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Orthodoxie und Ökumene
von Hildegard Schaeder

LeerUnsere reformatorisch-ökumenische Existenz ist aus dem Monolog, den wir nicht gewollt haben, den man uns aber nicht ohne Anlaß zum Vorwurf gemacht hat, in den Jahren 1959/1960 endgültig hinausgeworfen. Die Orthodoxe und die Römisch-Katholische Kirche haben auf den vorwiegend von Protestanten gebildeten Ökumenischen Rat mit der Erneuerung ihrer eigenen, älteren Einrichtungen geantwortet. Über das angekündigte Ökumenische Konzil der Römischen Kirche wurde schon im Osterheft dieser Zeitschrift berichtet. Hier soll von der Panorthodoxen Kirchenkonferenz die Rede sein, die voraussichtlich im Dezember 1960, in Anwesenheit von Vertretern der konfessionsverwandten Armenischen, Koptischen und Altkatholischen-Kirchen, auf Rhodos stattfinden soll. Sie ist als eine Fortsetzung der 1930 auf dem Athos abgehaltenen Prosynode und der 1948 und 1958 in Moskau zusammengetretenen Kirchenkonferenzen anzusehen und soll, gleich jenen, der Vorbereitung einer Panorthodoxen Synode dienen. Erst diese würde die Parallele zu dem römischen Ökumenischen Konzil bilden. Es ist bezeichnend, daß man auf orthodoxer Seite in gesundem Realismus den Begriff „ökumenisch” in diesem Zusammenhang noch nicht bemüht hat. Vielmehr hat der bekannte griechische Kirchenrechtler und Ökumeniker, Professor Alivisatos, Athen, schon 1936 erklärt, auf einer ökumenischen Synode oder einem ökumenischen Konzil müsse die gesamte Christenheit der drei Konfessionen vertreten sein. Ähnlich hat sich neuerdings Erzbischof Jakobos von Amerika für den Patriarchen von Konstantinopel ausgesprochen.

LeerDer Aktivierung der vorderorientalischen Patriarchen für diesen Plan diente Ende 1959 eine Reise des Patriarchen Athenagoras von Konstantinopel nach Alexandrien, Antiochien und Jerusalem.

LeerAußer innerorthodoxen Fragen wie der Herbeiführung eines gemeinsamen Festkalenders werden in Rhodos zweifellos die gesamtchristlichen Beziehungen und Kooperationsmöglichkeiten zur Diskussion stehen. Dabei wird es sich um drei Kreise oder Stufen der Gemeinschaft handeln: 1. die Beziehungen zu den bereits hinzugeladenen Armenischen, Koptischen und Altkatholischen Kirchen, bei denen keine wesentlichen dogmatischen Unterschiede festgestellt wurden. 2. die Beziehungen zur Römisch-Katholischen Kirche, welche im allgemeinen als von der Orthodoxen Kirche abgefallen, schismatisch und, insbesondere wegen des Dogmas von der Unfehlbarkeit des Papstes, auch als häretisch gilt (jedoch mit der Einschränkung, daß Taufe und Priesterweihe eines Katholiken im Falle seines Anschlusses an die Ostkirche anerkannt werden können). 3. die Beziehungen zu den protestantischen Denominationen. Ihnen wird ein verkürztes Sakramentsverständnis im Zusammenhang mit einem falschen Traditionsbegriff unterstellt. Infolgedessen wird die Pfarrerordination - mit Einschluß der anglikanischen Weihe - nicht anerkannt, während der evangelischen Taufe den Worten des Credo entsprechend („Ich bekenne auch eine Taufe . . .” ) die gleiche, mittelbare Gültigkeit zuerkannt wird wie der römischen: beide empfangen ihre sakramentale Kraft aus der begrenzten Gemeinschaft, welche ihnen die im Mysterium des Herrenmahls konstituierte „Eine christliche (orthodoxe) Kirche” bewahrt.

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LeerVon solchen Prinzipien einer begrenzten und abgestuften Gemeinschaft, die dem Verhalten der Orthodoxen Kirche zu den Sündern im Bußsakrament entsprechen, wird auch die erwartete Stellung der Panorthodoxen Kirchenkonferenz von Rhodos zum Ökumenischen Rat der Kirchen mitbestimmt sein.

LeerBesonders von römisch-katholischer Seite wird oft die Frage aufgeworfen, ob dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel in seiner gesamt-orthodoxen Funktion ein eigenwilliger übermächtiger Rivale in dem Patriarchen von Moskau erstanden sei, anders ausgedrückt, ob die russische Idee von Moskau als dem Dritten Rom sich durchsetzen könne. Zum historischen Verständnis dieser Idee sei kurz bemerkt: Nachdem Kaiser Konstantin seiner Stadtgründung Byzanz-Konstantinopel den Beinamen „Neues Rom” gegeben hatte, ist diese Bezeichnung auch in den Amtstitel seines Patriarchen „Erzbischof des Neuen Rom” eingegangen. Als Konstantinopel 1453 in die Hände der Türken fiel, erfolgte eine weitere ideologische „translatio imperii” vom Bosporus an die Moskwa. Um 1500 erklärte der Mönch Philotheos von Pskow (Pleskau) Moskau zum „Dritten Rom” und forderte den Zaren als den einzigen rechtgläubigen Kaiser der ganzen Christenheit auf, seine universale und endzeitliche Verantwortung vor Gott und der Menschheit wahrzunehmen. Philotheos fügte hinzu: „ . . . und ein Viertes Rom wird es nicht geben.” Der gesamtchristliche, wenn man so will, messianische Anspruch des „Dritten Rom” ist in russische staatliche und kirchliche Dokumente des 16. und 17. Jahrhunderts eingegangen. Als 1589 der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel bei der Inthronisierung des ersten Patriarchen von Moskau und ganz Rußland assistierte, hat dieser Erzbischof des „Neuen Rom” nach längerem Aufenthalt in der Zarenstadt, der den Charakter eines Hausarrestes angenommen hatte, dem „Dritten Rom” seine schriftliche Anerkennung gegeben.

LeerEin orthodoxes „Rom” war freilich von vornherein etwas anderes als ein päpstliches. Es hatte Anteil an der Ellipsengestalt der östlichen staatskirchlichen Struktur mit ihren zwei Brennpunkten des Kaisertums und des Patriarchats. Deren ideales Verhältnis, das sich im Zeremoniell für die Einsetzung des Kaisers und des Patriarchen wiederspiegelt, ist am besten als wechselseitige Unterordnung (Eph. 5, 21) zu charakterisieren. Dann bilden beide eine „Symphonia” nach dem Willen Gottes (Justinian). Im 17. Jahrhundert hat der Moskauer Patriarch Nikon versucht, dieses Idealschema außer Kraft zu setzen und den der Orthodoxie fremden päpstlich-römischen Gedanken: die Überordnung des geistlichen Schwertes über das weltliche zu praktizieren. In dem von ihm erbauten Kloster „Neues Jerusalem” vor den Toren von Moskau ließ er 5 Patriarchenthrone aufstellen, deren mittleren er für sich selbst bestimmte. Die orientalischen Patriarchen erkannten die Gefahr und standen dem Zaren bei, als er seinen ehemaligen Günstling und Freund beseitigte. Die Antwort des nächsten Zaren, Peters des Großen, war die Liquidierung des russischen Patriarchats; an seine Stelle trat 1721 der „Heiligste Regierende Synod”, dessen unumschränktes Haupt der Imperator selber war.

LeerNach der Wiedererrichtung des russischen Patriarchats 1917 und nach seiner Legalisierung durch die Sowjetregierung 1943 konnte die Frage gestellt werden, ob die Idee vom „Dritten Rom” als eine Leitidee noch lebendig sei - sei es im Sinne der alten kaiserlich-patriarchalischen Doppelpoligkeit, sei es im papalen Sinne nach dem Vorbilde Nikons. Diese Möglichkeit ist kürzlich von Fedor Stepun ohne genauere Prognose bejaht worden (Der Bolschewismus und die christliche Existenz, München 1959).

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LeerDazu ist zu bemerken: Es gibt, wenn ich mich nicht täusche, keine Aussagen des heutigen Moskauer Patriarchen selbst über das „Dritte Rom”. Die nicht sehr zahlreichen diesbezüglichen Äußerungen stammen ausschließlich aus den ersten Nachkriegsjahren und kommen zum guten Teil aus dem Munde von Nicht-Sowjetbürgern, orthodoxen Hierarchen in den USA, Paris, Bulgarien. Im Gegensatz hierzu hat aber der Moskauer Patriarch Alexius schon bei seiner Inthronisierung 1945 in nüchternem christlichem Realismus auf die Sündhaftigkeit, d. h. auf die Nicht-Unfehlbarkeit der Landeskirche - in diesem Zusammenhang der Russischen Orthodoxen Kirche - hingewiesen, die sie von der „Einen Heiligen Allgemeinen Apostolischen Kirche” des Glaubensbekenntnisses deutlich unterscheidet und von jeder Rom-Ideologie abgrenzt. Auch in Beziehung auf die orthodoxen Schwesterkirchen und auf die gesamte Christenheit hat Patriarch Alexius seine ökumenische Gesinnung erwiesen, indem er zum Beispiel seine Leningrader Kriegsgemeinde in die gesamtchristliche Anbetung des Auferstandenen hineinstellte. Was wir aus dem Kreise seiner nächsten Mitarbeiter wissen, weist in die gleiche Richtung. Sie alle kommen aus der Schule Wladimir Solowjews, des großen Interpreten von Chalkedon, und haben seine unüberhörbaren Warnungen vor dem Weltkaisertum und dem von dem Weltkaiser geleiteten Christlichen Weltkonzil nicht vergessen (Solowjew, Eine kurze Erzählung vom Antichrist). Als ein ausländischer Gast den Patriarchen Alexius über Solowjews Vision des Weltkonzils belehren wollte, antwortete dieser mit freundlicher Bestimmtheit: „Das fand in Jerusalem statt.” Das heißt, das Konzil unter dem Weltkaiser liegt nicht in der Zukunft und wird nicht in Moskau stattfinden. Die lebendige Russische Orthodoxe Kirche ist im „Feuerofen” zu einem existentiellen Einverständnis mit den frühchristlichen Asketen gelangt und hat sich mit ihnen von der Welt und also auch von Rom nicht äußerlich getrennt, wohl aber innerlich abgegrenzt. Was aber die Gefahr eines Nikon'schen Papalismus anbetrifft, so gibt es zahlreiche Zeugnisse dafür, wie Moskau und Istanbul in gemeinsamer Ablehnung eines kirchlichen Zentralismus um die Integration der Christenheit bemüht sind.

LeerDas Patriarchat von Konstantinopel hat schon 1920 in einem Sendschreiben an die Kirchen Christi in aller Welt die Bildung eines ständigen Bundes (Koinonia) der Kirchen vorgeschlagen. Es unterscheidet zwischen der Einigung (Henosis) der Christenheit als dem erhofften Zukunftsziel und der Gemeinschaft (Koinonia) in Form des Zusammenrückens, gegenseitigen Kennenlernens, des Studienaustauschs und der praktischen Zusammenarbeit in den großen Fragen der Menschheit als der Gegenwartsaufgabe. Ein Beispiel für Koinonia hat die orthodoxe Kirche geliefert, als der russisch-orthodoxe Bischof Johann von San Francisco die gesamtchristliche Evangelisationsaufgabe für seine Kirche bejahte, der die Orthodoxie allein nicht gerecht werden könne. Er forderte die orthodoxen Brüder auf, sich frei, wenn auch nicht kritiklos an der größeren christlichen Zusammenarbeit zu beteiligen, „auf daß nur Christus verkündigt werde auf allerlei Weise” (Phil. 1, 18). Die evangelischen Christen aber bat er, das lebendige orthodoxe Gewissen in diesem Zusammenschluß zu respektieren.

(Diese Ausführungen sind mit freundlicher Erlaubnis der Verfasserin einem umfassenderen Vortrag „Was ist ökumenische Koinonia in der Sicht der drei Konfessionen?” entnommen.)

Quatember 1960, S. 164-166

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-01-09
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