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Zum Wechsel in der Schriftleitung
von Wilhelm Stählin

LeerZum dritten Mal, seit wir im Jahr 1931 die Evangelischen Jahresbriefe begründet hatten, habe ich Anlaß, ein Wort zu einem neuen Beginn zu sagen: 1947, als nach fünfjähriger Pause diese Blätter wieder erscheinen konnten; 1952, als wir unseren Freunden den neuen Namen „Quatember” und den neuen Schriftleiter vorstellten, und jetzt, wo der (im vorigen Heft schon angekündigte) Wechsel in der Schriftleitung wieder eine gewisse Grenzmarke bildet. Ich habe noch einmal nachgelesen, was ich zu diesen verschiedenen Zeitpunkten über den Sinn und den Weg dieser Hefte geschrieben habe, und meine, es sei ebenso für die Leser wie für den Herausgeber und den neuen Schriftleiter nützlich, sich daran zu erinnern.

Leer1. Soweit ich es zu erkennen vermag, hat das Wort vom „neuen Beginn” zu keiner Zeit die Bedeutung gehabt, daß wir es für nötig gehalten hätten, grundsätzlich anders zu denken und zu reden, als wir es bis dahin getan hatten. Die Akzente verschieben sich, manches, was an den Rand des Blickfeldes geraten war, trittstärker in den Vordergrund, Versäumtes muß nachgeholt und besser beachtet werden; aber wir hatten und haben auch heute kein Verlangen, etwas unerhört Neues zu sagen, wenn doch eben das, was wir seit Jahren unermüdlich gesagt haben, richtig ist. Das klingt sehr anmaßend; aber wir möchten uns nicht anstecken lassen von der Sucht nach Sensationen, von der Epidemie der Treulosigkeit und von der Unfähigkeit zur Dauer.

Leer2. Unter dem Titel „Quatember” ist der alte Name „Evangelische Jahresbriefe” stehen geblieben. Dreierlei kommt darin zum Ausdruck: Indem wir „Jahresbriefe” schreiben, bemühen wir uns um eine persönliche Anrede an die Leser (keineswegs nur in dem „Brief” des Herausgebers) und fragen uns, womit wir ihnen auch in ihrem persönlichen Leben eine Hilfe leisten können; wenn sie unsere Briefe ungelesen beiseite legen, haben wir sie offenbar nicht richtig geschrieben. Das verlangt aber auch von den Lesern lebendige Mitverantwortung; die Bitte, diese „Briefe” mit Rat und Tat mitzugestalten, steht auf der ersten Seite des ersten Heftes unserer Blätter. - Der Titel Quatember erinnert an die vier Zeiten, in die das natürliche Jahr (und mit ihm auch das Kirchenjahr) gegliedert ist, und unterstreicht also die Absicht, auch in dem Inhalt der einzelnen Hefte etwas spüren zu lassen von dem lebendigen Rhythmus des Jahreslaufs und seiner Feste als einer der vorgegebenen Ordnungen unserer Existenz in der Zeit. Es ist eine bleibende und nicht immer leichte Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die Worte Weihnachten, Ostern, Johannes, Michaelis auf den einzelnen Heften nicht nur den Termin des Erscheinens bezeichnen. - Ebenso wenig darf das Wort „evangelisch” in unserem Namen nur als eine konfessionelle Etikette verstanden werden; aber wir lernen nicht aus, was Evangelium im Unterschied von jedem Gesetz, aber auch von jeder bloßen Weltanschauung und Philosophie eigentlich meint, und wozu also die Selbstbezeichnung einer Kirche als „evangelisch” eigentlich verpflichtet.

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Leer3. Die Meinung, daß der für unsere Jahresbriefe verantwortliche Kreis der „Berneuchener” und der Evangelischen Michaelsbruderschaft in erster Linie sich die Erfindung und Durchsetzung liturgischer Neuerungen in den Kopf gesetzt hätte, findet in unseren Blättern keine Nahrung. Vielmehr ist uns immer die „Lehre” im rechten Sinn dieses Wortes besonders am Herzen gelegen, d. h. das christliche Verständnis des Menschen, der Natur und der Geschichte, die Auslegung der Heiligen Schrift und die Anleitung zu ihrem rechten Gebrauch, weil „falsches Handeln aus dem falschen Denken kommt” (1947). Die beliebten Mißverständnisse und Verwechslungen bedrohen die Wahrheit des Evangeliums mehr als die offene Ablehnung.

Leer4. Bei unserem ersten Anfang 1931 sagten wir, wir wollten unseren Lesern helfen, „mit der Kirche zu leben”. Was wollten wir damit sagen und was meinen wir, wenn wir dieses Wort heute wieder aufnehmen? Wenn wir uns nicht täuschen, so ist es heute für sehr viele Menschen noch weit schwieriger als vor einem Menschenalter, in unserer verfaßten Kirche, in unseren konkreten örtlichen Kirchengemeinden und mit ihnen zu leben; gerade deswegen, weil uns noch deutlicher ist als früher, wie sehr im Evangelium selbst alles auf Leben zielt, als die Aufgabe, das Leben zu bewältigen und sich in der lebendigen Wirklichkeit zu bewähren. An der Frage, wie weit die Kirche und das Leben in ihr uns dazu hilft, in einer ganz persönlichen Weise das Leben unseres Alltags zu meistern und unserer Aufgabe in der Welt gerecht zu werden, entscheidet sich weithin unser Verhältnis zur Kirche. Wir denken aber, wenn wir das Wort „Kirche” gebrauchen, nicht nur an die oft so unbewegliche Gestalt unseres überkommenen Kirchenwesens, sondern wir achten darauf, wie sich heute in der ökumenischen Weite der Kirche neue Fragen, neue Antworten, neue Lebensformen abzeichnen und wie sich trotz aller Widerstände das Verhältnis der großen Kirchenkörper zueinander verändert. Mit der Kirche leben, heißt für uns immer, in diesem weiten Raum leben; darum wird Quatember auch weiterhin darauf bedacht sein, seinen Lesern diesen Blick in die Weite zu öffnen.

Leer5. Diese „Weite” bezieht sich nicht nur auf das Gesamtschicksal der Christenheit; weniger denn je kann sich die Christenheit der Mitverantwortung für den Lauf der Welt entziehen. Das Schicksal der Kirche entscheidet sich daran, ob sie das rechte Verhältnis zu den Fragen des öffentlichen Lebens hat. Darum gehört das rechte Augenmaß und das darauf gegründete Urteil über all das, was heute in der Weltgeschieht und ebenso das Angesicht der Erde wie die Lebensformen der Menschenverändert, sehr wesentlich zu jener christlichen „Lehre”, die künftig, wie in den vergangenen 28 Jahren, zu unseren vornehmsten Aufgaben gehören wird.

Leer6. Das alles sage ich in vollem Einverständnis mit dem neuen Schriftleiter. Hans Carl von Haebler wird sich selbst den Lesern vorstellen, wahrscheinlich wirksamer durch das, was er hier schreibt, als durch das, was er von sich selbst erzählen könnte. Aber ich möchte wenigstens darauf hinweisen, daß in der Evangelischen Verlagsanstalt Berlin ein sehr kenntnisreiches Buch von ihm erschienen ist „Das Bild in der Evangelischen Kirche” (1957). Es liegt also auf der eigentlichsten Linie seiner bisherigen Arbeit, wenn der neue Schriftleiter auch den Bildbeilagen unserer Hefte seine besondere Aufmerksamkeit zuwenden wird.

LeerAlso fangen wir fröhlich und getrost und mit neuem Vertrauen den neuen Abschnitt in der Geschichte unserer Zeitschrift an; nicht in der Meinung, es müßte jetzt etwas Neues geschehen, sondern in getreuem Beharren auf dem Wege, auf den wir gestellt sind.

Quatember 1960, S. 1-3

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-01-09
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