|
von Oskar Planck |
Im Weihnachtsheft 1956 ist die bevorstehende Eröffnung des Berneuchener Hauses in Kirchberg angekündigt worden. Nachdem das Haus mehr als 1 ½ Jahre benutzt worden ist, haben die Leser unserer Zeitschrift ein Recht darauf, zu erfahren, was aus diesem Unternehmen geworden ist. Wenn man uns Schwaben allein gelassen hätte, hätten wir es wohl nicht geschafft. Aber in ständig wachsendem Maß haben sich Freunde aus anderen Konventen hinter uns gestellt. Der Verein „Berneuchener Haus” umfaßt heute gegen 300 Mitglieder, deren regelmäßiger Beitrag den Aufbau des Hauses ermöglicht hat und seinen schrittweisen Ausbau ermöglichen kann, während die laufenden Kosten durch das Verpflegungsgeld der Gäste aufgebracht werden müssen. Rund 1100 Gäste sind in diesen 1 ½ Jahren durch unser Haus gegangen, darunter etwa 400 zu wiederholten Malen. Aus allen Gauen kommen sie, nicht zum wenigsten aus Norddeutschland und der Schweiz. Überraschend viele sind schon in Grand-champ oder in anglikanischen Einkehrhäusern gewesen und kennen deren ausgereiften Lebensstil. Bei uns ist noch vieles im Werden und muß sich erst herauskristallisieren. Wir wissen um die Unzulänglichkeiten und ringen um den rechten Lebensstil. Um so dankbarer sind wir für die vielen Zuschriften, die uns ermutigen, den einmal beschrittenen Weg weiter zu verfolgen. Da wir keine Reklame für uns machen, sondern uns auf die Empfehlung von Mund zu Mund beschränken, dürfen wir schon der hohen Besucherzahl entnehmen, daß es ein Gebot der Stunde war, dem wir folgten, und der erste Versuch kein Fehlschlag gewesen ist. Hier das Echo eines Gastes auf die Zusendung unseres Jahresberichts, der die Geburtswehen und Gestaltungsschwierigkeiten der Anlaufzeit andeutete: „Mich hat das alles sehr bewegt. Wieviel Not, Mühe, Kampf hat das Haus gekostet. Und als wir kamen, stand es so selbstverständlich da, strahlte nur eine ganz große Stille und Geborgenheit aus.” Es ist ermutigend und verpflichtend, so viel Menschen zu begegnen, die den ernstlichen Willen haben, etwas für ihren inneren Menschen zu tun. Sie stammen aus allen Berufsständen und allen Altersstufen; besonders erfreulich ist, daß auch die Jugend stark vertreten ist. Es war schon immer so, daß Michaelsbruderschaft und Berneuchener Dienst Menschen anzog, die nach Sammlung und Bindung verlangten. Das wird im Berneuchener Haus erst recht offenbar. Das landläufige Urteil über unser Zeitalter erweist sich hier als oberflächlich. Es ist eine tiefe Unterströmung da. Über den Reiz der Landschaft herrscht nur eine Meinung. Wälder und Wiesentäler, Schafheiden und Viehkoppeln, Obstwiesen und Fruchtfelder bestimmen den Charakter der näheren Umgebung. Die umliegenden Dörfer sind außer Blickweite, rund eine Wegstunde entfernt, das Zusammenleben mit dem Gutshof läßt jedoch kein Gefühl der Einsamkeit aufkommen. Auf einer vorgeschobenen Felsplatte, die gegen die Schwäbische Alb hin in einen steilen, bewaldeten Talgraben abfällt, liegt von einer Mauer umschlossen das Kloster mit Kirche und Wirtschaftsgebäuden. Ein Gast hat dafür den schönen Vergleich gefunden: „wie ein Schiff, das aus dem Schweigen gleitend am Lande angelegt hat, oder wie ein Schiff, das auf ein leises Zeichen zur Überfahrt wartet.” Vom Klostergebäude steht nur noch der Westflügel. Er ist 60 m lang und wird durch zwei Giebel und drei Geschosse streng symmetrisch gegliedert. Auch der Barockschmuck der Fassade ist ausgesprochen streng und schlicht. Das Erdgeschoß enthält unsere Heizanlage, wird aber im wesentlichen von der Domäne benützt. Im Mittelstock sind Küche und Speisesaal untergebracht, rechts und links davon befinden sich die Wohnungen des Försters und des Melkers. Im Obergeschoß haben wir den schönen Bibliotheksaal und Vortragssaal eingerichtet und 20 freundliche, wohnliche Gästezimmer eingebaut, die im Notfall doppelt belegt werden können. Das Dachgeschoß ist ausbaufähig und bietet jetzt schon Ausweichmöglichkeiten in überfüllten Wochen. Nur die Hausgemeinde hat noch nicht den ihr zustehenden Raum, da die hierfür vorgesehenen Zimmer von der Oberforstverwaltung bis jetzt noch nicht freigegeben worden sind, obwohl der Förster sich bereits sein eigenes Haus gebaut hat. Das schränkt uns zur Zeit noch empfindlich ein. Die Hausgemeinde muß teils in den Gästezimmern, teils außerhalb des Hauses wohnen. Bei Ausnützung aller Möglichkeiten können wir aber jetzt schon bis zu 50 Personen unterbringen. Bei Jugendwochen in den Sommermonaten hat sich das ohne Unzuträglichkeiten durchführen lassen. Kirchberg hat eine Kirche, das ist für uns eine Zugabe von unersetzlichem Wert. Das Kirchenschiff ist der gemeinsame Gottesdienstraum für die evangelische Gemeinde auf dem Hof und in den benachbarten Parzellen, sowie für die einzelnen Beter und Gebetsgruppen aus den umliegenden katholischen Dörfern. Wir haben Mitbenutzungsrecht. Die Bankreihen dienen uns bei Meditationen, die Eingangskapelle bei Einzelbeichten. Die Kirche stammt aus dem Gründungsjahr 1237, ihr Charakter ist aber durch die Barockausstattung vom Jahr 1688 bestimmt. Sie war uns beim ersten Anblick fremd, heute fühlen wir uns in ihr daheim. Die drei mächtigen Hochaltäre sind nicht glitzig und kitschig, sondern festlich und warm. Sie enthalten vieles, was zum Nachsinnen anregt. Der Geist des Heiligen Dominikus und Thomas, deren Anliegen Bibelstudium, Predigt und Gebet war, spricht von Kanzel und Altar zu uns. Eine Marienklage und ein von der Decke herabhängender Kruxifixus sind Kunstwerke von Rang aus der Gotik, in welche die erste Blütezeit unseres Klosters fällt. Ein besonderer Schatz ist ein altes Manuskript aus dem 15. Jahrhundert, in dem die Lebensläufe frommer Klosterfrauen und mirakulöse Begebenheiten überliefert sind. Das führt zum lebendigen Kontakt mit denen, die vor uns hier waren. Die Nonnenempore ist uns als Hauskapelle zugesprochen worden. Sie liegt auf derselben Höhe wie unser Speisesaal und hat ihren Eingang unmittelbar vom Flur des Mittelstocks aus. Sie ist daher jederzeit mühelos zu erreichen, auch fürs Einzelgebet. An drei Seiten steht der Wand entlang das alte Chorgestühl, an der vierten der von Bruder Uhrig entworfene neue Altar. So entsteht ein in sich geschlossener Raum, der zur Sammlung verhilft. Er ist nur durch ein leichtes Holzgitter vom tieferliegenden Kirchenschiff getrennt. Das Gold und Braun der Hochaltäre schimmert hindurch, die Gestalten Johannes des Täufers, der auf das Gotteslamm deutet, und des Christus, der am Kreuze hängt, ragen darüber hinaus. Man schaut andächtig hinein in eine ewige, heilige Welt. Da sich die Nonnen besonders der Kirchenmusik gewidmet haben, ist auch eine reich verzierte und klangschöne kleine Barockorgel vorhanden, die zur Zeit vom Amt für Denkmalpflege wieder hergestellt wird. Unsere Gottesdienstordnung ist von der Michaelsbruderschaft sorgfältig ausgearbeitet worden. Aber wo wird sie regelmäßig und in voller Form gehalten? Wir selber hatten sie bisher auch nur gelegentlich oder bruchstückweise geübt. Wir waren deshalb nicht frei von Sorge, wie wir und unsere Gäste uns in ihren täglichen Gebrauch hineinfinden würden. Es hätte doch sein können, daß die Hausgemeinde ihrer überdrüssig geworden und daß sie den Neulingen fremd geblieben wäre. Statt dessen haben wir als Hausgemeinde die beglückende Erfahrung gemacht, daß einem die Liturgie immer lieber wird, je vertrauter man mit ihr wird und je vollständiger man das protestantische Bemühen aufgibt, sich im Vollzug über jedes Wort verstandesmäßig Rechenschaft geben zu wollen. Wenn wir bei unserem zeitweisen Übermaß an Arbeit und bei unserem ständigen Gebundensein an genau einzuhaltende Zeiten nicht auch der Arbeitshetze, Übermüdung und nervösen Spannung verfallen sind, sondern auf unsere Umgebung - wie uns oft gesagt wurde - den Eindruck der Gelassenheit gemacht haben, dann verdanken wir das in erster Linie diesem regelmäßigem Wechsel von actio und contemplatio, diesem ausgeglichenen Rhythmus von Beten und Arbeiten, diesem ständigen Eintreten und Verweilen im heiligen Raum, diesem Leben unter Gottes Augen. Die Feier der Messe aber ist uns jeden Sonntag ein hohes Fest. Wir haben viele dankbare Äußerungen von Gästen bekommen, auch von solchen, die kirchenfremd waren oder nur den landeskirchlichen oder pietistischen Stil kannten. Einer, der mit seiner Frau als Neuling zu uns kam, hat sein Erlebnis so beschrieben: „Hier wirkt ein Objektives. Die Gebete beten uns, das Haus lebt uns. Wir erfahren verwundert, wie gut das ist, unter Geleit zu leben, wie die Freudigkeit und Gelassenheit einzelner dieser Einladung Nachdruck verleiht, wie ansteckend der Gehorsam sein kann. Das Psalmensingen mit den Antiphonen hat uns gut gefallen. Diese einfachen Gesänge mit ihren stillen Wiederholungen lockern außerordentlich. Auf einmal ist das Bitten, Loben und Danken gelöste Freude. Die evangelische Messe haben wir mit Dankbarkeit mitgefeiert. Ich kannte den Gang der Messe vorher nicht. Auch jetzt ist mir die Folge noch nicht in allen Teilen gedanklich klar. Ich habe die Messe nur bildhaft vor Augen. Ich empfand sie als einen Gottesdienst von Ewigkeit zu Ewigkeit, als eine von Gott her und Gott zu Liebe notwendige Handlung, als Fortführung eines zeitlosen Auftrags.” „Es ist etwas ganz Eigenes um den freundlichen Geist des Hauses. Da ist ein wohlwollender Wille am Werk, der die Hausgemeinde, zu der ich alle zähle, die zu einer geistlichen Woche versammelt sind, zu ermuntern scheint, mit dem Schriftwort ernst zu machen: Alles, was ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen. Als ich nach meinem ersten Besuche in Kirchberg zu Hause sagen sollte, was es mit dem Berneuchener Haus auf sich habe, antwortete ich spontan: Ich habe zum ersten Mal erfahren, was Kirche sein kann - eine Gemeinschaft offener Menschen, die einander helfen, auf Christi Wort gehorsam zu sein.” Wer die geistlichen Wochen der Evangelischen Michaelsbruderschaft durch drei Jahrzehnte hindurch verfolgt, dem drängt sich die Beobachtung auf, daß die Themen immer biblischer, kirchlicher, seelsorgerlicher werden, und wer sich die Mühe nimmt, unsere beiden Kirchberger Jahrespläne daraufhin durchzulesen, wird die entsprechenden Themen finden. Dem entspricht, daß die heutigen Zuhörer willens sind, das Gehörte in einer anderen Weise aufzunehmen: Meditativer und existentieller. Dazu muß man Zeit haben. Darauf macht ein Junglehrer aufmerksam: „Wenn die Vorträge in einer anschließenden Schweigestunde vom einzelnen still zu bedenken waren, beschwiegen wurden, hat es mit besser gefallen und richtiger gedünkt, als wenn wir sie in Gruppen besprachen. Die ins Schweigen gesprochenen Vorträge erschienen mir wie alte Handschriften: jedes der deutlich gesetzten Worte ist von einem weißen, schweigenden Raum umgeben. Dadurch redet und schweigt jedes Wort zugleich.” Das, was wir existentiell zu nennen pflegen, meint die verantwortliche Beziehung auf unser eigenes Sein und Wesen, die ernsthafte Anwendung auf unsere persönliche Lage. Darauf zielt der Brief einer Juristin hin: „Ich habe bei meinen beiden Besuchen die Erfahrung gemacht, daß man nicht neue Erkenntnisse über irgend eine Frage des geistlichen Lebens mit nach Hause nehmen kann, sondern nur die Frucht der Besinnung über das Gehörte. Nur wenn das, was in Vorträgen geboten wird, auch persönlich in einer stillen Stunde angeeignet und geübt ist, wirkt es weiter in den Alltag. Ich meine, daß man diese stillen Stunden in Kirchberg selbst halten muß; im Alltag, der einen daheim wieder erwartet, hat man die ungeteilte Aufmerksamkeit dafür nicht mehr. Da kann man nur auf einem Grund weiterbauen, der in den ausgesonderten Tagen gelegt wurde.” Übrigens hüten wir uns davor, auf irgend jemand einen Zwang auszuüben oder ihm unsere Seelsorge aufzudrängen. Wir können um so leichter darauf verzichten, weil wir die Erfahrung gemacht haben, daß auch ein Gast, der nur Ruhe und Erholung sucht, aber sich nicht quer zu uns stellt, sondern Hausordnung und Gottesdienst respektiert, ein reiches Maß von Frieden und Freude mit nach Hause nehmen kann. Die Belegung unseres Hauses geschieht wochenweise. Darum gibt es Woche für Woche ein Kommen und Gehen. Kirchberg aber bleibt. Dort wird das ganze Jahr über zu den gleichen Zeiten das Stundengebet gehalten, die Messe gefeiert und Fürbitte geübt. Wie viele schreiben uns, daß dieser gleichbleibende, stellvertretende Dienst ihnen das Gefühl gibt, eine geistliche Heimat zu haben. Ein Gast faßt das in die Worte: „Ich sehe Kloster Kirchberg einer außerordentlichen, tiefgreifenden, überzeitlichen Aufgabe verpflichtet: in unserer Zeit das Urbild des Vaterhauses und seiner Ordnung wieder zeichenhaft im Bilde eines irdischen Hauses sichtbar zu machen.” Aus „Introduction de la retraite spirituelle” issu de l'expérience des Communautés de Taizé et de Grandchamp. Verbum Caro 52, S. 362 f. Quatember 1960, S. 34-38 |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-11-07 Haftungsausschluss |