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von Karl Bernhard Ritter |
Ein christlicher Theologe, der lange Jahre hindurch in Indien lebte und dort als Lehrer und Forscher zu mannigfaltiger und intimer Begegnung mit der religiösen Geisteswelt seines Gastlandes gekommen ist, bezeichnete es als charakteristisch für diese Begegnungen, daß der Inder nicht fragt: „Was weißt du”, sondern: „Was kannst du” oder „Was bist du?”. Der abendländische Theologe ist einer solchen Fragestellung gegenüber sehr schnell mit dem Einwand bei der Hand, nicht das fromme Sein des Boten, sondern der Inhalt seiner Botschaft sei das, worauf es allein, oder doch entscheidend, ankomme. Aber was ist schon eine Botschaft, die ihren Träger nicht formt und verwandelt? Ist die Trennung von Person und Funktion gerade hier, wo es um die lebendige, wirkende Wahrheit geht, erlaubt? Sie ist in Wirklichkeit unvollziehbar. Der fragende Inder hat auch die Aussagen des Neuen Testaments auf seiner Seite: „Jesus rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Vollmacht über die unsauberen Geister, daß sie die austrieben und heilten alle Krankheit und alle Gebrechen” (Matth. 10,1). So beginnt das Kapitel von der Aussendung der Apostel! Und im Markusschluß heißt es: „Und der Herr wirkte mit ihnen und bekräftigte das Wort durch die mitfolgenden Zeichen”.. Am dringlichsten wird die Frage: „Was kannst du” in der Erzählung von der Heilung des fallsüchtigen Knaben ausgesprochen. „Kannst du was, so erbarme dich unser”, so bedrängt der Vater des Knaben den Herrn. Er erhält die Antwort: „Wie sprichst du: Kannst du was? Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt”. Und wie ihn die Jünger fragen: „Warum konnten wir ihn nicht austreiben”, erhalten sie die Antwort: „Diese Art kann durch nichts ausfahren als durch Beten und Fasten” (Markus 9, 22-29). Der Inder fragt nicht nach dem Schriftgelehrten, er fragt wie der unglückliche Vater: Kannst du was? Das Gebet ist Realisierung des Gottesverhältnisses, der religio. Der Übergang von der beschreibenden, erklärenden, deutenden, mitteilenden Aussage zum Gebet ist der Übergang auf eine andere Ebene, in einen anderen Seinsbereich. Wer betet, wechselt von einer Stufe des bewußten Seins in eine andere über. Man könnte also das Gebet eine „Graduation”, eine Aufhöhung oder Emporsteigerung des Bewußtseins nennen. In seiner Systematischen Theologie hat Paul Tillich dem Gebet seinen bestimmten Ort angewiesen. Er spricht davon, daß jede unexistenzielle Auffassung der Offenbarung radikal zu verwerfen ist. Sätze über eine vergangene Offenbarung haben den Charakter theoretischer Information, sie haben aber keine Offenbarungskraft. Nur durch autonomen Gebrauch des Verstandes oder durch heteronome Unterwerfung des Willens können sie als Wahrheit angenommen werden. Aber ein solches Annehmen wäre Menschenwerk, ein verdienstvolles Tun von jener Art, gegen die die Reformatoren einen Kampf auf Leben und Tod gekämpft haben. Ob es sich um ursprüngliche oder von der Tradition abhängige, also durch Zeugen vermittelte Offenbarung handelt, sie hat immer nur für diejenigen Offenbarungskraft, die an ihr teilhaben, die in die „Offenbarungskorrelation” eintreten. Dem treuen Beter wird die Erfahrung zuteil, daß ihm das Gebet so unentbehrlich wird wie das Atmen seines Leibes. Bei dieser Treue im Gebet handelt es sich nicht um eine gesetzliche Ordnung unseres Gebetslebens. Eine Ordnung kann freilich höchst heilsam, eine Art Geleitschutz sein für unser geistliches Leben. Aber sie sollte niemals zum Gesetz werden. Denn es kann für unser geistliches Leben jederzeit notwendig werden, daß wir einmal ganz andere und neue Wege versuchen. Beten ist das allerpersönlichste Werk, die allerhöchste Kunst, zu der ein Mensch reifen kann, das Letzte, was wir erreichen können. Wie könnte es da ein Schema geben? Alle gegebene Gebetsordnung, auch alle niedergeschriebene Gebete sind den Wegweisern vergleichbar, die uns helfen können, den Einstieg in das Gebirge zu finden, uns aber dann, wenn der Aufstieg beginnt, allein lassen. „Allein lassen, weil der Beter dann den Engel zur Seite hat, der ihn auf seine Höhen führen wird”. (Das tägliche Gebet, S. 9). Das Gebet ist Wunder schlechthin, das von uns in keiner Weise bestimmbare, in keiner Weise verfügbare Wunder, in dem wir über uns hinausgeführt werden. Im Gebet bleiben wir nicht, die wir vorher waren. Das Gebet hat aber sein eigentümliches inneres Gesetz. Auf dieses Gesetz stoßen wir in den Erfahrungen aller großen Beter. Die Namen für die Stufen des Gebets wechseln, in der Sache sind immer dieselben Wandlungsvorgänge gemeint. Bei Luther finden wir die überlieferte Unterscheidung von cogitatio, meditatio und contemplatio, und wir schließen uns dieser Verwendung der Begriffe im folgenden an, wobei wir uns bewußt bleiben, daß insbesondere der Begriff der meditatio auch in anderer Bedeutung auftritt. Rudolf Otto spricht in diesem Zusammenhang von Funktionssteigerungen des Bewußtseins, die ihrerseits das spontane Wirken der Tiefe gleichsam entbinden und begünstigen. Versuchen wir, diese drei unterschiedlichen Verhaltungsweisen des Beters in aller Kürze zu kennzeichnen. 2. Diese Marienhaltung des Beters, diese Bereitschaft zur Empfängnis und Begnadung, in der er sich gläubig auftut, wie der Acker bereit ist für den Samen, geht mit innerer Notwendigkeit über in die meditatio. Gemeint ist damit der Übergang zu einem Gebet, in dem die in der cogitatio aufgenommenen geistlichen Gehalte ihre das Leben bewegende, den Willen formende Kraft beweisen. Die ins Innere versenkten Worte und Bilder werden zu Impulsen. Die Fülle der Anschauung, in der die cogitatio verweilt, tritt zurück zugunsten der Konzentration auf Entscheidung fordernde Motive. So wird etwa in der Geschichte von der Heilung des Blinden der Meditierende bedrängt von der Frage: bist du nicht selbst der Blinde? Und willst du nicht sehend werden? Die meditatio ist ein Gebet, das ihn drängt, vor dem Angesicht Gottes Entschlüsse zu fassen, nicht von außen her, vom Gesetz her, von einer fremden Autorität gefordert, sondern als den von Gott ergriffenen, überwältigten, zu solchen Entschlüssen im Innersten befreiten Menschen. Es ist das die Erfahrung, die der Prophet Jeremias in der Verheißung beschreibt: „Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben”. Es ist das Gebet, mit dem wir auf den Ruf zur Nachfolge antworten, in dem wir realisieren, was in Luthers Tauferklärung gesagt ist von dem täglichen Sterben des alten und dem täglichen Heraufkommen eines neuen Menschen. Das letzte Verlangen dieses Gebets läßt sich mit den Worten des Apostels Paulus beschreiben: „Ich lebe, doch nun nicht ich, Christus lebt in mir”. 3. In die Contemplatio mündet in einem gewissen Sinne alles Beten ein. Sie streckt sich dem entgegen, was in der Hl. Schrift als ein Schauen „von Angesicht zu Angesicht” beschrieben wird. Im ersten Brief des Johannes wird von der Gewißheit gesprochen, daß wir einmal „Ihm gleich sein werden, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist” (1. Joh. 3, 2). Die letzte Erfüllung, die Vollendung unseres Weges also wird ein „Sehen” sein, das zugleich ein Verwandeltwerden bedeutet. Contemplatio ist das Gebet, das unter dieser Verheißung steht und ist insofern ein Vorschmack der Seligkeit. Vom Hl. Franz von Assisi wird erzählt, daß er eine ganze Nacht über im Gebet versunken war. Am Morgen aber fragten ihn seine Jünger: Warum hast du immer nur die beiden Worte wiederholt „mein Herr und mein Gott”? Er aber antwortete: Was hätte ich denn noch mehr sagen können? - Auf die Contemplation weist vielleicht jenes geheimnisvolle Wort Jesu hin: „Ihre Engel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel”. Dann wäre sie die Teilhabe an dem Schauen unseres Engels. In der Liturgie der eucharistischen Feier fordert zu Beginn des „Hochgebets” eine Wendung offensichtlich zur Contemplation auf, ich meine den Anruf: „Erhebet eure Herzen!” Denn was sollte diese Erhebung anderes meinen als die anbetende Hinwendung zu dem Angesichte Gottes, in der Gemeinschaft aller Vollendeten und Seligen, in der Gemeinschaft der Engel? Wir wissen, daß in den ältesten Zeiten an dieser Stelle der Liturgie dem Ekstatiker das Wort zufiel: Erhebet eure Herzen zum Lobpreis, zum staunenden Anschauen der Herrlichkeit Gottes und Seiner großen Taten, zum Anschauen Seiner Wunder! Aber mit alledem ist das Entscheidende wohl noch nicht gesagt. Denn Contemplation bedeutet zuletzt für den Christen - erinnern wir uns der Verheißung des Johannesbriefes! -, daß ihm hinter allem, was sein äußeres und inneres Auge erblicken mag, das Antlitz dessen aufleuchtet, der als Gottes Logos Mensch geworden ist. Sein Angesicht kann also nicht „gesehen werden” an der Geschichte dieser Menschwerdung vorbei. In der contemplatio kommt darum die cogitatio, die andachtsvolle Betrachtung der Geschichte unseres Heils, zu ihrem Ziel. Diese Geschichte der Geburt, des Leidens, der Gethsemanestunde, der Kreuzigung und der Auferstehung Christi wird der contemplatio gegenwärtig, als ein hic et nunc, das uns zugleich tötet und lebendig macht. So führt diese immer auch in die dunkelste Nacht, wie sie in das hellste Licht führt. Denn es ist ihr tiefstes Geheimnis, daß sie uns im Schauen erblinden und im Erblinden schauen läßt. Sie stellt uns vor den, „der da wohnet in einem Lichte, da niemand zukommen kann” (1. Tim. 6, 16). Quatember 1960, S. 64-68 |
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