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Meditation und Gestaltung
von Gertrud Engels

Schondorfer KreuzLeerIm süddeutschen Landerziehungsheim Schondorf am Ammersee unternahm eine Gruppe von sechs Primanern unter Leitung des Kunsterziehers innerhalb einer kunstgeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft die Anfertigung eines Altarkreuzes. Die Arbeitsgemeinschaft stand unter dem Thema „Sinndeutung mittelalterlicher Darstellungen”. Wir kamen auf Meditationsbilder zu sprechen, auf Sinnzeichen und Symbole, auf Darstellungen, die vom göttlichen Geheimnis etwas aussagen wollen. Wir sprachen davon, daß dies nur in höchst unzulänglicher Art dem Menschen möglich ist und daß man deshalb versucht, in andeutender Weise den Betrachter auf das Geheimnis hinzulenken. (In großen, glaubensstarken Zeiten wie um das Jahr 1000 seien alle bildlichen Darstellungen in dieser hinweisenden Art gewesen.)

LeerIn je vier Wochenstunden von Oktober bis Juli versuchten wir uns in solche Bilder zu vertiefen. Je mehr wir in sie eindrangen, desto mehr sprach uns die Fülle ihrer Aussage an. Es ist uns klar geworden, daß mittelalterliche Mönche, die Texte auf große Buchseiten schrieben und bildliche Darstellungen malten, dies betend taten, ebenso wie sie dann im Gottesdienst gelesen und gesungen wurden.

LeerIndem wir uns die Aufgabe gestellt hatten, selbst ein Kreuz anzufertigen, ist es uns immer wieder sehr eindringlich klar geworden, daß wir armer kleiner Haufen - übrigens nur einer war evangelisch außer dem Lehrer, zwei oder drei ernste Katholiken, zwei waren mehr allgemein interessiert, ohne ausgesprochene Prägung - im Grunde gar nicht in der Lage waren und nicht die Voraussetzungen mitbrachten, an so eine ernste Aufgabe zu gehen, die neben der äußeren Fähigkeit zum mindesten ja eine innere Bereitschaft fordert. Daher gab es auch manche Schwankung, dazwischen auch ein völliges Aufgeben des Vorgenommenen.

LeerEs war notwendig, die Jungen in der Art an die Aufgabe zu fesseln, daß sie an ihre Gestaltungsfähigkeit und ihren starken Gestaltungswillen Forderungen stellte. Wichtig war, daß die rechte Arbeitsatmosphäre herrschte; das war nicht immer leicht. Auf alle Fälle mußte jeglicher Krampf vermieden werden. Lieber auch einmal die Zeit etwas vertrödeln, als krampfhaft etwas erzeugen wollen.

LeerDie Form des Kreuzes war schon im vergangenen Schuljahr mit einer kleinen Gruppe von Unterprimanern in langen Versuchen und Planungen festgelegt, und bereits in maßgerechtem Pappmodell angefertigt worden. Nach sorgfältiger Überprüfung dieser Vorlage wurde im Laufe der fortschreitenden Zeichenentwürfe und genauen Größenfestlegungen der Holzkern in der Schreinerei der Schule angefertigt. Die technische Ausführung war von vornherein klar: Holzkern mit Messingblech-Auflage; dessen Stärke ergab sich aus der Möglichkeit des freien Einritzens mit der Hand.

LeerZunächst wurde ohne genaue thematische Festlegung skizziert. Die Jungen sollten frei der Aufgabe gegenüberstehen und selbst ihre Erfahrungen machen. Wir hätten von vornherein rentabler arbeiten können, aber es wären dabei Stufen übersprungen worden. So ging es bei jedem einzelnen, seinem Stand des Könnens und seinem Geschmack und Verständnis entsprechend, von Stufe zu Stufe. Es war oft sehr mühsam.

Linie

LeerNachdem einiges vorlag, da und dort immerhin Möglichkeiten zum Anknüpfen und auch Klarheit, was auf alle Fälle zu verwerfen sei, wurden Richtlinien aufgestellt, mögliche Themen genannt. Nun fing der eine und andere wenigstens Feuer, das war eine Hilfe. Da und dort tauchte unter den flüchtigen Kritzeleien und Skizzen eine brauchbare Linie, ein guter Gedanke auf. Sieben verschiedene Menschen - und das sollte eine einheitliche Arbeit geben! Es war vor allem viel Zuspruch, Geduld und Abwartenkönnen nötig. Gerade die Begabtesten wurden am leichtesten von Verzweiflung und Unlust gepackt. Zu erzwingen war nichts, mit Gewährenlassen, auch wenn einmal gar nichts Sichtbares herauskam, war mehr zu erreichen. Wir trieben ja neben dieser praktischen Arbeit auch theoretische, so gab es immer Ausweichmöglichkeiten; für einen im Grunde sehr Interessierten auch einmal für längere Zeit, was er am Ende - er hatte sich von selber wieder und mit sehr guter Arbeit und Anteilnahme eingereiht - besonders dankbar und verständig anerkannte.

LeerEiner muß da sein, der die Sache trägt, dem sie nicht aus dem Sinn kommt, auch wenn er der Aufgabe als einer ihm zu schweren entfliehen will.

LeerDie Beschäftigung mit irisch-keltischer Buchmalerei, den alten Evangeliaren und Perikopenbüchern, mit romanischer Bauplastik, mit dem in der Krypta Neuenberg bei Fulda in Bau und Bild verkörperten Opermysterium, lenkte unsere Gedanken für diese Arbeit.

LeerAls einen sicheren Anhaltspunkt, den wir alle zusammen nicht mehr fallen lassen wollten, behielten wir die Darstellung des endlosen Bandes, wie es auf frühen Meditationsbildern als das Anfang- und Endelose und das Gebundensein an Gott anzutreffen ist. Durch dies Band enstanden zweimal elf Felder.

LeerWas sollte nun das Kreuz künden? Was wollten wir aussagen? Vor allem mußte der Sieg Christi anschaulich werden; das Herrschen sowohl als das Lieben. Das Kreuz, das Frucht bringt. Die Mitte, die Durchdringung der beiden Kreuzarme, mußte klar betont werden als das Ineinandergreifen, die Begegnung des Göttlichen mit dem Irdischen. Außerdem mußte die Basis richtig betont werden, als Grundriß, auf dem sich das Ganze aufbaut, so wie sich im sakralen Bau auf dem Grundriß der architektonische Aufbau sinngemäß vollzieht.

LeerDas Leitbild, knapp in Worte gefaßt, war darzustellen: 1. Die Macht Gottes. 2. Das Opfer Christi. 3. Die Einheit im Heiligen Geist. Auch wenn dies thematisch festlag, waren noch lange Überlegungen nötig, um unter der großen Fülle der Möglichkeiten Wichtigstes herauszugreifen, das auch in der Darstellungsart so weit abstrahiert werden konnte, daß in jedem Einzelfeld der Gefahr des naturalistischen Gestaltens ausgewichen war. Darüber waren wir uns völlig klar, daß es sich in keiner Weise darum handeln konnte, Illustrationen, also Bebilderungen biblischer Geschehnisse zu geben. Damit wäre das göttliche Geheimnis, von dem das Kreuz Christi kündet, verletzt. Solche Darstellungen sollen Hilfen bedeuten, dem göttlichen Geheimnis nachzusinnen. Deshalb können sie, um eine starke Aussagekraft zu bewahren, nur Andeutungen sein. Dann behalten sie ihre Zeugekraft. So wie jedes echte Kunstwerk eine Anrede an den Betrachter ist, die auf Gegenrede, auf Aufnahme wartet. Der Betrachter soll in der beabsichtigten Richtung aktiviert werden.

Linie

LeerIm Falle unseres Kreuzes mußte die „innere Wahrheit” des Kreuzes Christi anschaubar, erlebbar werden, sonst wäre es nur äußere Form geblieben.

LeerMit der Zeit war es mir sicher geworden, daß wir die Arbeit - nach unserm Vermögen - jedenfalls fertigstellen würden. Wir waren terminlich gebunden: Zur Abiturprüfung sollte die Arbeit vorgelegt werden. Wenn an einem Tag der eine oder andere der Jugendlichen mit einem Wort oder einer Skizze etwas Positives mitzuteilen hatte, dann waren wir wieder ein Stück weiter.

LeerFür die beiden Bilder der Vierung (Vorder- und Rückseite) wählten wir nach vielen Erwägungen das Lamm aus und den Kreuznimbus (der Heiligenschein mit eingezeichnetem Kreuz, wie er auf allen alten Darstellungen Christus zukommt). Wir ließen die Vierung, um sie baulich herauszuheben, wie sie thematisch herausgehoben ist, ein wenig über die Kreuzarme hinüberragen.

LeerDer untere Bogen sollte ursprünglich den Lebensbaum zeigen, von der Mitte aus einem Stamm kommend, nach beiden Seiten sich verteilend. Aus diesem Lebensbaum, dem Baum des Paradieses, sollte das Kreuz Christi erwachsen, also der Baum, der Frucht bringt. Aus einer Reihe von Gründen haben wir davon abgesehen. Der Gedanke bleibt trotzdem gewahrt, indem hier am Bogen, sehr deutlich aussagend, die Schriftstelle steht: Gal. 4, 4 „Da aber die Zeit erfüllet ward, sandte Gott seinen Sohn, / Auf daß er die, so unter dem Gesetz waren, erlösete”.

LeerOhne daß alles festgelegen hätte, fingen wir an, einzelne Bildteile in Messingblech zu gestalten. Das gab dem ganzen Beginnen Auftrieb und Schwung. Was vorauszusehen war, wurde jetzt erwiesen: Je kühler, einfacher die Linie geführt wurde, unter Vermeidung der Modellierungen, um so stärker war die Wirkung. Es durfte keinerlei vertrauliches Erzählen in die Darstellung hineinkommen - ein Gebot, dem nicht jeder der sechs als innere Haltung von vornherein gerecht wurde. Es sind im ganzen über fünfhundert Teilzeichnungen gemacht worden, wobei es sich oft nur um allerkleinste, aber ausschlaggebende Abweichungen handelt. Unter den fünfundzwanzig gründlich in Zeichnungen durchgearbeiteten Themen hatten wir nun verschiedene Möglichkeiten der Reihung zu erwägen. Hinweise suchten wir in alten Meditationsbildern und in Rücksprachen mit dem zuständigen Pfarrer.

LeerWas auf dem Kreuz dargestellt ist, kann in keiner Weise von der Gemeinde aus gesehen werden. Es ist auch gar nicht so gemeint, und gar nicht nötig. Die Kreuzform an sich, wie sie auf jedem Altar steht, sagt ohnehin - ohne jedwede Bebilderung aus. Wenn gelegentlich das Kreuz mit seinen Darstellungen betrachtet wird, und der Sinn bedacht wird, dann wird es recht sein. Denn das Kreuz steht auf dem Altar, und indem es da steht, gibt es Zeugnis.

Quatember 1958, S. 165-167

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-30
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