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Fronleichnam
von Wilhelm Stählin

LeerKurz vor dem ersten Fronleichnamsfest, das ich in Münster erlebte, ließ mich der katholische Pfarrer des Bezirks, in dem meine Wohnung lag, in sehr höflicher Form um die Erlaubnis bitten, auf Kosten seiner Gemeinde mein Haus für den Fronleichnamstag zu schmücken, damit es nicht als das einzige ungeschmückte Haus unangenehm auffalle und eine unfreundliche Stimmung gegen den neuen Bewohner erwecke. War ich es dem protestantischen Bekenntnis schuldig, daß ich dieses freundlich vorgetragene Ansinnen ablehnte? - Die Universität hielt am Fronleichnamstag keine Vorlesungen; nur um der evangelisch-theologischen Fakultät willen mußten die Gebäude - gerade während der großen Prozession - geöffnet bleiben. Ich habe mich schon damals gefragt, ob es richtig war, in dieser Form unseren Protest gegen das Fronleichnamsfest zu dokumentieren. Jahr um Jahr habe ich dann versucht, mir selbst und meinen Hörern darüber Rechenschaft zu geben, welche tieferen Gründe und Hintergründe jenes Gefühl einer fast hoffnungslosen Fremdheit hat, und was es eigentlich ist, was uns zu solcher ostentativen Ablehnung berechtigte oder etwa gar verpflichtete.

LeerIn meiner Heimatstadt Augsburg diente eine der alten, nicht mehr gottesdienstlich benützten Kirchen dazu, das Jahr hindurch jene aus Brettern zusammengefügten Laufstege aufzubewahren, auf denen sich am Fronleichnamstag die Prozession durch die Hauptstraße bewegte; viele Protestanten vergnügten sich immer wieder an dem Scherzwort, daß die Katholiken an diesem Tag selber zeigten, daß sie „auf dem Holzweg” seien. Ich kann mich aus meiner Jugend nicht erinnern, eine etwas geistvollere und tiefgründigere Auseinandersetzung mit „Fronleichnam” gehört zu haben. Aber weder der ästhetischen Reiz einer farbenprächtigen Prozession - in meiner Jugend wurde das Militär dazu kommandiert, in seinen bunten Galauniformen Spalier zu stehen - noch jenes Gefühl, als ginge uns nichts an, was uns so sehr fremd ist, entbindet uns davon, einmal genau hinzusehen, was mit diesem Fest eigentlich und ursprünglich gemeint ist und welche Art von Frömmigkeit darin zur Schau getragen wird.

LeerSchon das Wort bedarf einer zwiefachen Erklärung. In der ersten Hälfte steckt das Wort Fron - Herr, das uns in den Ausdrücken für niedrigen Knechtsdienst und für eine unwürdige Abhängigkeit „Fron” und „frönen” erhalten ist; die Vokabel „Leichnam”, von uns nur für den entseelten Leib des Verstorbenen gebraucht, bezeichnet noch bei Luther und in gleicher Weise auch etwa im Holländischen („lichaam”) den Leib überhaupt: „Herr durch Deinen heiligen Leichnam, der von Deiner Mutter Maria kam.” Der Name „Fronleichnam” entspricht also genau der offiziellen Bezeichnung dieses Tages in der römischen Liturgie: festum sanctissimi corporis Christi.

LeerDas Fest ist erst im Zusammenhang mit der Frömmigkeit des späten Mittelalters aufgekommen. Im Jahr 1246 hatte in Lüttich eine Nonne namens Juliane eine Vision, in der ihr der Mond mit einem Loch auf der einen Seite erschien, und sie erhielt die Deutung, daß im Kreis des Jahres noch ein Fest fehle. Diesem Mangel sollte die Einführung des Fronleichnamsfestes zunächst in der Diözese Lüttich abhelfen; dann aber, als der Lütticher Archidiakon als Urban IV. den päpstlichen Thron bestiegen hatte, wurde es 1264 offiziell eingeführt, konnte sich aber gegen manche Widerstände erst unter den Nachfolgern allgemein durchsetzen. Es war ausgesprochen ein Fest der Dominikaner, und ihre Widersacher, die Franziskaner, erzwangen ein Gegenfest, das bis dahin unbekannte festum visitationis (am 2. Juli), das dann auch die Reformation als eines der biblisch begründeten Marienfeste unbedenklich übernahm. Aber erst das Konzil von Trient hat in seiner XIII. Sitzung dem Fest jenen demonstrativen und polemischen Akzent gegeben, ohne den es heute kaum gedacht werden kann: Opportuit victricem veritatem de mendacio et haeresi triumphum agere, ut eius advcrsarii in conspectu tanti splendoris et in tanta universae ecclesiae laetitia positi vel dcbilltatt et fracti tabescant. („Die siegreiche Wahrheit muß einen öffentlichen Triumph über Lüge und Ketzerei feiern, damit ihre Widersacher im Anblick eines solchen Glanzes und inmitten einer so großen Freude der ganzen Kirche geschwächt und gebrochen dahinschwinden.”)

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LeerEs ist wie immer sehr aufschlußreich, die Liturgie des Festes ins Auge zu fassen. Als Eingangspsalm wird Psalm 81 gebetet und als seine Antiphon, die ja immer in besonderem Maß dem Fest das Gepräge geben soll, dessen Vers 17: „Ich speise sie mit dem besten Weizen und sättige sie mit Honig aus dem Felsen.” Als Epistel wird gelesen 1. Kor. 11, 23-29 (die Stelle über das Heilige Mahl), als Evangelium Joh. 6, 56-59 („Mein Fleisch ist die rechte Speise und mein Blut ist der rechte Trank”); zwischen beiden Lesungen dient als Gradualgesang Psalm 145 (offenbar als Tischgebet mit Bezug auf das Heilige Mahl verstanden) und als „Sequenz” der von Thomas von Aquin für dieses Fest seines Ordens gedichtete Hymnus „Lauda Sion Salvatorem”. Auch in dem wesentlich von Thomas gestalteten „Officium”, dem Stundengebet dieses Tages, ist ein auf ihn zurückgehender Hymnus enthalten:

Pange lingua gloriosi / corporis mysterium.

Leer(Preise, Zunge, das herrliche Geheimnis des Leibes Christi), dessen Anfangsworte uns u. a. durch die danach benannte Messe von Josquin de Pres bekannt geworden sind. In der Matutin des Tages werden als Väterlesungen Stücke aus Predigten von Augustin und Thomas über das Sakrament des Altars gelesen. Auch das Lied, das in der Übersetzung von Otto Riethmüller in das EKG (Nr. 161) aufgenommen worden ist „Das Wort geht von dem Vater aus . . .”, ist von Thomas von Aquin für die Feier des Fronleichnamsfestes gedichtet. Selbst eine so flüchtige Bekanntschaft mit der Ideologie des Festes gewährt also einen starken Eindruck davon, wie sehr die Lesungen, Hymnen und Gebete dieser Liturgie in einer biblisch gesättigten Sprache das Mysterium des Leibes Christ verherrlichen.

LeerEine rechte Stellung zum Fronleichnamsfest zu beziehen, ist durch zwei Umstände erschwert; einmal dadurch, daß in der Art, wie das Fronleichnamsfest zumeist begangen wird, der in der Liturgie bewahrte Sinn vielfältig überlagert und kaum mehr richtig zu erkennen ist; und wenn wir versuchen, durch alle Veräußerlichungen und Mißbräuche hindurch zu dem dogmatischen Kern vorzudringen, werden wir dessen bewußt, daß in der evangelischen Kirche das Sakrament des Altars als das zentrale Mysterium des christlichen Glaubens keine vergleichbare Rolle spielt. Luther hat keinen Versuch gemacht, etwa ein evangelisch gereinigtes Sakramentsfest zu gestalten, obwohl doch hier keine von der Bibel her zu beanstandende Heiligenverehrung im Spiele war; es läßt sich schwer begründen, warum Luther gegen die in der Liturgie des Tages reichlich verwendeten alttestamentlichen „Typen” des Heiligen Mahles - Isaaks Opferung, der Priesterkönig Melchisedek, Passamahl und Manna - eine besonders scharfe Polemik gerichtet hat, obwohl gerade hier eigentlich kein Anlaß zu solchem Zorn gegeben war.

LeerWas uns fremd und bedenklich ist, liegt nicht so sehr in dem dogmatischen Gehalt und der ihm entsprechenden liturgischen Gestalt, sondern in der Form des Vollzugs. Der stark nach außen gerichtete, demonstrative und propagandistische Charakter, den ihm das Tridentinum verliehen hat, gibt diesem katholischen Fest das Gepräge. Die endlosen Gebete, die während der Prozession gleichförmig wiederholt werden, scheinen uns dem Ernst und der Andacht des Gebetes zu widersprechen, zu der uns der Herr in der Bergpredigt ausdrücklich gemahnt hat, und es ist für den, der am Rande steht, schwer möglich zu glauben, daß darin noch eine wirkliche Andacht lebendig sein kann. Freilich kann auch in der Prozession, so äußerlich sie oft vollzogen werden mag, noch ein guter Sinn gefunden werden. Die processio ist nicht einfach Bewegung auf einen bestimmten Ort zu, sondern hier trägt das Schreiten selbst seinen Sinn in sich, und daß das „Sanctissimum corpus Christi” nicht nur in der Kirche, sondern durch die Straßen getragen wird, kann als eine kindliche Form des Glaubens verstanden werden, daß Christus seinen Weg in die Welt hinein nehmen und auch in den profanen Bereichen der Welt gegenwärtig sein will.

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LeerDas eigentlich Anstößige ist uns die Art, wie hier von dem Leibe Christi geredet und mit ihm gehandelt wird. Der Ausdruck „Leib Christi” ist im Neuen Testament viel umfassender, als daß er auf die sakramentale Feier und auf das in dieser Feier verwandelte Brot beschränkt werden dürfte. Daß der Ausdruck „Leib Christi” wesentlich und überwiegend die Gemeinde bezeichnet, die als ein lebendiger Organismus von dem Haupt im Himmel her regiert wird, das aber zugleich in ihrer Mitte gegenwärtig ist, gibt diesem Ausdruck „Leib Christi” eine sehr umfassende Bedeutung und sollte uns davor bewahren, den Leib Christi einfach gegenständlich mit den im sakramentalen Mahl gebrauchten Elementen zu identifizieren. Der Wortlaut der entscheidenden Bitte in der Form unserer evangelischen Messe gibt diesem komplexen Sachverhalt, wie mir scheint, einen zutreffenden Ausdruck „In diesem Brot gibt uns teil an dem Leibe Deines Sohnes, in diesem Kelch gib uns teil an dem Blute Deines Sohnes Jesu Christi.” Hier aber wird dieser „Leib Christi” als ein sakramentaler Gegenstand extra usum, außerhalb einer Mahlfeier und losgelöst aus dem Komplex des Mysteriums zum Gegenstand einer Feier, ja einer nach außen gerichteten Demonstration gemacht. Ähnlich wie das neu erfundene und höchst überflüssige Christkönigsfest ohne Zusammenhang mit Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten, wo es seinen sachgemäßen Ort hätte, begangen wird, wird hier ein Fest des aller-heiligsten Leibes Christi ohne rechten Zusammenhang mit dem gesamten Erlösungswerk mit festlichem Gepränge begangen. Und auch die neuerdings gegebene Begründung, daß Fronleichnam als ein „zweiter Gründonnerstag” jener Freude Ausdruck geben wolle, die in der Karwoche durch das Gedächtnis des Leidens und Sterbens Christi gedämpft bleiben müsse, vermag nicht recht zu überzeugen.

LeerDoch wäre es ungerecht zu vergessen oder zu leugnen, daß innerhalb der römisch-katholischen Kirche ernsthafte Theologen darum bemüht sind, das Fronleichnamsfest von seinem äußerlichen Beiwerk zu reinigen und seine Beziehung auf das Sakrament der Gegenwart Christi in seinem Heiligen Mahl wieder sichtbar zu machen. Vor mir liegt eine Anweisung für katholische Priester für die Predigt am Fronleichnamsfest. Darin heißt es u. a.: „Sie (die Kirche) hält keine Heerschau über die Scharen ihrer Gläubigen; sie meldet auch keine Ansprüche an die Welt an. Ein einziges tut sie: sie zeigt der Welt den, der ihre einzige Macht ist, auf den allein sie sich berufen kann und will. . . Gibt es etwas Unscheinbareres als die Hostie? Ein winziges Stücklein Brot. . . Aber dieses Brot ist der Herr. Und wenn Er bei seinem Gang durch die Straßen nur einen einzigen Menschen findet und ihn mit dem Saum seines Gewandes streift, daß dieser Mensch wieder das vertraute wundersame Du findet zu seinem Herrn und Gott, dann wäre sein Gang nicht vergeblich.” „Die Anbetung des Herrn im Sakrament kann kein Ersatz für die Mitfeier der Messe und Teilnahme am Opfermahl sein.” Vielleicht sind viele, die in der Fronleichnamsprozession mitgehen, von ganz anderen Gedanken bewegt; aber wir nehmen zur Kenntnis, was damit nach der wahren Intention des Festes gemeint ist: „Die sichtbare große Freude über Gottes Gegenwart unter uns.” Alles, was uns fremd und bedenklich ist an diesem Fest des katholischen Volkes, dessen christlicher Hintergrund oft kaum mehr empfunden wird, kann und darf die Frage nicht übertönen, die das Fronleichnamsfest bei uns erwecken muß, ob etwas von jener kindlichen Freude und von dem glühenden Eifer, Christus in die Welt hineinzutragen, auch unter uns lebendig ist.

LeerVor Jahren sollte ich in einer fernen Stadt in einem Jugend-Gottesdienst predigen. Es war mir mitgeteilt worden, ein Chor würde nach der Predigt das mir wohl vertraute Lied singen: „Himmelsau, licht und blau . . .”, dessen einzelne Strophen mit dem Kehrvers schließen: „So viel mal, ohne Zahl, sei gelobt das Sakrament.” Ich hatte meine Predigt stark auf dieses Lied ausgerichtet; und als dann das Lied gesungen wurde, war der Text gut protestantisch geändert „sei gelobet Gott der Herr”. Ich habe dann meine Predigt genau darüber gehalten, daß wir gerade im Sakrament und durch die Feier des Sakraments Gott den Herrn loben und preisen dürfen.

Quatember 1960, S. 126-128

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-01-09
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