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Der Heilige Geist und das Gebet für die Einheit
von Paul Evdokimov

LeerAngesichts der „zerstreuten Ähren”, die heimbegehren, angesichts ihrer Erwartung, „durch die Mühlen der Demut zu gehen, um zum süßen Brot für den Herrn zu werden”, ist es wichtig, den Sinn des Gebets für die Einheit zu vertiefen im Lichte einiger Thesen, die der Theologie des Heiligen Geistes entnommen sind. Unser Gegenstand wird nicht so sehr die Gestalt und der Inhalt des Gebets sein wie das, was zum Beten dazugehört, die Haltung des Beters, das „wie man beten soll”, um die volle Wirkung des Gebets zu erfahren.

LeerDenken wir an das Leben des heiligen Antonius, der erzählt, daß er drei Tage und drei Nächte betete. Am dritten Tage warfen sich die Dämonen Gott zu Füßen und flehten ihn an, den Heiligen aus seinem Gebet zu wecken; denn die Glut dieses Gebetes wurde unerträglich und zu einer Gefahr für die dämonischen Insassen dieser Welt. Der heilige Seraphim betete Tag und Nacht für einen Menschen, der von Gott verdammt war, und erklärte, daß er nicht weichen würde, bevor er die Gnade an sich gerissen hätte. Sein Gebet wurde erhört, aber um seiner Vermessenheit willen blieb er sein Lebtag lahm. Ein Mönch auf dem Athos pflegte das Vaterunser nur einmal zu beten, aber er begann damit abends und beendete es erst bei Sonnenaufgang. Offenbar war in diesen Fällen das, was jene geisterfüllten Männer zu sagen hatten, gar nicht so wichtig, ihr Gebet ging auf im Namen Gottes und wurde zum Ort seiner Erscheinung. Soll ich noch von dem blutigen Schweiß unseres Herrn reden? ... Welch ein Abstand zu der erschreckenden Selbstgerechtigkeit und zu dem nachlässigen Automatismus der kurzen Gebete, die heute unter Christen praktiziert werden, dieser so beleidigenden Gehirnprodukte und platten Sentimentalitäten!

LeerIn ihren Überlegungen über die Art der Beziehungen zwischen dem Menschen und dem Heiligen Geist stellen die Kirchenväter vor allem fest, daß der Heilige Geist dem ersten Menschen zusammen mit dem Leben gegeben worden war (St. Kyrill von Jerusalem). Nach dem Sündenfall jedoch konnte er nur von außen her auf die menschliche Natur einwirken. Unter der Herrschaft des Alten Bundes kommt der Heilige Geist mit der Natur in Berührung, ohne in sie einzudringen und sich innig mit ihr zu verbinden. Er redet durch die Propheten, er inspiriert sie von Fall zu Fall und verläßt sie dann wieder. Erst bei der Taufweihe im Jordan läßt sich der Heilige Geist herab und ruht fortan als Salbung auf der Menschheit Christi, und am Pfingsttage wird er im Inneren der menschlichen Natur wirksam. Von da ab ist die Jungfrau gratia plena; der Diakon und Erzmärtyrer St. Stephanus ist „voll des Heiligen Geistes”. Für den heiligen Ignatius von Alexandria sind die Getauften Θεοφόροι (Gottesträger), vor allem aber Θεοῦγεμετε (gotterfüllt). Der Mensch ist nach dem heiligen Paulus Tempel des Geistes. Wenn das religiöse Leben vor der Fleischwerdung ethischer Art war: Gehorsam oder Übertretung der durch das Gesetz gezogenen Grenze, so ist es nach der Herablassung des Geistes charismatisch: Leere oder Erfülltsein vom Heiligen Geiste. In der dreifachen Würde des Sacerdos, Königs und Propheten erscheint der Getaufte als Priester, der sein luziferisches Wesen opfert und so, nach jüdischer Überlieferung, dem heiligen Michael die Möglichkeit gibt, auf dem himmlischen Altar „feurige Lämmer”, nämlich die Seelen der Gerechten darzubringen; als Gotterfüllter ist er König; und schließlich ist er, als neue Kreatur mitten in die Welt gestellt, seinem ganzen Sein nach Prophet und verkündigt den, der da kommt. „Schon hier auf Erden erleuchtet, wird der Mensch ganz und gar zum Wunder. Er wetteifert mit den Engeln in unaufhörlichem Gesang; indem er sich auf Erden wie ein Engel hält, führt er Gott die ganze Kreatur zu” (St. Gregor Palamas). Ekstase und Instase gehen ineinander über: die erleuchtete Seele tritt aus ihrem Inneren heraus vor Gott.

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LeerSo wird der Heilige Geist uns vertrauter als wir selber, er wird zur „Seele unserer Seele” (St. Simeon), so sehr, daß für den heiligen Gregor von Nyssa der Mensch, der nicht von Heiligen Geist bewegt wird, kein menschliches Wesen ist.

LeerDas Gebet, das den Vater um die Aussendung des Heiligen Geistes bittet, heißt Epiklese, Daß es in der Eucharistie Verwendung findet, schmälert keineswegs seine umfassende Bedeutung. In der Tat geht die heiligende Wirkung des Geistes jeder Handlung voraus, in welcher Geistliches leibhaftig, Fleisch, Christophanie wird: Offenbarung der Fleischwerdung Christi und, was daraus für die Menschheit folgt, „auf daß Christus in euch Gestalt annehme”.

LeerSo „brütet” der Heilige Geist über dem Abgrund - dem Tohuwabohu - ohne Gestalt und Inhalt, in der Stunde der Schöpfung, aus der die Welt, der Leib Christi, die Kirche in ihrer Vollmacht hervorgeht. Der Geist redet durch die Propheten, und in den Vor-Pfingsten des Alten Bundes wird die Menschheit auf die Geburt Christi vorbereitet und auf sie zugeführt. Der Geist läßt sich am Tage der Verkündigung Maria auf die Jungfrau herab, und das Kind Jesus-Immanuel wird geboren. Er läßt sich auf Jesus in den Wassern des Jordan herab, so wie er sich am Pfingsttage auf den Leib seiner Kirche herabläßt. Bei der Taufe macht die Epiklese aus dem Täufling ein Glied des Leibes Christi. Bei der Salbung mit dem Chrisma, am Tage unserer persönlichen Pfingsten, macht die Epiklese aus dem Menschenwesen einen Charismatiker, eine neue Kreatur; aus Brot und Wein macht der Heilige Geist Leib und Blut Christi. Die eucharistische Epiklese verleiht den vom Priester gesprochenen Einsetzungsworten die Wirkung des Wortes Christi, und so vollzieht sich das Wunder der eucharistischen Wandlung. Bei allen, besonders aber bei den gottesdienstlichen Lesungen macht die Epiklese aus dem von Menschen niedergeschriebenen Bibeltext Gottes Wort. Wenn wir uns bekreuzigen, so ist das ein Akt der Epiklese, der denjenigen, der sich mit dem lebendigen Kreuz Christi zeichnet, verwandelt und mit ihm eins werden läßt.

LeerSo wird im epikletischen, vorbereitenden, heiligmachenden Handeln des Heiligen Geistes eine Gestalt des Leibes Christi offenbar. Jeder Christophanie, jeder Geburt einer organischen Zelle in der Kirche (Gemeinde und Gemeinschaften, ecclesia domestica = Hausgemeinde usw.) geht eine Pneumatophanie als ihre pfingstliche Epiklese voraus. Jedes Sakrament, mithin auch jedes geistliche Handeln ist ein kleines Pfingsten, eine Salbung mit dem Geist.

LeerDie Epiklese ist göttlichen Ursprungs, Christus selber hat sie in Worte gefaßt: „Ich will den Vater bitten, und er soll euch einen andern Tröster geben.” Der Herr gibt eine genaue Beschreibung seines Amtes: „Er wird nicht von sich selber reden, sondern, was er hören wird, das wird er reden, und, was zukünftig ist, wird er euch verkündigen.” Man beachte: der Heilige Geist greift zurück auf ein Christus-Wort, um, der Eschatologie und den novissima, den letzten Dingen im Lichte der Endzeit zugewandt, voraus zu verkündigen. Er fügt der Offenbarung, die durch den Herrn abgeschlossen ist, nichts hinzu, er begnügt sich auch nicht mit ihrer bloßen Wiederholung, sondern verkündigt sie voraus und versieht sie mit seinem eschatologischen Akzent, der aus demselben Wort einen tiefer verborgenen Sinn herausholt. Die Worte gehen über in „Buchstaben von Feuer”, sie reichen weiter, indem sie „lebendig machen”.

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LeerPfingsten enthüllt uns, daß Christus der große Vorläufer des Heiligen Geistes ist. Dieser kommt herab, sein Werk zu vollenden. Das Walten Christi ist sozusagen dem des Heiligen Geistes zugeordnet. Das Werk des Geistes besteht keineswegs in einem einfachen Dienst am Wort, in einer Mittlerschaft, sondern in der Verwirklichung eines Zwecks, dessen Ziel für den Menschen die theosis (Vergöttlichung), für die Menschheit das Himmelreich ist. Der König ist gekommen, damit das Reich komme. Die einfache Abhängigkeit (die Gefahr des Filioquismus) oder die sektiererische Unabhängigkeit (die Gefahr der Pfingstbewegungen) schließen den Kreis der Ausgießung des Heiligen Geistes auf sich selber. Nun aber gibt der Herr zu verstehen, daß die einzige Sünde die wider den Heiligen Geist ist, nämlich die Haltung, die sich den Kräften der Gnade in den Weg stellt; statt lebendig zu machen, verzehrt dann der Geist.. . Zwischen dem Walten beider herrscht eine gegenseitige Beziehung. Der Sohn ist gekommen, dem Heiligen Geist seinen Leib als Gefäß der heiligmachenden Gnade darzubringen.

LeerIn der Tat, „Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden” - dieses Feuer, so erläutern die Väter, ist der Heilige Geist, und sie gehen so weit, es mit der Auferstehung und mit dem Himmelreich gleichzusetzen. In einer sehr alten Lesart des Vaterunsers wird an Stelle des „Dein Reich komme” gebetet „Dein Heiliger Geist komme”. Deshalb ist das Ziel des Christenlebens nach dem heiligen Seraphim von Sarow der Erwerb des Heiligen Geistes und seiner Gaben, der aus jedem Getauften einen, sogar ontologisch von jedem Nicht-Getauften unterschiedenen, Charismatiker macht. In seiner Erklärung des Gleichnisses von den törichten Jungfrauen sagt der heilige Seraphim, daß sie als Jungfrauen gewiß von den-moralischen Tugenden erfüllt waren, aber töricht waren sie, weil sie der Gabe des Heiligen Geistes ermangelten. Der Geist eint sich auf mystische Weise mit den Menschen und tritt sozusagen an unsere Stelle, um in unserem Herzen Abba, lieber Vater, und Herr Jesus zu rufen. Nach dem Heiligen Basilius „ist es der Geist, der uns heiligt und mit Gott eint”. Die Väter unterstreichen, daß der Plan der Schöpfung zwar einer absteigenden Bewegung folgt: vom Vater, durch den Sohn, in dem Heiligen Geist, der Plan der Erlösung jedoch umgekehrt einer aufsteigenden: vom Heiligen Geist, durch den Sohn, zum Vater: von der geisttragenden Innerlichkeit durch den von Christus gestalteten Leib zur Unergründlichkeit des Vaters. Die Seele, die die Salbung empfangen hat und charismatisch geworden ist, ist verchristlicht (Christus ist in ihr Gestalt geworden), um sich zum Vater zu erheben und von ihm angenommen und vergöttlicht zu werden. Es ist sehr wichtig, daß die Väter sich so genau ausdrücken; denn in einer christozentrischen Geistigkeit, etwa in der Art von Tauler oder Eckehart, gibt es kein Bindeglied zwischen der Seele und Christus. Für die Väter jedoch kann Gott nur von Gott erkannt werden und kann nur der Heilige Geist uns mit Christus einen; er ist das a priori aller Gotteserkenntnis. Christus nimmt im Menschen Gestalt an (Gal. 4,19) und verchristlicht ihn, weil er heilig gemacht ist.

LeerSo ist die Epiklese der deutliche Ausdruck für das Walten des Heiligen Geistes. Sie läßt vor allem keinen entstellenden „Zentrismus” aufkommen (Christozentrismus oder Pneumatozentrismus) und stellt immer wieder die großartige Ausgeglichenheit der Dreifaltigkeit her: „Der Heilige Geist läßt die eine Natur der Dreifaltigkeit in den Seelen mystisch aufleuchten” (Sonntags-Offizium). „Ich werde nicht aufhören, es zu wiederholen: Licht ist der Vater, Licht ist der Sohn, Licht ist der Heilige Geist. Diese drei sind ein einziges unteilbares Licht” (St. Simeon). Im Geist und seinem offenbarenden Handeln transzendiert die Dreifaltigkeit ihre eigene Transzendenz, öffnet sich der Welt und erstrahlt in ihrer göttlichen Einheit. Aber im Geist entäußert sich die Dreifaltigkeit, und eben in seiner Person findet diese Entäußerung ihren Ausdruck. Er macht den Vater im Sohne sichtbar und begibt sich selbst - Mysterium fascinosum Trinitatis! - jeder Gestalt.

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LeerEs gibt keine persönliche Inkarnation des Geistes. Er hat sein Abbild nicht in einer anderen Hypostase. Deshalb kann er ikonographisch nur im Bilde der Taube und der pfingstlichen Flammenzungen dargestellt werden. „Der Sohn ist das Ebenbild des Vaters, und der Geist ist das Ebenbild des Sohnes”, sagt der heilige Johannes von Damaskus. „Aber wer ist das Ebenbild des Heiligen Geistes?” „Dein Name, der so begehrt ist und beständig bekannt wird - niemand kann sagen, was er ist”, ruft St. Simeon der neue Theologe voller Erstaunen aus. Höchstens könnte man sagen, daß das Ebenbild des Heiligen Geistes die Communio Sanctorum ist, die „goldene Kette” der Schar der Heiligen (St. Simeon), der Vorgang der Offenbarung selber oder der Anhauch, der von der Einheit ausgeht, eben der Geist des einen in Christus. In der Tat: wenn „Christus der Mittelpunkt ist, in dem alle Linien zusammenlaufen” (St. Maximus) und wenn er „aus den einen und den anderen einen einzigen Leib macht” (St. Johannes Chrysostomus), dann bezieht sich der Heilige Geist eben deshalb auf die Personen und läßt sie in der Fülle seiner Gaben aufblühen, weil sonst das Personenhafte in jener Einheit in Christo aufgehen würde: „Wir sind wie eingeschmolzen in einen einzigen Leib, aber personenhaft aufgegliedert” (St. Kyrill von Alexandria) und „getränkt vom Heiligen Geist trinken wir Christus” (St. Athanasius). Im Schoß der Einheit bewirkt der Geist Mannigfaltigkeit. Er vollendet einen jeden nach Maßgabe seiner eigenen Heiligkeit, so daß man sagen kann, daß der Heilige Geist sich in der Heiligkeit der einzelnen Personen und in der ihrer Kirchengemeinschaft abbildet. Deshalb wird der Heilige Geist auch in der Gestalt der allerreinsten und allerheiligsten Muttergottes dargestellt, insoweit sie ein Bild für die Heiligkeit der Kirche ist.

LeerSchließlich wird es gut sein, bei der Tauf-Epiklese haltzumachen. Jede gottesdienstliche Feier vereint alle Heilsbegebenheiten in sich wie in einem ausstrahlenden Brennpunkt. So erläutern der Gottesdienst und die Ikone von der Geburt Christi die Lesungen der Karsamstagsmetten: „Du bist auf die Erde gekommen, um Adam zu erlösen, und, als du ihn hier nicht fandest, o Herr, hast du ihn sogar in der Hölle aufgesucht.” Ebenso zeigt die Ikone die tiefe Finsternis der Grotte, ein dunkles Dreieck, wo das Kind Jesus wie in der Nacht der Hölle gebettet ist. Um an den äußersten Ort des Sündenfalls zu gelangen und sich zum „Herzen der Schöpfung” zu machen, verlegt Christus seine Geburt auf mystische Weise in die Hölle, dorthin, wo das Böse in seiner ausweglosen Verzweiflung dahinwelkt. Bei seiner Geburt fährt der Himmel herab bis auf den Grund des Abgrundes. „Als Fackelträger des Lichts zerstreut das Fleisch Gottes unter der Erde die Schatten der Finsternis”. Was in der Geburt Christi prophezeit wird (die Windeln des Kindes sehen genau so aus wie die Leinen, die nach der Auferstehung im leeren Grabe zurückgeblieben sind), das verwirklicht sich in der Taufe des Herrn, in seinem Tode und in seiner Höllenfahrt, und seitdem „scheint das Licht in der Finsternis”. So sagt der heilige Gregor von Nyssa: „Die Sonne ist mit ihm schlafen gegangen, aber er zerstreut für immer die Schatten des Todes”, denn seine Sonne, das Licht, das vor aller Zeit da war, hat sie licht gemacht.

LeerDer Gottesdienst des Epiphaniafestes gebraucht den Ausdruck „nasses Grab” und spielt dabei auf die Unergründlichkeit des Wassers an, in der sich die Mächte des Bösen verbergen. Am Tage seiner Taufweihe sagt der Herr: „Es drängt mich, den Feind, der in den Wassern verborgen ist, umzubringen”, und so taucht Christus in dieses „nasse Grab” ein, um die Menschheit der Stätte der Finsternis zu entreißen. Man sieht deutlich, daß die Taufe des Herrn schon vorweggenommene Höllenfahrt ist. „Ewiges Wort, du gibst dem Menschen seine Jugend wieder, die er verlor, als er vom Wege abwich; er begräbt sich mit Dir in den Fluten”. Nach dem großen Liturgiker Nikolaus Kabasilas verleiht die Tauf-Epiklese dem Wasser des „heilbringenden Bades” die Wirkung des Blutes Christi. Im Gottesdienst der Ostkirche werden die Brotstückchen in das eucharistische Blut eingetaucht, während der Name eines jeden Gläubigen aufgerufen wird; so wird auch jeder Täufling in das Leben spendende „Blutbad” eingetaucht. Die mystische immersio Christi in dem „nassen Grab” wird hier sinnbildlich wiederholt. So wie Christus drei Tage im Tode und in der Hölle zubrachte, wird jeder Täufling dreimal im Bade des Heils untergetaucht. Man begreift, welche symbolische Bedeutung das völlige Untertauchen hat. Darüber hinaus ist die Taufe ihrem Wesen nach ein Abstieg des Täuflings an den Ort der Toten.

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LeerEs ist bestürzend, daß diese Bedeutung, die im Gottesdienst und in der Lehre der Väter (zum Beispiel St. Kyrill von Jerusalem, P. G. 33, 1079 C; St. Gregor von Nazianz P. G. 46, 585) so stark unterstrichen wird, weithin in Vergessenheit geraten ist. Die Eingießung eines neuen Lebens, die Auferstehung zusammen mit dem Herrn ist nicht möglich, ohne daß die Grundfesten der Hölle ins Wanken gebracht und zerstört worden sind. Wir tauchen unter in der Nachfolge des göttlichen Tauchers. Wir kommen unserem Sterben zuvor und schreiten darüber hinaus, um schon jetzt siegreich aus dem Siege Christi hervorzugehen. Die Hölle ist furchtbarer als der Tod, und wer dort ist, mag sich den Tod als Befreier wünschen. Christus steigt hinab unter der Last der Sünde und trägt seine Wundmale davon. Sein Kreuz ist „das Gericht der Gerichte”, das heißt: Das letzte Wort hat die gekreuzigte Liebe. In der Nachfolge des Herrn steigt jeder Getaufte mit ihm hinab und nimmt Christi priesterliche Sorge für das Schicksal derer auf sich, die am Ort der Toten sind; und, wenn er mit Christus aufersteht, trägt auch er die Wundmale dieser apostolischen Sorge um das Schicksal der Sünder. Die Erneuerung aus der Quelle des Sakraments, die Einkehr in dem finsteren Reich des Bösen und dem Ort seines Ursprungs gräbt sich tief und unzerstörbar in die Seele ein, so wie auch der erschreckende Anblick dieser Welt, die sich bis zum äußersten widersetzt und in ihrem Trotz Gefahr läuft, sich samt und sonders in der Hölle wiederzufinden.

LeerDiese realistische Auffassung von der Taufe, die im Sakrament selber gründet, bestimmt ganz und gar und weiht unser Dasein als neue Kreatur in seinem allgemeinen Priestertum und in seiner apostolischen Weite.

Dieser Aufsatz gibt in etwas gekürzter Form den 1. Teil eines Vertrages von Professor Evdokimov-Paris wieder, der im Februar 1960 im Ökumenischen Institut in Bossey gehalten wurde. Der zweite Teil soll im Michaelis-Heft folgen. Übertragung aus dem Französischen von H. C. v. Haebler.

Quatember 1960, S. 120-124

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-01-09
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