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Weihehandlungen in der Kirche
von Karl Bernhard Ritter

LeerDie Frage, ob es in der Kirche so etwas wie Weihehandlungen gibt bzw. geben darf, verlangt nach einer Klärung. Denn die Auskunft, die gemeinhin auf dahin zielende Fragen gegeben wird, bleibt sehr unbefriedigend. Versuchen wir wenigstens eine vorläufige Antwort.

I

LeerDas Wort „weihen” geht auf das gotische „weihs” zurück und bedeutet „zu gottesdienstlichen Zwecken absondern”. Die schroffe Abweisung des Begriffs und der Sache, insbesondere (aber durchaus nicht nur) auf reformierter Seite, bestreitet ganz grundsätzlich, daß es zwei Sphären, eine profane und eine sakrale, gibt, eine sakrale, in der übersinnliche Kräfte sich auswirken oder übermenschliche Mächte ihren Geltungsbereich haben. In der Agende für evangelisch-lutherische Kirchen und Gemeinden, Band IV, wird zwar der Begriff der Weihe beibehalten. In den erläuternden Vorbemerkungen des Begleitworts heißt es aber: „Es steht außer Frage, daß im Aufbau wie in der Formulierung solcher Ordnungen deutlich werden muß, daß „weihen” in den evangelischen Kirchen niemals consecratio im Sinne einer Verleihung übernatürlicher Kräfte, sondern nur dedicatio im Sinne einer Widmung, einer Aussonderung zum kirchlichen Gebrauch sein kann.” Und dann heißt es weiter: „Die Vokabel Weihe für diese Handlungen aufzugeben, sahen wir freilich keinen Anlaß, weil sie durchaus üblich ist, auch vom profanen Bereich her (zum Beispiel Fahnenweihe usw.) keineswegs an sich mit magischen Vorstellungen verbunden ist.” Es erscheint erstaunlich, daß der Hinweis auf die Entleerung des Begriffs durch den Gebrauch im profanen Bereich es rechtfertigt, den Begriff beizubehalten. Unwillkürlich drängt sich aber auch die Frage auf: Wenn es denn keine Weihe im Sinne einer consecratio gibt, wie ist es dann zu rechtfertigen, daß dieser Begriff für den Vollzug des Sakraments, und zwar ausschließlich des Altarsakraments, unbedenklich angewandt wird? In welchem Sinne wird er angewandt? Gibt es diese Sache im Raume der evangelischen Kirche grundsätzlich nicht, wieso darf dann von diesem Grundsatz eine Ausnahme gemacht werden? Ist es möglich, eine solche Isolierung des Altarsakraments in einer das sakramentale Handeln und Sein der Kirche sonst verneinenden Haltung durchzuhalten? Aber lassen wir diese Fragen einmal bei Seite und suchen wir nach dem Grunde der Ablehnung der „Weihe” in allen Fällen, wo dieser Begriff nicht in einer gänzlich „harmlosen” Weise zur Anwendung kommt. Ich sehe zwei Gründe für diese Ablehnung: Einmal die Sorge, es könne der rein personale Charakter der Gottesbeziehung verdunkelt werden. Zum anderen die Sorge, es könne das gottesdienstliche Geschehen als ein sakraler Sonderbereich verabsolutiert werden.

LeerZum ersten: Um den personalen Charakter des Gottesverhältnisses sicherzustellen, hat die reformatorische Theologie bekanntlich das Begriffspaar „Wort-Glaube” aufgestellt. Das „Wort allein” ist das Mittel, durch das uns Gott begegnet. Der Glaube hat es ausschließlich mit dem Wort zu tun. Paul Tillich hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß hier entweder das „Wort” ganz umfassend gemeint und also mit der „Offenbarung” Gottes identisch ist; dann verliert es seinen spezifischen Sinn. Seit das Wort Fleisch geworden ist, besteht das Paradox, daß „das Wort Gottes sowohl gesehen und geschmeckt als auch gehört wird”. Bleibt dagegen der spezifische Sinn von „Wort” erhalten, so steht diese Beschränkung auf das Wort als Mittel der Selbstmanifestation Gottes im Gegensatz zu seiner Allmacht und den Symbolen für die Offenbarung Gottes, denen wir in der ganzen Heiligen Schrift begegnen. Die Person wird reduziert auf das reflektierende Bewußtsein, während sie in Wirklichkeit die Mitte eines vielschichtigen Geschehens ist. Die Ausschaltung alles dessen, was man „Magie” zu nennen pflegt, ist eine idealistische Utopie.

LeerZum anderen: Die Leugnung eines sakralen Raumes, einer sakralen Sphäre verkennt, daß wir, solange wir noch auf dem Wege sind, in der Tat Bürger zweier Welten sind, die erst im Eschaton zur Deckung kommen. Es gibt einen Lebensraum der Entfremdung von unsrem Ursprung und einem Lebensraum, in dem die Ausrichtung auf die wahre Wirklichkeit repräsentiert wird, den Raum eschatologisch-gespannten Handelns. Stets gilt in paradoxer Polarität: „Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden” und „unser Wandel ist im Himmel”. Wir sind immer zugleich als in sich selbst gefangene Sünder Kinder einer gottentfremdeten Welt und im Glauben befreit „zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.”


II

LeerHier erhebt sich nun die Frage, ob der Raum der eschatologischen Ausrichtung des Seins nur den Menschen einbezieht oder darüber hinaus die ganze Schöpfung. Mit anderen Worten: Ist die Heilsgeschichte auf die Geschichte des Menschen beschränkt oder ist die Kreatur schlechthin im Bereich der Wirkung nicht nur des Schöpfers, sondern auch des Erlösers und des heiligenden, verklärenden Geistes? Die Antwort, die uns das Neue Testament auf diese Frage gibt, ist eindeutig. Wir warten eines „neuen Himmels und einer neuen Erde”. „Auch die Kreatur wird frei werden zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.” Ist die Heilsgeschichte wirkliche Geschichte und schwebt sie nicht als bloße Idee über dem realen Geschehen, dann muß sie die Natur mit einbeziehen, denn Geschichte ist nicht ohne die Basis der Natur. Man beruft sich, auch in dem schon angeführten „Begleitwort” auf 1. Tim. 4, 5: „Alles wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet”, so als ob damit die „Weihe” im Sinne eines ernsthaften, d. h. wirksamen Handelns an Gegenständen ausgeschlossen sei. Das Gegenteil scheint mir der Fall zu sein. Nehme ich die „Heiligung” als ein reales Geschehen ernst, dann greift der Hl. Geist das kreatürliche Sein an, macht den Leib zu seinem Tempel, bewegt die Stätte, da die Gemeinde betet, bereitet das Element des Wassers für die Hl. Taufe, kehrt ein „in dieses Haus” mit den Mitteln der Gnade usw.

LeerWir haben es also mit einem deutlich zu bezeichnenden Tatbestand zu tun: Die Schöpfung ist in ihrer Ganzheit Objekt auch des erlösenden Handelns Gottes. Die ganze Welt ist durch die Geburt, das Opfer und die Auferstehung Christi geweiht. Sie ist seit der Fleischwerdung des Logos grundsätzlich und im Anbruch anders, als sie vorher war. In ihr ist verborgenerweise und nur dem Glauben erkennbar die Herrlichkeit Gottes gegenwärtig. Und diese Schöpfung seufzt danach, daß die Herrlichkeit Gottes in ihr offenbar werde. Der Gottesdienst der christlichen Gemeinde aber repräsentiert diesen Tatbestand. Er richtet die Zeichen auf der zukünftigen Herrlichkeit. Durch die Sünde sind auch die Dinge auf eine geheimnisvolle Weise mitbetroffen. Sie sind unter dem Fluch, der den Menschen traf: „Verflucht sei der Acker um deinetwillen.” Dieser Fluch wirkt sich aus als Feindseligkeit der Dinge und als versucherische Qualität der Dinge. In dem Maße aber, als die kommende Herrschaft Christi über alles wirksam bezeugt wird, wird die Unterwerfung der Kreatur unter die „Eitelkeit” zurückgedrängt, es hebt an das Ende, von dem es heißt, „daß Er aufheben wird alle Herrschaft und alle Obrigkeit und Gewalt” (1. Kor. 15, 24). Die Weihe bedeutet also ein Handeln an der Kreatur auf dem Hintergrund der noch verborgenen Heiligung der Welt durch Christus und ihrer noch verbliebenen Verlorenheit an die Herrschaft „der Obrigkeiten und Gewalten”. Genau an dieser Stelle steht der sakramentale Kultus der Kirche überhaupt.


III

LeerDer Gottesdienst der christlichen Kirche bezieht grundsätzlich den Raum und die Zeit und alles, was in Raum und Zeit ist, in das Heilsgeschehen ein. Er schwebt nicht idealistisch über unserer irdischen leibhaften Wirklichkeit, sondern umgreift sie und durchdringt sie. Aus dem räumlichen Hic wird so das „Haus Gottes”, die „Pforte des Himmels”, aus dem zeitlichen Nunc wird die „angenehme Zeit des Herrn” und der „Tag des Heils”. Es erhebt sich noch einmal und ganz ausdrücklich die Frage, ob die Weihe, also die durch das liturgische Handeln der Kirche bezeugte Einbeziehung der Dinge in das Heilsgeschehen den Zustand der Dinge selbst berührt. Die Antwort kann m. E. dann nicht zweifelhaft sein, wenn der freilich sehr verbreitete, aber darum nicht weniger irrige Gedanke überwunden wird, daß es sich bei der Dingwelt um ein bloßes „Draußen” handelt. Diese irrige Vorstellung kommt heute von zwei Seiten her ins Wanken, von Seiten der Physik und von Seiten der Tiefenpsychologie. Das bekannte Goethewort „Nichts ist drinnen, nichts ist draußen, denn was innen, das ist außen” findet so eine höchst überraschende Bestätigung. Dazu ließen sich eine Fülle von Erfahrungen anführen, die beweisen, daß sich das personale Sein des Menschen nicht nur in die leibliche Sphäre, sondern darüber hinaus auch in die Dingwelt hinein als wirksam erweist und dies persönlich-individuelle Sein in einer rational zwar nicht erfaßbaren, aber doch unabweisbaren Art von der Dingwelt aufgenommen und wiedergespiegelt wird. Dinge werden auf diese Weise zu Medien des persönlichen Lebens. Es gibt unbezweifelbar die Fähigkeit des „Hellfühlens”. Dinge können den Kontakt herstellen zwischen Mensch und Mensch. Mit einem Wort, es gibt eine magische Dimension der Dingwelt. Sie ist wirksam, ob das Bewußtsein darauf reflektiert oder nicht. Es ist selbstverständlich, daß sich der Aberglaube auch in diesem Bereich zeigen kann - in welchem Lebensbereich wäre das nicht der Fall? Aberglaube entsteht überall dort, wo der Glaube sich aus der Ganzheit der Offenbarungsrelation herauslöst und das, was Mittel der Manifestation des göttlichen Reichs sein sollte, verabsolutiert. So entsteht das Heidentum durch die Absolutsetzung der „Obrigkeiten und Herrschaften”, so entsteht Zauberei, wenn die magische Qualität der Dinge selbstisch mißbraucht wird. Die Überwindung des Aberglaubens besteht aber nicht darin, daß die Wirklichkeit der „Obrigkeiten und Herrschaften” geleugnet, die magische Qualität der Dinge verneint wird, sondern eben durch die „Heiligung aller Kreatur durch das Wort Gottes und Gebet”. Aller Aberglaube wird allein überwunden durch den Glauben, der erkannt hat, daß „von ihm und durch ihn und zu ihm alle Dinge sind” (Röm. 11, 36), ihm darum die Ehre gibt und diese Gewißheit durch konkretes Handeln bezeugt und also dazu hilft, daß alles zu Christus führen und so zum Medium des Heils werden muß. Die christliche Weihehandlung ist also kein Zauber, durch den der Mensch über magische Macht verfügt und übernatürliche Kräfte speichert, sondern im Gegenteil die zeichenhafte Aufrichtung der Herrschaft des dreieinigen Gottes über alle Kreatur.

IV

LeerEs wird nicht ausbleiben, daß gegen die Behauptung einer Weihe von räumlich begrenzten Dingen der Gedanke von der Allgegenwart Gottes geltend gemacht wird: Gott sei überall und es sei darum sinnlos, ihn gleichsam an einen bestimmten Ort binden, ihn in einem sakralen Raum einfangen zu wollen. Man muß sich darüber klar sein, daß diese Kritik ebenso das kultische Handeln an einem leibhaftigen Menschen trifft. Leibhaftige Handauflegung und Segensspendung meint dann immer nur den Geist des Menschen, und das leibhaftige Handeln ist nur eine Form der Anrede des Menschen als Person, ein verbum visibile. Nun ist darüber kein Zweifel erlaubt, daß die Lokalisierung Gottes in der Redeweise der Bibel und der Liturgie der Kirche symbolisch zu verstehen ist. Gott ist „im Himmel”, das bedeutet keine Zuordnung Gottes zu einem bestimmten Raum, sondern die radikale Verschiedenheit seines Seins von der räumlichen Existenzweise alles Geschaffenen.

LeerAber nun ist es für das christliche Verständnis der Offenbarung Gottes in Raum und Zeit von entscheidender Bedeutung, daß dies „himmlische Sein” Gottes, seine Allgegenwart zwar die Überräumlichkeit, sein Transzendieren jeglichen Raumes bedeutet, aber nicht seine Beziehungslosigkeit zum Raum. In seiner Allgegenwart überschreitet Gott allen Raum, aber zugleich hat er schöpferisch wirkend Anteil an der räumlichen Existenz seiner Schöpfung. Das ist die unausweichliche Konsequenz der biblischen Aussage über die Schöpfung. Sie lehnt die griechische Lehre von dem Gegensatz zwischen Geist und Materie ab. Es gibt eine Teilhabe räumlich begrenzter, also in erster Linie körperlicher Existenz am göttlichen Leben. Menschliches Personsein ist nicht denkbar ohne die Grundlage der Leiblichkeit. Darum redet das christliche Dogma nicht von der Befreiung des Geistes aus dem Kerker der Leiblichkeit, sondern von der leiblichen Auferstehung. Darum haben christliche Denker immer wieder die biblische Hoffnung auf eine neue Schöpfung in ihr Denken aufgenommen und als Ziel des heilsgeschichtlichen Handelns Gottes die Verklärung der geschaffenen Welt durch den Hl. Geist, nicht ihr Ende behauptet.

Leer„Leiblichkeit ist das Ende aller Wege Gottes” (Oetinger). Daß die christliche Hoffnung den Kosmos mit umfängt, ist nur konsequent, denn eine isolierte Leiblichkeit des erlösten Menschen ist undenkbar. Das himmlische Jerusalem ist eine „Stadt”. Nur bei dieser Gesamtschau kann von der „Gegenwart Gottes” unter uns gesprochen werden. Denn im Begriff der Gegenwart ist das Sein in Raum und Zeit inbegriffen.

LeerWie denn aber, sprechen wir nicht gerade von der „Allgegenwart” Gottes? „Wo soll ich hingehen vor Deinem Geist und wo soll ich hinfliehen vor Deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist Du da. Bettete ich mich in die Hölle, siehe, so bist Du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde mich doch Deine Hand daselbst führen und Deine Rechte mich halten” (Psalm 139). Ist das ein Widerspruch gegen die Aussage von der Gegenwart Gottes in seinem Heiligtum? Es ist hier nicht möglich, das Verhältnis von profanem und sakralem Bereich nebenbei erschöpfend abzuhandeln. Nur so viel sei gesagt: Gewißheit über die Wirklichkeit Gottes gibt es nur in der Erfahrung der Gegenwart, der Selbsterschließung und Selbstmitteilung Gottes. Solche Selbsterschließung und Selbstmitteilung geschieht aber nach dem Zeugnis der ganzen Hl. Schrift durch konkrete Akte, die als konkrete Akte auch aussondernde Akte sind. „Ziehe Deine Schuhe aus, denn der Ort, da Du steht, ist ein heiliges Land” (2. Moses 3, 5).

Linie

LeerDer Gottesdienst der christlichen Kirche meint nicht nur die Rede über Gott. Vielmehr ist Gott im Gottesdienst der Gemeinde gegenwärtig und handelt mit uns hic et nunc. Das wird bezeugt dadurch, daß neben dem Wort das Sakrament steht. Es ist eine banale Aussage, daß Gott nicht nur im Kultus gegenwärtig ist, sondern an allen Orten, in der Natur und in der Geschichte. Der Gottesdienst will ja nicht von der Offenbarung in Natur und Geschichte abschließen, sondern gerade für sie aufschließen. Wenn es darum in der Areopagrede des Apostels heißt: „Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darinnen ist, er, der ein Herr ist Himmels und der Erden, wohnt nicht in Tempeln, mit Händen gemacht, sein wird auch nicht von Menschenhänden gepflegt”, so ist damit wohl eine Verabsolutierung des Kultus, nicht aber das rechte Verständnis des christlichen Gottesdienstes getroffen. „Der Gottesdienst ist nicht mit dem Reiche Gottes identisch. Er kann nur Hinweis, Organ, leibhafte Gestalt, Aktualisierungs- und Realisierungshilfe für das Reich Gottes sein, das seine alle Grenzen sprengende Universalität nie verlieren kann” (A.D. Müller, Grundriß der Praktischen Theologie, S. 126). Diese Universalität wird vielmehr im gottesdienstlichen Geschehen repräsentiert und gerade so erkennbar und bezeugt.

LeerInsbesondere ist nun darauf hinzuweisen, daß der Gottesdienst der Kirche ja in der Fleischwerdung des Wortes in Jesus Christus gründet, daß er aus einem konkreten heilsgeschichtlichen Zusammenhang erwächst. Es geht im Gottesdienst der christlichen Kirche um die Realpräsenz des auferstandenen und verklärten Herrn. Die Feier des Mahls ist die nicht mehr zu überbietende konkrete, Zeit, Ort und Ding einbeziehende Manifestation des zu unserem Heile mit uns handelnden dreieinigen Gottes. Heilsgeschichte wird so aus Vergangenheit und Zukunft zur erfüllten Gegenwart.

LeerHier nun ist daran noch einmal mit Nachdruck zu erinnern, daß wir noch auf dem Wege sind. Im Eschaton kommt die Allgegenwart Gottes und unsere Erfahrung dieser Gegenwart zur Deckung. Darum heißt es vom himmlischen Jerusalem, vom verklärten Raum der neuen Schöpfung also: „Und ich sah keinen Tempel darin, denn der Herr, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel und das Lamm. Und die Stadt bedarf keiner Sonne noch des Mondes, daß sie ihr scheinen, denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm.” Aber als die Pilgrime sind wir darauf angewiesen, daß es den Tempel, das Haus Gottes für uns gibt. Und darum ist die Gegenwart Gottes im Sakrament, das hic et nunc der Liturgie die Konsequenz der Allgegenwart Gottes. Denn noch ist die Heilsgeschichte nicht an ihrem Ziel, und die Kirche, der Leib Christi, ist so in Zeit und Raum, wie Gott in dem Menschen Jesus war, an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit. Darum nennt Paul Tillich (System. Theologie I S. 326) das Sakrament „eine tatsächliche Bekundung seiner Allgegenwart in Abhängigkeit von der Offenbarungsgeschichte und den dadurch geschaffenen konkreten Symbolen. Seine Gegenwart im Sakrament ist nicht die Erscheinung von irgend jemanden, der für gewöhnlich abwesend ist und gelegentlich kommt. Wenn man die göttliche Gegenwart immer erfahren könnte, würde es keinen Unterschied zwischen heiligen und weltlichen Orten geben.” Im göttlichen Leben und also im Eschaton, in der Vollendung existiert dieser Unterschied nicht, aber hier existiert er. Und darum hat die Kirche Recht, sie tut nur das Notwendige und Heilsame, wenn sie die Gegenwart Gottes hic et nunc auf alle Weise bezeugt und dabei ernst nimmt, daß die leibhafte Existenz der Pilgrime eine Existenz in einer Welt der Dinge ist, der Dinge, die dessen bedürfen, daß sie der Zwiespältigkeit einer ihrem Ursprung entfremdeten Schöpfung entnommen und ihrem wahren Dienst zugeordnet werden.

Quatember 1960, S. 11-16

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-01-09
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