jeder Narr der Dülkener Akademie den Ritterschlag vom Windmühlenflügel erhalten. Modernes Organisieren eines Volksfestes, närrische Lebensweisheit und sicheres Wissen um die Tradition macht diese Narrenakademie zu einem Unikum.

LeerViele andere im närrischen Bereich einst klangvolle Namen sind verschwunden. Ein Vierteljahrtausend, von 1400 bis 1650, bestand „Die Narrenmutter oder Infanterie von Dijon”, deren Narrenzeichen dreifarbige - grün-rot-gelbe - Kleider waren. Zur gleichen Zeit wirkte die Gesellschaft „Königreich Bazoche” und in Rouen und Evreux eine „Gesellschaft der Hörnerträger”, deren Abt Krummstab und Mitra trug. 1568 wurde in Polen die Narrengesellschaft „Babinische Republik” gegründet. Es gab einen „Mopsorden” aus dem Jahre 1740, und im gleichen Jahrhundert blühte das „Regiment Calotte”. Die friderizianisch gekleideten Prinzengarden der heutigen Karnevalsgesellschaften haben also durchaus ihre historischen Vorläufer.

LeerDie 1559 gegründete „Schlaraffia” hatte ihren Hauptsitz in Prag, aber an vielen Orten in Deutschland und auch im Ausland wurden „Tochtergründungen der Allmutter Praga” errichtet. Die Schlaraffen tragen einen gewaltigen Flügelhelm, Talar und Schärpe, und ihre Würdenträger haben noch besondere Insignien und Abzeichen. Die Grundfarben sind zumeist blau und rot, aber häufig sind auch die Farben der Stadt vorherrschend.

LeerWie heute die Prinzenpaare der Karnevalsgesellschaften von Stadt zu Stadt reisen, so pflegten vor hundert und zweihundert Jahren und im Mittelalter die Narren „internationale” Verbindungen - die Dülkener zitierten Düsseldorfer Erznarren vor ihre Akademie und bekamen Besuch aus Holland, England und Frankreich, ja aus Java. Es gibt sogar - von Indern gegründet - eine Narreninternationale. Die „fünfte Jahreszeit, die närrische Zeit” hat die Menschen seit Jahrhunderten verbunden, und die Narrenorden haben ein gutes Stück Weisheit bewahrt - auch in ihren verschrobenen Namen, Sitten und Titeln.

Quatember 1958, S. 95-96

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-30
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