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Karneval als Wille zum Rausch
von Bernhard Rang

Leer„Historische Psychologie des Karnevals” war das Thema eines Vortrags, den mein Vater Florens Christian Rang im Jahre 1909 in Wien hielt und den Martin Buber 1928, vier Jahre nach des Vaters Tod, in der Zeitschrift „Die Kreatur” veröffentlichte. Mythologie und Religionsgeschichte sind darin Vorder- wie Hintergründe eines selbst erfahrenen Wissens um den schweren Krisenweg des Menschen, der Menschheit, um die Geburtszeichen - vielleicht - eines anbrechenden neuen Aeons, und auch einer Seelen- und Geistes-Ermutigung: „Das Erdseebeben des Karneval-Vulkans mag uns weisen, auf welch vulkanischem Boden wir stehn. In diesen fast erloschenen Krater können wir einsehen. Vielleicht, daß wir danach unsere Verworrenheit klären. Und Mut fassen, daß der drohende Erd-Einsturz auch Erd-Auf stürz werde.”

LeerDer Sinn also ist nicht, dieses seltsame menschheitliche Phänomen des Karnevals und seines Lachens historisch-psychologisch zu erklären. Oder mit solcher rationalen Erklärung ihm, diesem Rätselhaften, in fürchterlichen Exzessen und Orgiasmen uns sich Darbietenden einen verständlichen Sinn zu unterschieben. Denn im Karneval, zusammengesetzt aus vielen Elementen, ertönt (das ist die erste These) ein aufrührerisches Hohn- und Wutgelächter des gepeinigten Menschen: „Welche Revolution, welche Korruption muß in der Menschen-Natur vorgegangen sein? Wer hat dies gelle Lachen gereizt? Wer hat den Menschen so mißhandelt und ist ihm dabei so unfaßbar gewesen, so unzerreißbar, daß der Mensch seine unschuldige Heiterkeit in diese teuf liehe Lache überschlug? Der Gott! Karneval ist ein Stück Religion-Geschichte, das Karneval-Lachen die erste Blasphemie.”

LeerIm Mutterland der Religion, in Chaldäa, stoßen wir auf den Ursprung dieses Aufstands gegen Weisheit und Heiligkeit. Karneval ist ein Fest der Gestirn-Religion Babylons. Das Neujahr-Fest, „an dem der neue Kalender herauskam und die Konstellation für ein Jahr sich verändert. Diese Veränderung der Stellung der himmlischen Mächte ist's, die sich widerspiegelt in einer Veränderung der irdischen: im karnevalistischen Rollen-Tausch”.

LeerDie Astral-Religion Babylons war zugleich die Gesetz-Religion der Vernunft, der Überwindung des Chaos, der Welt-Ordnung. Aber die Tollheit, die gebändigte Wildheit, die Rauschmacht des nie ganz bezwungenen Chaos: sie rebelliert, sie möchte ausbrechen wider das Gesetz der Vernunft. Und es geschieht in jenem Zwischen-Stadium des Jahres- und Regentenwechsels: „Karneval ist eine Pause, das Interregnum zwischen einer Thron-Entsagung und Thron-Besteigung; ist darum eine Prozession, ein Umzug: das Abbild eines himmlischen Prozesses: der Prozession der Sterne, bis das Herrscher-Gestirn des Altjahrs völlig untergegangen ist und das Herrscher-Gestirn des neuen Jahrs auf die Thron-Höhe gekommen; der Korso war das Abbild der Bahn dieser Gestirne.”

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LeerSoweit, und noch mit Einzelheiten belegt, über den religionsgeschichtlichen Ursprung. Aber was bedeutet dies Interregnum-Spiel der Tollheit, dieser „Wille zum Rausch” eigentlich? Nun richtet sich der Blick auf die Dionysos-Orgien der orphischen Religion und es wird gesagt: sie „auferwecken in Schaltzeiten das ausgeschaltete Chaos”. Das Rasen aber „entbrannte in zeitlichen Zyklen. Durch das Kalenderloch der Unordnung brach der Triumphzug des Dramas der Außerordentlichkeit”. Und es wird die Behauptung gewagt, „daß überhaupt die moderne Freiheit des Geist- und Seelen-Lebens in die Zeit gesprungen ist als Faschings-Bocksprung und Freisprung”.

LeerFür Hellas fällt klimatisch die Jahreswende im Zeichen des Stiers, der auch dem Dionysos heilig, in den Anfang des lenzlichen Wieder-Aufblühns der Natur: „An diesem Ostern jubeln denn die Bacchen-Weiber durch Wald und Wiese am hellen Tag. So tanzen auch ihre Reigen den Tanz der Gestirne vom Sinken des einen Herrscher-Lichts bis zum Neu-Tag des anderen. Genau so Gang und Sinn der Männer-Dionysien: auch sie feiern in Chören, und wie die Weiber hinaus auf die Berge schweifen, so die Männer aufs Land, in die Wein-Dörfer.” Kelter-Fest mit Prozession und Theater, „das immer mit Satyrdrama oder Komödie endet - mit karnevalistischer Satire und Parodie”. Zum Abschluß dann aber das Totenfest: „Allerseelen, unser Aschermittwoch (von dem unser Allerheiligen-Allerseelen vor der Adventzeit ein Nachschlag wieder an den Anfang jenes eigentümlichen Kirchen-Vierteljahrs)”. Und „endlich die großen Schluß-Dionysien: das Aufersteh-Ostern: in das Heiligtum an der Burg wird im feierlichen Zug der Dionysos-Götze dithyrambisch - wie ich übersetze: im zweitmaligen Triumph - zu Wagen mit Fackelgeleit übergeführt; jetzt werden die Olympier neu angerufen - jetzt geht das Fest aus der Amtsbefugnis des Archon Basileus, des bestellten Jahr-Herrschers, in die des Archon Eponymos über, des Neujahr-Herrschers, der den Beruf hat, die neue statt der abgelösten Herrschaft mit Namen zu berufen”.

LeerDionysos = Bacchos nicht als Sorgenbrecher: „als Vernunft-Brecher, als Zerbrecher der Ordnung, als Durchbrecher wieder ins wilde Chaos”. Und es erhebt sich angesichts des Dämon Bacchos die Frage: „Wie kam der Mensch an den Dämon des Rauschs?” Was ist aber Enthusiasmos - Gottbesessenheit? Ein religiöses Urerlebnis tut sich uns hier auf: „das ewig-erschütternde, allen Fluch, allen Segen in sich tragende Ur-Erlebnis: daß der Geist über die Seele kommen ist und die Seele über den Geist will. Und doch nicht mehr entgeistete Seele sein kann und neuen Geists bedarf, immer neuen und doch des alten.

LeerWir können hier nicht die Beschreibung des Dionysischen, des Rache-Rauschs am Rausch-Gott weiter verfolgen. Das Fazit bleibt: „Das Narrenlachen des Karnevals lautet Rebellion.” Doch weiter: „Was steht auf jedem Karneval-Domino geschrieben? Domino. ‚ Dixit Dominus Domino meo: sede a dextris meis, donec ponam inimicos tuos scabellem pedum tuorum’- der Herr sprach zu meinem Herrn: setze dich zu meiner Rechten, bis daß ich deine Feinde lege zum Schemel deiner Füße: die Anfangsworte des heiligsten Psalms der Christenheit, auf die Jesus und sein Apostel die göttliche Erhabenheit Christi begründen; die Worte des Abendgesanges der Domherren, bei dem sie einen Domino zu tragen hatten: einen Mantel, auf den astrologisch-mathematische Formel-Zeichen gestickt waren, wie sie das Domino-Spiel abgesehen hat. Im Kleid dieses Dienstes travestiert der Narr in profanster Gemeinheit den göttlichen Herrn dieses Dienstes. Nicht jeden Gott verhöhnt Karneval; er verhöhnt den Heiland, den Erlöser vom Fluch des Gesetzes, der nicht kräftig genug aus dem Kosmos erlöst.

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LeerAber der letzte Akt, „der dies große Passions-Drama auf seine volle Höhe heraufführt: über die Höhe des Dramas, über die attische Tragödie auf die Höhe der Welt-Geschichte: in einen Triumph, in dem Rausch und Kosmos in eins zusammenschmilzt”, er führt zur Epiphanie des Heros, zum Gott-Menschen. „Die Tragödie erlebt die Prophetie: die Prophetie, daß der neue Gott erscheint, der die Begeisterung durchrettet in eben der Wende, da sie rettungslos enttäuscht und verloren scheinen muß; und nicht nur durchrettet, sondern herrlich hochhebt, da er selber sich über die Bühne erhebt: der ‚deus ex machina’. ‚Ex machina’? Dem Hellenen, dem vor-hellenistischen, vor-aristotelischen, vor-alexandrinischen war das kein maschinenmäßiges, kein gekünsteltes Gemächt, sondern echteste Götter-Schau: die Vision des Übergotts, der mit dem Mensch-Leben, mit den Seelen, die ihn erbetet, mit allem Geist aller Begeisterung in Macht unauflöslich verbunden war.”

LeerIn Alexander dem Großen, so wird dann gezeigt, erscheint die Real-Inkarnation: der Triumphator auf der Erden-Welt-Bühne, der außerordentliche Mensch „so maßlosen Schwungs, daß er auch das Reich Gottes, des Gottesgnadentums, ja die Natur Gottes in sich einschwang”. Damit aber erlosch nicht nur die erfüllte Prophetie der griechischen Tragödie, sondern auch der Rausch-Kult des Dionysos. Was jetzt noch als Karneval fortklang, so in den römischen Saturnalien, es war kein Hohnlachen mehr, ein Spott-Lachen vielleicht, ja schon ein Glückslachen. Die Römer schufen keine Tragödie.

LeerUnd das Ende? „Der majestätische Rausch der Welt-Herrschaft hielt nicht stand. Und die Menschheit ergriff einen noch schärferen - aber keinen schöpferischen mehr, einen entsagenden: den Rausch der Askese. Auch im Christentum hat der Karneval noch gespukt. Aber er hat ihm kein neues Lachen erzeugt. Den Männern ist das Glück-Lachen abhanden gekommen, und nur den Weibern und Kindern geblieben. Selbst das Hohn-Lachen ist den Männern in alter Kraft nicht wiedergekommen: auch in den Zeiten stärkster Wehr gegen die Kirche der Askese, etwa nach den Kreuzzügen, in der Renaissance und im 18. Jahrhundert, blieb die karnevalistische Opposition ein stummer Hund; den Mantel des Christus-Erlösers hat sie profaniert, aber ihn in seiner Entsag-Gottheit mit dem Wort des Karnevals anzugreifen, sich sorgsam gehütet; nur seine Priesterschaft hat als Blitzableiter ein wenig Spott dulden müssen: die Mönch-Maske wird auch heut noch besonders gern travestiert.” Ja, der mittelalterliche Karneval trifft nur in Worten den schon geschlagenen Herrn: denn Harlekin oder Herlequin: das ist ein verwichener Herr-Gott: der Teufel. Aber „der moderne Mensch schlägt weder gegen Gott noch gegen den Teufel. Er hat eine noch abziehendere Askese sich erfunden: die Pflicht zur Arbeit”.

LeerDoch auch dieser falsche Rauschweg führt zu keinem guten Ende. Und so steht die Menschheit vor neuen Krisen und Erschütterungen. Aber der Weg der Seele von dem ersten blasphemischen Hohnlachensfest bis zur Endphase heutigen Arbeitsrauschs und karnevalistischen Vergnügungsrummels, er sollte uns „stählen in dem Bewußtsein: daß der Weg der Menschheit der Weg des Geistes ist und der Weg des Geistes der Weg der Passion, und daß wir diesen Weg gehen werden ebenso, wenn auch schwankend, gleichwohl unbeirrt, wie dem Babylonier am Sternen-Himmel der car naval ging”.

Quatember 1958, S. 97-99

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-30
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