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Gang durch die Katakomben
von Horst Schumann

LeerWenn man das große Glück gehabt hat, einige Wochen in Rom zu verbringen, und wird dann gefragt, was einem wohl besonders eindrücklich gewesen sei, so muß man zweifellos zunächst auf die aufregende Vielschichtigkeit dieser nicht vergleichbaren Stadt hinweisen, die ja zugleich eine antike und eine frühchristliche und eine barocke und eine moderne Stadt ist. Jede dieser Schichten, die sich oft durchdringen, böte Stoff für jahrelanges, begeisterndes, an Überraschungen und Entdeckungen reiches Studium.

LeerUns interessierte vor allem das frühchristliche Rom. Wenn man auch sagen muß, daß der heutige südliche Katholizismus durchaus noch im Barock lebt und nur als Barock verstanden werden kann - das ist Goethe schon sehr stark aufgefallen - so ist man doch überrascht, in wie hohem Maße Rom zugleich eine Stadt der frühen Christenheit ist. Da sind vor allem, wie jeder weiß, die Katakomben (84 sollen es im Ganzen sein mit einer Ganglänge von insgesamt weit über 800 km - was nun eben nicht jeder weiß) - aber auch, nicht weniger gewichtig, die zahlreichen frühen Basiliken mit den herrlichen Apsismosaiken des 4. bis 9. Jahrhunderts, in deren Tradition und Stil noch im 12. Jahrhundert großartige Werke entstanden sind.

LeerEines der schönsten römischen Erlebnisse war eine dreistündige Führung durch die Domitilla-Katakombe - vier Brüder und drei Bruderfrauen, mit Kerzen in den Händen wie bei einer Lichterprozession, geleitet von einem jungen, frommen deutschen Mönch, der sich als wohl unterrichtet erwies. Dabei wurde uns sehr deutlich, daß die so großen und ausgedehnten Katakomben nicht unbekannt, also keine „geheimen Zufluchtsstätten der Christen” gewesen sein konnten, wie immer noch viele glauben; man war vielmehr dort in Sicherheit, weil ein Begräbnisplatz „locus sacer”, d. h. nach strengem römischem Recht unantastbarer, geweihter Ort war, an dem keine Gewaltsamkeit geschehen durfte.

LeerBesonders eindrücklich war mir die Beobachtung, in wie enger Gemeinschaft die alten Christen mit ihren Entschlafenen gestanden haben. Sie hatten es spürbar begriffen, daß Christus dem Tode die Macht genommen hat. Wir sahen, nahe dem Eingang der Katakombe, die mit ausgehauenen Steinbänken versehenen großen Räume für Mahlzeiten (die keineswegs das Herrenmahl gewesen sein müssen). Man hielt offenbar das Gedächtnismahl an der Stätte der Toten mit dem Bewußtsein, daß der Entschlafene nicht bloß in der Erinnerung, sondern wahrhaft dabei ist. Sehr aufschlußreich erschien mir eine Inschrift in schlechtem Latein „Semne, ora pro tuos” (Semne, bete für die Deinen!) - man rechnete also ernsthaft damit, daß die Gemeinschaft der Fürbitte durch den Tod nicht unterbrochen ist. Es überraschte uns kaum, daß den Märtyrern offenbar von Anfang an eine große Verehrung zuteil wurde (ihre Grabplatten allein sind mit dem Palmzweig ausgezeichnet!), aber es gab uns zu denken, daß man im 4. Jahrhundert unbefangen auch damit gerechnet hat, daß die Märtyrer die anderen Toten ins Paradies geleiten, daß man also seinen geliebten Entschlafenen dem Märtyrer anbefehlen darf. Und es dürfte sich lohnen darüber nachzudenken, ob das total falsch war, wie unsere Theologen heute annehmen.

LeerEs ist bekannt, daß in der Katakombenwelt das Symbol eine große Rolle spielt. Aber der Unterschied ist gewaltig, ob man das nur theoretisch weiß, oder ob man bei stundenlangem Wandern durch die unterirdischen Gänge von der machtvollen Sprache bedeutsamer und heiliger Zeichen geradezu überwältigt wird. Wie stark diese Zeichen vom Christusleben zeugen, ja es geradezu spürbar in sich tragen, das wurde uns mitten auf unserem Wege schlagartig bewußt: Wir wanderten hier zwischen Tausenden von Gräbern und an unzähligen Totengebeinen vorbei - und es war immer nur die Rede vom Leben und vom Paradiese und von der Geborgenheit beim guten Hirten. Der Tod hatte in diesen langen Gängen, die so unheimlich sein könnten, gar nicht das Wort.

LeerWunderbar ist die Unbefangenheit, mit der heidnische Zeichen getrost in den christlichen Raum hineingenommen und getauft werden. Natürlich findet man in den figürlichen Darstellungen überwiegend die großen Typen der Errettung aus dem Alten Testament: Jona, Noah, Daniel in der Löwengrube, die Männer im Feuerofen, das Opfer Abrahams, Moses, der Wasser aus dem Felsen schlägt. Aber dazwischen steht dann auch Christus als Orpheus (der ja in der Unterwelt war und bei dessen Gesang paradiesischer Friede sich auf die Tierwelt senkte), oder wir erblicken eine Weinlese und Hirtenszenen, deren Bedeutung durchaus schwebend ist. Möglicherweise ist an den „Guten Hirten” der Schrift gedacht. Man muß aber oft eher annehmen, daß es bukolische Darstellungen heidnischen Ursprungs sind - die sich jedoch für den Christen mit christlichem Sinn erfüllen. Wenn man dazu nimmt, daß unter der Peterskirche die Mosaikdarstellung eines Christus als Helios gefunden worden ist, als Sonnengott auf dem Sonnenwagen, so bestätigt sich unsere alte Vermutung, daß der Herr Christus eben durchaus nicht nur die Erfüllung der messianischen Verheißungen Israels ist, sondern ebenso die Erfüllung der Ahnungen und Hoffnungen der frommen Heiden.

Quatember 1960, S. 124-125

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-01-09
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