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Nach siebenmal sieben Jahren
von Erich Müller-Gangloff

LeerDas alte Gottesvolk Israel hat sich dadurch vor allem von den Weltvölkern ringsum unterschieden, daß es den siebenten Tag der Woche,/den Sabbat, als den Tag der Gottesruhe beging, an dem jede Arbeit ruhen mußte - bis hin zu der grausamen Konsequenz, von der am Anfang des Makkabäerbuches berichtet wird, daß die Juden sich am Sabbat widerstandslos ihren Feinden in die Hand gaben.

LeerSie begingen nicht allein den siebenten Tag, sondern auch das siebente Jahr als eine Zeit der Ruhe und der Heiligung, in der die Felder nicht bebaut, die Weinberge nicht beschnitten, Schulden nicht eingezogen, sondern erlassen und Sklaven freigegeben werden sollten. Auf das siebente Sabbatjahr aber folgte das noch stärker der Gottesruhe und der Heiligung zugedachte Halljahr oder Jobeljahr, an dem alle Feldarbeit ruhte: man aß nur, was der Boden von selber trug. Und dieses auf sieben mal sieben Jahre folgende fünfzigste Jahr - von fern an die Fünfzig der Pfingsten erinnernd - war zugleich ein Jahr der Sühne und der Versöhnung: es wurden Sühnopfer dargebracht, und alle Feinde wurden zur Versöhnung gerufen.

LeerEs ist hier nicht unsere Aufgabe nachzuweisen, wieviel diese Tage und Jahre der Ruhe mit dem hartnäckigen und leidenschaftlichen Bemühen des alten Israel um Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit zu schaffen haben, obwohl sich dieses Thema durchaus als Gegenstand einer Untersuchung empfiehlt. Unsere Absicht ist sehr viel schlichter und bescheidener: wir möchten von Sabbat- und Halljahr eine kleine Berechtigung dazu ableiten, die Reihe „Nach einem Menschenalter” in diesem viermal siebenten Hefte von Quatember mit einem Rückblick auf ein Halbjahrhundert bruderschaftlicher Geschichte vorläufig abzuschließen. Wobei wir uns der Unmöglichkeit dieses Unterfangens vollauf bewußt sind, der Unmöglichkeit nämlich, mehr als nur ein paar Schlaglichter aufzustecken, die einem bemühteren Geschichtsschreiber vielleicht zur Anregung dienen können, sich intensiver mit dem Gegenstande zu beschäftigen.

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LeerVon den sieben Jahren seit 1952, der Periode eben eines Sabbatjahres, seitdem die Evangelischen Jahresbriefe den Namen Quatember tragen, ist auf der letzten Seite dieses Heftes die Rede. Von den zweimal sieben Jahren, die seit dem Zusammenbruch unseres Volkes in der Niederlage vom 8. Mai 1945 vergangen sind, ist im Hauptaufsatz des Heftes im Zeichen von Sankt Michael gehandelt. Vor genau viermal sieben Jahren wurde im Oktober 1931 die Evangelische Michaelsbruderschaft in Marburg gestiftet. Nur wenig mehr als fünfmal sieben Jahre sind seit der ersten Berneuchener Konferenz im Jahre 1923 vergangen. Das früheste Datum aber, das in den Menschenalter-Beiträgen eine Rolle gespielt hat, ist das genau um die Periode eines Halljahres zurückliegende Gründungsjahr 1909 jenes „Bundes Deutscher Jugendvereine”, aus dem ein Großteil der Initiatoren von Berneuchen sowie der Stifter der Michaelsbruderschaft hervorgegangen ist.

LeerDa uns ein ungedrucktes Manuskript des verstorbenen Bruders August de Haas, eines der zweiundzwanzig Stifterbrüder von 1931 über den BDJ vorliegt, wollen wir bei diesem frühesten Datum vorbruderschaftlicher Geschichte (oder bruderschaftlicher Vorgeschichte) noch kurz verweilen. August de Haas, dessen Gedenken Hermann Wagner sein vor einem Jahr erschienenes - und im vorigen Quatemberheft besprochenes - Buch „Der Mythos und das Wort” gewidmet hat, gehörte wie dieser und der lange Zeit mit „Berneuchen” verbundene Paul Tillich zu den sogenannten Religiösen Sozialisten. De Haas weist in dem erwähnten Beitrag darauf hin, daß die vom BDJ und vom späteren „Bund christdeutscher Jugend” her in der Berneuchener Bewegung lebendigen Impulse ursprünglich durchaus nicht in die Richtung einer liturgischen Entfaltung wiesen, so wenig wie es etwa Karl Barth von seinem Lehrer Hermann Kutter her ursprünglich um theologische Lehre ging. Sich dessen zu erinnern, könnte gerade im Zeichen des Jubeljahres und der ihm eingestifteten Tendenz zur Realisierung sozialer Gerechtigkeit einen guten Sinn haben.

LeerEs ist, wie schon gesagt, nicht die Absicht dieser Zeilen, aus den bisher erschienenen 28 Aufsätzen der Menschenalter-Reihe so etwas wie eine Gesamtübersicht der Bruderschaftsgeschichte zu kompilieren. Nur dem Thema „Berneuchen” sei an dieser Stelle noch ein wenig nähere Aufmerksamkeit gewidmet, zumal es seit dem vor fünf Jahren erschienenen Beitrag von Elisabeth Viebahn von dem Borne in diesen Heften etwas vernachlässigt worden ist. Und wenn wir das ganze Halljahr-Halbjahrhundert überblicken, liegt ja die namengebende Berneuchener Zeit, gipfelnd im „Berneuchener Buch” von 1926, ziemlich genau in der Mitte dieser fünfzig Jahre.

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LeerDa dem Namen Berneuchen eine starke Prägekraft innewohnt, sei ihm zunächst unsere Aufmerksamkeit gewidmet. Es haftet ihm zweifellos etwas Verniedlichendes an, was ganz einfach daher kommt, daß es einer der ziemlich seltenen Ortsnamen in Diminuitivform ist. Namen dieser Art sind in der Mark Brandenburg nicht selten. Es gibt nicht nur den Stölpchensee in nächster Nähe von Berlin, sondern etwas weiter entfernt Namen wie Küstrinchen, Chorinchen, Dissenchen, Reppinichen und Libbenichen (zu Lübben). Die Verkleinerung von Berlin in der Form Berlinchen gibt es gleich zweimal, das eine davon an einem Berlinchener See gelegen. Und auch Berneuchen gibt es genau genommen zweimal: das nahe bei dem namengebenden Bernau liegende Werneuchen, dem ein bekannter märkischer Dichter entstammt, ist auf älteren Karten in der gleichen Form Bernewichen verzeichnet wie unser Ort in der Neumark, der ehedem ein winziges Städtlein war. (Vergleiche den Hinweis im „Brief” von Wilhelm Stählin auf das neu erschienene Büchlein von Willi Gruse.)

LeerElisabeth von Viebahn hat in dem erwähnten Quatemberbeitrag einiges von den beiden Familien erzählt, denen sie väterlicher- und mütterlicherseits entstammt: beide weisen, bei Adelsfamilien keineswegs selbstverständlich, bemerkenswerte geistliche Vorväter auf: die Viebahns mit Elisabeths Urgroßmutter Konradine Spener, einer Urenkelin von Philipp Jakob Spener; und die uradeligen von dem Borne mit einer anderen Urgroßmutter Pauline von der Osten, die Philipp Melanchthon zu ihren Ahnen zählte.

LeerDa beide Familien bis in die letzte Generation hinein in einem sehr lebendigen Verhältnis zum evangelischen Glauben standen, wird man diesen Traditionen, gleichviel was sie für die Berneuchener Bewegung selber ausgetragen haben mögen, nicht allein Kuriositätswert beizumessen haben. So scheint es uns auch nicht ganz ohne Belang, was von dem ersten von dem Borne auf Berneuchen berichtet wird, von dem Kanzler der Neumark Hans Georg von dem Borne, der vom Großen Kurfürsten mit der Herrschaft Berneuchen belehnt wurde. Er hat dem noch sehr jugendlichen Kurfürsten 1641, also kurz nach seinem Regierungsantritt eine Denkschrift gewidmet, die ihrem Titel nach noch heute - und gerade heute - aktuell sein könnte: ein Consultatio Politico Theologica über die innere Verfassung des Landes mitten im immer noch weiter tobenden Dreißigjährigen Krieg.

LeerAus der gleichen Zeit vor dreihundert Jahren soll der merkwürdige Vorname Kreuzwendedich stammen, der allen männlichen Mitgliedern der Familie beigelegt wurde - bis hin zu einer javanischen und halbchinesischen Linie, die von einem Auswanderer nach Indonesien begründet wurde. Der Name ist auch bei anderen Familien wie den Mörner und Rheinbaben im Gebrauch, am beharrlichsten aber bei den von dem Borne, von denen er mit Berneuchen auch auf die Viebahn übergegangen ist. Die Familienlegende führt ihn bis in die Zeit der Kreuzzüge zurück, in der die ersten Träger des Namens Borne erscheinen. Der Imperativ des Namens soll die Warnung vor einer vergifteten Quelle enthalten. Das Kreuz und sein Träger, der Kreuzfahrer, sollen sich von ihr abkehren: das ist die Meinung des Namens. Sollte sie vielleicht auch uns gelten, die wir bei so manchen Quellen zu übersehen neigen, was sie an Vergiftungsgefahren enthalten?

Quatember 1959, S. 223-224

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-05
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