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Hans Carl von Haebler - Die Versuchung Christi
von

LeerVersuchung Christi„Das Bestürzende an unserer Sprache ist, daß Gott sich ihrer bedient hat, um sich uns zu offenbaren, daß also diese Sprache der Lüge und des Todes zum Gefäß der Wahrheit und des Lebens geworden ist. Das ist eine ‚Wandlung’ vom gleichen Rang, wie sie an den eucharistischen Elementen geschieht, nur dem Glauben zugänglich, aber eben darum auch der Gefahr der Verwechslung preisgegeben.” Diese Sätze, mit denen ein Benediktiner sich kürzlich in das Gespräch über die Sprache eingeschaltet hat, könnten unserem Bilde als Unterschrift dienen: Die Sprache der Lüge und des Todes vom Teufel gesprochen und die Sprache der Wahrheit und des Lebens von Jesus Christus gesprochen.

LeerWir vergegenwärtigen uns den biblischen Bericht: Auf dem Turm des Tempels stehend beschwört der Teufel den Herrn: „Bist du Gottes Sohn, so laß dich hinab fallen; denn es steht geschrieben: Er wird seinen Engeln über dir Befehl tun, und sie werden dich auf den Händen tragen, auf daß du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.” Und Jesus antwortet: „Wiederum steht auch geschrieben, du sollst Gott, deinen Herrn nicht versuchen.” - Worin besteht die Lüge des Teufels? Er zitiert die Bibel, und er zitiert sie richtig. Aber in seinem Munde wird die Wahrheit zur Lüge. Er hat das Bibelwort nicht ausgesucht, weil er daran glaubt, sondern weil es ihm in sein Konzept paßt. Deshalb geht Jesus auch gar nicht darauf ein. Er befaßt sich nicht mit dem vorgebrachten Argument, sondern entlarvt den Argumentierenden.

LeerSo zeigt auch unser Bild den Teufel nicht in verführerischer Verkleidung, sondern, von Jesus entlarvt, in seiner wahren, abschreckenden Gestalt. Mit weit aufgerissenem Maul, die langen Froschfinger zur Beschwörung erhoben, krallt er sich mit den Füßen an dem schwankenden Tempelturm fest wie an einem ideologischen Lehrgebäude. Er scheint seinen Flügeln nicht zu trauen und wäre der letzte, den Sprung zu wagen, zu dem er Jesus verleiten möchte. Ängstlich drückt er das nackte, dürre Hinterteil zurück, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Die ganze Haltung straft seine pathetisch vorgetragenen, von wilden Blicken begleiteten Worte Lügen.

LeerJesus spricht nicht, oder nur leise, mit kaum geöffnetem Munde. Den Blick nach innen gekehrt, die Linke auf der Brust, entlarvt er mit der Rechten den Widersacher. Er bedarf keiner großen Worte; denn er ist die Wahrheit, ebenso wie der Teufel die ans Licht gebrachte und in ihrer Häßlichkeit entmächtigte Lüge ist.

LeerDie Gestalt des Teufels ist plastischer, materieller als die des Herrn, die kaum Schatten wirft und bis in die Falten des schön ziselierten Gewandes hinein etwas Durchgeistigtes hat. So trägt Jesus auch dasselbe Gewand wie der Engel hinter ihm, der das Schwert gezogen hat und sich bereit hält, ihm zu dienen.

LeerIndem er den Teufel entlarvt, offenbart Jesus sich selber. Er öffnet uns die Augen und hilft uns, Wahrheit und Lüge zu unterscheiden, die sich in unserem Leben und in unserer Sprache so durchdringen, wie das Baumornament ihn und seinen Widersacher umrankt.

Quatember 1960, S. 97

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-01-09
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