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Der Stern der Magier
von Hans Carl von Haebler

Anbetung der KönigeLeerIm vierten Buche Mose steht die Geschichte von dem heidnischen Magier Bileam, der sich von den Feinden Israels nicht verleiten ließ, das auserwählte Volk zu verfluchen, sondern, vom Geiste Gottes überwältigt, ausrief: „Ich werde ihn sehen, aber jetzt nicht; ich werde ihn schauen, aber nicht von nahem. Es wird ein Stern über Jacob aufgehen und ein Szepter aus Israel aufkommen.” Es scheint so, als hätte die Menschheit diese Prophezeiung in ihrem Herzen bewahrt; denn ein Jahrtausend später brechen Magier aus dem Morgenlande auf, um dem neugeborenen König, dessen Stern sie gesehen haben, zu huldigen.

LeerWoher nehmen sie die Gewißheit, daß es Sein Stern ist, der den Himmel entlang zieht, der Stern des neugeborenen Königs der Juden? Sind die Magier vielleicht Vorläufer jenes Philosophen, den der gestirnte Himmel mit ahnungsvoller Ehrfurcht vor dem Göttlichen erfüllte? Vielleicht hat der gestirnte Himmel über uns und das Sittengesetz in unserer Brust wirklich etwas mit dem Stern der Magier und mit dem Christuskind in Marien Schoß zu tun. Die europäische Kunst des 13. und 14. Jahrhunderts hat den Zusammenhang zwischen dem ersten und zweiten Glaubensartikel, um den es hier geht, bildhaft gemacht, indem sie zwei bis dahin nebeneinander existierende Darstellungen zu einem Bilde zusammenzog: Die Reise der Magier hinter dem Stern her und ihre Huldigung vor dem göttlichen Kinde.

LeerEs fällt auf, daß Einzelheiten unseres Bildes in dem evangelischen Bericht (Matth. 2, 9-11) keine Stütze finden: Während dieser ganz allgemein von Magiern spricht, zeigt das Bild drei Könige, einen Greis, einen Mann in der Vollkraft seiner Jahre und einen Jüngling, die in anderen Darstellungen jener Zeit auch schon als Kaspar, Melchior und Baltasar bezeichnet sind.

LeerWarum hat man aus den Magiern, die man ursprünglich als solche gekennzeichnet und mit phrygischen Mützen versehen hatte, Könige gemacht? Eine Antwort darauf gibt vielleicht die Liturgie des Epiphaniasfestes. Da hören wir im Offertorium die Verse des 72. Psalms: „Die Könige zu Tharsis und auf den Inseln werden Geschenke bringen, die Könige aus Reicharabien und Seba werden Gaben zuführen.” Die Anbetung der Magier wird hier offenbar nicht als historisches Ereignis, sondern in prophetischem Lichte gesehen. Die Liturgie erkennt in ihnen jene Könige wieder und schöpft aus der Erfüllung der Prophetie die Zuversicht, daß auch die uns gegebenen Verheißungen sich erfüllen werden. Man wird an dieser Gleichsetzung der Magier mit den Königen nicht Anstoß nehmen, wenn man bedenkt, daß die Könige der Frühzeit immer auch Priester und Magier waren. Zu der Dreizahl der Könige wird es gekommen sein, weil das Offertorium eben drei Königreiche mit Namen anführt. Darüber hinaus aber gibt diese Dreizahl noch einiges zu bedenken: Die Weite der Erde, deren Könige Christus ihren Tribut darbringen, wird ja eigentlich durch die Vierzahl symbolisiert. Wo bleibt der vierte König? Er ist nicht mitgekommen, sondern Unheil brütend in Jerusalem zurückgeblieben. Nur die Könige der Heiden beugen sich vor dem Pantokrator in Kindesgestalt, der den Reichsapfel trägt und die Rechte gebieterisch erhebt: „So lasset euch nun weisen, ihr Könige!” (Ps. 2)

LeerDie drei Könige repräsentieren also die Völker der Heiden, und als Hinweis hierauf ist es auch zu verstehen, daß man später, seit der Renaissance, einen von ihnen zum Mohren machte. Sie repräsentieren aber auch die Lebensalter und bringen in dieser doppelten Repräsentation zum Ausdruck, daß alle Erdteile in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in dem Kinde von Bethlehem ihren Herrn und König haben.

LeerWährend der vorderste König niederkniet, um Christus seine Verehrung zu erweisen, zeigt der zweite König dem dritten den Stern, der über dem Kinde und seiner Mutter steht. Seine Hand und die Hand, die Christus erhebt, setzen Stern und Kind in Beziehung zueinander: Sie gehören zusammen. Gott selber hat sich in beiden offenbart. Er ist in den Kosmos eingegangen und in den Schoß der Jungfrau. Wer den Kosmos betrachtet, wird nicht zur Ruhe kommen, bis er sich selbst in ihn eingegliedert hat. Welterkenntnis ist nicht ohne Selbsterkenntnis möglich. Den Magiern wurde sie im Stall von Bethlehem zu den Füßen des Christuskindes zuteil. Sie suchten Erkenntnis - das bedeutet die Hand, die der mittlere König dem Stern entgegenstreckt -, und die Erkenntnis wurde ihnen geschenkt im Gehorsam gegen das göttliche Kind - das kommt darin zum Ausdruck, daß der greise König niederkniet und sich unter die Hand Christi beugt: So lasset euch nun weisen ... .

Quatember 1960, S. 28-29

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-01-09
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