Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1960
Jahrgänge
Autoren
Suchen


Umbruch im Raum der Seele
von Karl Bernhard Ritter

LeerEs ist nicht nur der apokalyptische Charakter unserer Zeit, der die erstaunlichsten Erschütterungen und Aufbrüche im Seelenraum der Menschheit hervorruft. Um einen Eindruck davon zu geben, weist Carl Gustav Jung auf „gewaltige archetypische Entwicklungen in der Seele des Einzelnen und der Masse” hin. Er glaubt wahrzunehmen, daß in ihnen Symbole an Bedeutung gewinnen, die eine Kompensation dieser apokalyptischen Weltlage bedeuten und der Sehnsucht nach Frieden und Ausgleich der drohend ausgespannten Gegensätze eine erneute Hoffnung zu verleihen imstande sind. Darüber hinaus unternimmt Alfons Rosenberg in seinem Buche „Durchbruch zur Zukunft” (Otto Wilhelm Barth-Verlag, München) den kühnen Versuch, das Ziel zu zeigen, dem der Mensch unserer Epoche auf tausend Wegen zustrebt. Er bedient sich dabei des astrologischen Bildmaterials und spricht von dem Übergang vom Zeitalter der Fische in das Zeitalter des Wassermanns, dessen Beginn er auf das Jahr 1950 ansetzt. Auch wer diese Redeweise ablehnt, wird sich seiner Darstellung nicht entziehen können, deren eigentlicher Gehalt auch losgelöst von dieser Sprache aufgenommen werden kann. Welche Verwandlung steht dem Menschen im anbrechenden Zeitalter bevor? Die Frage ist unlösbar verbunden mit der Frage nach der Zukunft des Christentums. Von der Sorge um diese Zukunft ist Rosenberg aufs stärkste bewegt. Er bejaht die zentrale Bedeutung des Christusereignisses. „Daß Gott Mensch geworden ist, das ist schlechthin der Wendepunkt der Entwicklung des Menschen zu sich selber; daß es sich aber bei der Fleischwerdung Gottes um den Anstoß zu einer Wandlung des Menschen bis zur totalen Vermenschlichung des Menschen handelt, die freilich erst am Ende der Zeiten ganz in Erscheinung treten wird, davon zeugt die fortdauernde Inkarnation.” Den gleichen Gedanken spricht Jung aus: „Die zukünftige Einwohnung des Heiligen Geistes im Menschen bedeutet soviel als eine fortschreitende Inkarnation Gottes. Christus als der gezeugte Gottessohn und als präexistenter Mittler ist ein Erstling und ein göttliches Paradigma, das gefolgt wird von weiteren Inkarnationen im wirklichen Menschen”. („Antwort an Hiob”. Rascher-Zürich). Rosenberg weist darauf hin, daß seit der Zeitwende in allen Religionen der Erde Elemente christlicher Gesinnung auftauchen. Es habe den Anschein, daß der Prozeß der substantiellen Verchristlichung der Weltreligionen, der sich in den ersten Jahrhunderten nach der Geburt Christi vollzogen habe, sich heute auf einer neuen Stufe wiederhole: „Keine der Weltreligionen ist mehr schöpferisch, es sei denn, sie nehme, gewollt oder ungewollt, christliche Einflüsse in sich auf.” Rosenberg sieht darum eine neue Form der Begegnung des christlichen Glaubens mit den asiatischen Hochreligionen voraus: „Die christliche Theologie ist größtenteils derartig an abendländische Denk- und Gestaltungsweisen gebunden, daß sie dadurch zeitbedingt ist. Unendlich viele Aspekte des Christlichen sind überhaupt noch nicht gesichtet worden, sie werden nun hervortreten, teils durch unmittelbare Erleuchtung durch den fortwirkenden Heiligen Geist, teils durch die Auseinandersetzung, zu der das christliche Denken durch die Begegnung mit den asiatischen Religionen genötigt ist.” Rosenberg verweist in diesem Zusammenhang mit Recht auf das Lebenswerk Leopold Zieglers, insbesondere die letzten großen Arbeiten seiner Altersperiode, der die entscheidende Bedeutung dieser Begegnung für ein erneuertes und universales Selbstverständnis des Christentums aufgewiesen hat.

Linie

LeerAus der Überfülle der Einzelzüge, die Rosenberg zur Beschreibung des heraufziehenden Weltalters zusammenträgt, seien hier nur einige wesentliche Züge herausgehoben: Im Zeichen des Wassermanns werde der Mensch zur totalen Mobilmachung aller Kräfte und aller nur möglichen Erkenntnisse und Lebensformen gedrängt: „Alles wird fließend, weit, das Unmögliche möglich, das Geisterhafte real, die Materie entmaterialisiert,- das Seltsame wird ein Bestandteil des Alltags.” Vor allem werde der Mensch, der seine gesamte Umwelt über das Sichtbare hinaus zu durchdrängen und umzugestalten vermag, zu einem vollständigen Innewerden seiner selbst gelangen. Damit werde das Feld der Gottesbegegnung in das Innere verlegt: „Der eigentliche Ansatz- und Wendepunkt für diese Verinnerlichung Gottes war seine Menschwerdung in Jesus Christus, die sich als die größte, heute noch andauernde .Weltrevolution ausgewirkt hat.” Damit ist das Generalthema der gesamten Weltgeschichte benannt. Am Ende werde das, „was heute geistig, psychisch, mental als Ahnung einer Transparenz des Daseins spürbar wird, auch im Leibe wirklich geworden sein - so daß der Mensch dann, wie im Paradiese, leuchtenden Leibes wandeln wird. Gerade dem menschlichen oder integralen Menschen ist heute und künftig die Aufgabe gestellt, auf Gott hin transparent zu werden. Denn dem im Wassermann-Zeitalter geheimnislos werdenden Menschen, dem nackt, entblößt, sich selbst durchsichtig gewordenen, ist auch vor Gott keinerlei Verborgenheit mehr gewährt. Er ist der Sonne Gottes ausgesetzt, die ihn paradoxerweise, wenn er sich zu schützen versucht, verbrennt, die ihn aber durchlichten wird, wenn er sich ihr preisgibt.” Beachten wir, daß hier der christliche Glaube an die Auferstehung und die Verklärung des Leibes als ein in die Geschichte selbst verwobener Vorgang verstanden wird. Wie realistisch diese Verwandlung des Menschenwesens gesehen ist, machen die Sätze noch deutlicher: „Läßt sich der nackt und hüllenlos gewordene Mensch von den Lichtspeeren Gottes durchdringen, dann kann er - mehr als je zuvor - zum Medium des Ewigen werden. Dann wird etwas an ihm sichtbar (und nicht nur denkbar), was bisher nur vom menschgewordenen Herrn und manchen seiner Heiligen überliefert ist: der das Künftige vorwegnehmende Zustand der Verklärung hier im Fleische. Der ‚menschliche Mensch‘ kann auf das ihm einwohnende Göttliche hin transparent werden; er wird - weil Gott ihm einwohnt - sich nicht mehr wie der typische Mensch des Fische-Zeitalters in grenzenloser Sehnsucht nach Gott verzehren und um Gottes willen Leiden suchen, sondern durch ihn seine Umwelt erleuchten. Ein solch wahrhaft strahlender, von Gott durchstrahlter Mensch wird dann ein göttlicher genannt werden. Das Ziel, das die Väter als das des Menschen erkannten: ‚Gott wurde Mensch, auf daß der Mensch vergöttlicht werde‘, wird sich dann auf einer neuen Seins- und nicht Bewußtseinsstufe realisieren.” Ähnlich wie Jung glaubt Rosenberg eine Ankündigung dieser Entwicklung in dem Dogma der römischen Kirche von der leiblichen Himmelfahrt Maria erkennen zu dürfen. Indem die Kirche „im Gewand ihrer heiligen Symbolsprache das Leitbild des Kommenden, den integralen - und im höchsten Sinne - den verklärten Menschen ans Licht gehoben hat, ist in die mitternächtliche Gottesfinsternis unserer Zeit bereits der erste Lichtschimmer des kommenden Morgens gefallen”. Das alles ist Betrachtung und Versuch einer Deutung des anbrechenden Zeitalters. Gibt es darüber hinaus schon Zeugnisse innerer Erfahrung vom Aufleuchten solcher neuen Aspekte? Ehe ich es wage, auf ein Buch hinzuweisen, das höchst erstaunliche Äußerungen aus dem Bereich solcher Erfahrungen enthält, wird es angebracht sein, einige nüchterne Feststellungen zu treffen. Daß Gott auf uns wirkt, wird sich immer nur in den Erfahrungen der Seele feststellen lassen. Die Kirche lehrt darum, daß der Glaube ohne das Wirken des Heiligen Geistes unmöglich ist. Auch das „äußere” Wort der Schrift wird nur durch eine Entsprechung im inneren Bereich der Seele als „Gottes Wort” aufgenommen. Es bleibt für den Beobachter stets offen - darüber läßt sich eben „objektiv” nichts ausmachen -, ob es sich um Wirkungen handelt, die von Gott ausgehen, oder ob es sich um Produkte des Unbewußtsein handelt. Die Gottheit und das Unbewußte sind insofern Grenzbegriffe für transzendentale Inhalte. Für den Psychologen wird es wahrscheinlich ein Kriterium sein, ob es sich bei solchen Manifestationen in der Seele um eine Symbolik handelt, die ihm auch sonst als eine die Gottheit charakterisierende und versinnbildlichende Symbolik des kollektiven Unbewußten begegnet. Für den Christen wird das wichtigste Kriterium sein, ob die so auftretenden Zeugnisse im Widerspruch stehen zu der in der Schrift bezeugten Erscheinung des Christus = Logos, oder ob sie als Entfaltung dieser in der Schrift bezeugten Offenbarung verstanden werden können. Die Entscheidung über die „Gültigkeit” der Aussagen ist eine Sache des Glaubens. Wie aber auch immer diese Entscheidung ausfallen mag, schon der Tatbestand, daß es „so etwas heute gibt”, ist in vieler Hinsicht außerordentlich aufschlußreich.

Linie

LeerEs handelt sich um die Selbstdarstellung von Carl Welkisch, die Schilderung seines Weges als hellsehender und hellfühlender, medial veranlagter Mensch, seiner Visionen und Auditionen, erschienen unter dem Titel „Im Geistfeuer Gottes”. (Der Leuchter, Otto Reichl-Verlag, Remagen 1957. Eine ausführliche Inhaltsangabe und Beurteilung in der Heftfolge „Materialdienst”, Herausgeber D. Dr. Hütten.) Der Leser muß darauf gefaßt sein, unerhörte Aussagen zu verarbeiten. Er wird sich nicht ohne Schwierigkeiten in den Begriffen zurechtfinden, deren sich der Verfasser bedient, um seine ungewöhnlichen Erfahrungen verständlich zu machen. Das Buch und die persönliche Begegnung vermitteln den Eindruck eines von Gottes- und Menschenliebe erfüllten, gebildeten Mannes. Es empfiehlt sich, zunächst die Kapitel aufzunehmen, in denen der Verfasser von seiner Kindheit, seinem Werdegang erzählt, von der vielfältigen und andauernden Verbindung mit Abgeschiedenen, die ihn zwingen, die Wiederverkörperungslehre abzulehnen, seiner bemerkenswerten Stellungnahme zur Yogiweisheit und seiner Begegnung mit dem großen indischen Christen Sadhu Sundar Singh. Wer die okkulte Literatur der letzten Jahrzehnte kennt, gewinnt den Eindruck, daß hier eine überlegene Erfahrung zu Worte kommt. Die Hemmungen des Lesers werden erst dort beginnen, wo der Verfasser auf seine Berufung zu sprechen kommt. Der Verfasser ist der Überzeugung, daß es ihm auferlegt sei, das, was der Christ „die Verklärung des Leibes” nennen würde, die Einbeziehung auch der materiellen Körperlichkeit in eine geistliche Erneuerung und Wandlung, bei Leibes Leben an sich zu erfahren, also Protagonist der Entwicklung zu sein, auf die Rosenberg hinweist. Dabei besteht zwischen Rosenberg und Jung einerseits und Welkisch andererseits keinerlei äußerer Zusammenhang. Welkisch ist alles andere als Psychologe oder Philosoph. Er macht Erfahrungen und berichtet von ihnen. Seine beherrschende Vorstellung ist, daß die Menschheit, die sich in einer gefährlichen Weise an die Materie verloren hat, durch ihn erfahren soll, daß Gottes Geist das Ganze des Menschenwesens nach Geist, Seele und Leib ergreift und sich zubildet. Die christliche Hoffnung auf eine Auferstehung des Leibes will schon jetzt und hier realisiert werden.

LeerDiese Realisierung ist freilich nur durch die Überwindung ungeheurer Widerstände der gefallenen Kreatur möglich. Sie führt darum in die grauenvollsten Leidenszustände. Ihre Darstellung ist von einer nicht zu überbietenden, mir schwer erträglichen Breite, zumal die Theorie des Verfassers, die dem Leser Ursache und Art dieses Leidens verständlich machen soll, mir im wesentlichen unzugänglich geblieben ist.

LeerIch kann den Eindruck nicht verschweigen, daß er, um seine Leidenszustände zu kompensieren, an deren subjektiv wahrhaftiger Beschreibung kein Zweifel erlaubt ist, immer stärkere Begegnungen mit der göttlichen Welt und eine ständige Steigerung seines religiösen Sendungsbewußtseins produziert. An dieser Stelle vor allem setzen denn auch die Zweifel an der religiösen Gültigkeit der dargestellten Erfahrungen am ehesten ein, auch in der erwähnten kritischen Darstellung D. Huttens, der zu dem (voreiligen?) Urteil eines totalen Gegensatzes der Lehre Welkischs zur Verkündigung der Schrift kommt. - Daß diese sehr merkwürdige Lebensbeschreibung eine Fülle wertvoller Einblicke in den übersinnlichen seelischen Bereich darbietet, wird dadurch jedoch nicht in Frage gestellt. Allein die Tatsache, daß heute solche Phänomene auftreten, ist bedeutsam genug. Die Versicherung des Verfassers, daß die Begegnung mit ihm insbesondere durch das Aufbrechen einer materialistischen Weltanschauung vielen Menschen zur Heimkehr in den christlichen Glauben verhelfen habe, ist darum durchaus nicht unglaubwürdig.

Quatember 1960, S. 129-131

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-01-09
Haftungsausschluss
TOP