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Kirchentag München 1959
von Hans Dombois

LeerDer Kirchentag München verstand sich als der neunte, von Hannover 1949 an gerechnet. Er zeigte wie jedes dieser Treffen sein eigenes Gesicht - und er hatte wie jedes seine eigenen Probleme. Das Problem des Kirchentages überhaupt wird auf alle Fälle nicht durch das Stichwort „Masse” bezeichnet. Schon die Art und unglaubliche Intensität, mit der Versammlungen von vielen Tausenden die Bibelarbeit mitmachen, zeigt, daß hier noch anderes vorliegt, was außerhalb solcher Quantitäts- und Strukturvorstellungen liegt. Männer von großer geistlicher Erfahrung haben dies ausgesprochen.

LeerWenn die Vorkämpfer des Kirchentags geglaubt haben, die Randsiedler und Kirchenfremden anziehen zu können, so haben sie sich in der Hauptsache geirrt. Der Kirchentag ist vielmehr in erster Linie eine Versammlung der Kerngemeinde geworden, womit ihm eine missionarische Kraft durchaus nicht abgesprochen wird. Aber gerade für diese Kerngemeinde erweist er sich als immer wesentlicher. Nur so lernt die örtlich und personal gebundene Gemeinde die ganze Breite und Fülle wenigstens der deutschen Kirche einmal kennen, sieht sie in einer Fülle von markanten Menschen wie von wesentlichen Darbietungen aller Art, aber auch in der großen Gemeinschaft sichtbar vor sich. Dieser große Rahmen ist seit Frankfurt 1956 bewußt durch einen starken ökumenischen Einschlag geweitet worden - in München waren es schon 3000 ökumenische Teilnehmer, die geschickt in den großen Veranstaltungen herausgestellt wurden.

LeerEin durchgehender Zug ist der starke Anteil der Jugend. Gab es schon früher, etwa in Hamburg, eindrucksvolle Jugendversammlungen, die auch von katholischer Seite erstaunlich positiv gewertet worden sind, so kam in München noch eine große Schicht der Zwanzig- bis Dreißigjährigen hinzu. Diese Jugend lebt in einer sehr selbstverständlichen Weise mit der Kirche.

LeerDer evangelische Kommentator des „Rheinischen Merkur”, Heinz Beckmann, meint, München als den „endgültigen Kirchentag” und den „Auszug aus der abstrakten Gefangenschaft” kennzeichnen zu können, als eine „unverhoffte Springflut von konkretem leibhaftem Leben”: nicht mehr allgemeine Beschreibung der Lage, sondern Rückkehr in den inneren Raum der Kirche. Das erscheint dem erfahrenen Blick in mancher Hinsicht enthusiastisch, ist aber als Eindruck doch bemerkenswert genug.

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LeerZwischen Frankfurt und München lagen intensive Bemühungen zur Überprüfung der Thematik und der Methoden. Das hat bisher nur teilweisen Erfolg gehabt. Wirklich eingreifende neue Fragestellungen führten zur Bildung der Arbeitsgruppe „Der Mensch”. Daneben waren neu die sog. „Massenmedien” (Rundfunk, Presse, Fernsehen) und die ökumenische Gruppe. Andererseits war die Gruppe „Kirche” in vier Gruppen, Wort, Kirche, Gemeinde, Diaspora aufgeteilt und erfreute sich stärksten Interesses. So hatte sich der Schwerpunkt von den alten Zentren Politik, Familie, Wirtschaft usw. wegverlagert. Hier war bedeutsam das Auftreten Fritz Erlers. In vorbildlicher Brüderlichkeit mit Edo Osterloh zeigte er eine „evangelische Linke”, welche nicht mehr durch die Heinemanngruppe repräsentiert wird und sich auch gedanklich deutlich absetzte. Das ist für die innere Struktur der Kirche wie der westdeutschen Politik sehr wesentlich.

LeerNur etwa 1000 Teilnehmer hatten aus der DDR kommen können: die Unsicherheit über die Pässe hatte auch die Zahl der Referenten aus der DDR stark zurückgehen lassen. So fehlte das Spannungsmoment der Begegnung, welches frühere Kirchentage beherrscht hatte, und vieles blieb unausgesprochen. Die Aufgabe wurde um so dringlicher und schwieriger, bei allem die Lage auch des Ostens mit im Blick zu behalten, das rechte Wort dafür zu finden, und nicht weniger das falsche zu vermeiden.

LeerDie Arbeitsgruppen haben mehr als eine intellektuelle Aufgabe. Sie müssen dem Gemeindeglied eine vertiefte Sicht der heutigen Lage darbieten, auf dem Wege über eine Entfaltung evangelischer Lehre eine Haltung gewinnen und verständlich machen. Oftmals konnte man zweifeln, ob die evangelische Christenheit hier zu einer gemeinsamen Weiterentwicklung imstande sei. In München war jedoch eine deutliche Versachlichung im guten Sinne zu verzeichne, die eine solche Verarbeitung des Gebotenen erhoffen läßt. Von den sehr notwendigen radikalen Anstößen bis zur Umsetzung in Bewußtsein und Haltung ist immer ein langer Weg. Der Kirchentag verlangt Geduld, Nüchternheit, Voraussicht, Beweglichkeit, aber er hat eine Zukunft. Die konventionelle Kritik der Theologen und der Öffentlichkeit verkennt oft Verheißung und Last dieses vielschichtigen Unternehmens. Das Klima des katholischen München, das sich auf den eucharistischen Kongreß 1960 rüstet, war gut. „Das Zeitalter der Gegenreformation ist vorbei, auch wenn manche Leute das noch nicht begriffen haben”, schrieb mir ein führender Münchener Katholik. Die streng lutherischen Franken waren wohl um einen Grad weniger engagiert als die Diaspora aus Altbayern.

LeerDie am Schluß sichtbar werdende Alternative Dortmund oder Berlin 1961 zeigt, wie sehr der Kirchentag mit dem Schicksal der deutschen Kirche und des deutschen Volkes verbunden ist.

Quatember 1960, S. 32-33

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-07
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