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Auszug aus dem protestantischen Gehäuse
von Karl Bernhard Ritter

LeerEs ist kein Zweifel daran erlaubt, daß sich im Verhältnis der beiden „Religionsparteien” innerhalb der abendländischen Kirche in unseren Tagen etwas begibt, was uns nur deshalb nicht mit maßloser Verwunderung zum Bewußtsein kommt, weil wir den Vorgängen zu nahe sind, wir immer nur die einzelnen Schritte auf diesem Wege zur Kenntnis nehmen und darum nicht wahrnehmen, in welchem in Wirklichkeit geradezu atemberaubendem Tempo die Wandlung vor sich geht. Wer etwa das Memorandum des römischen Priesters Dr. Carl Klinkhammer: Gespaltene Christenheit - darf das sein? mit Aufmerksamkeit liest und dabei bedenkt, daß es in entsprechenden Übersetzungen, auch in Latein, den rund 2000 Teilnehmern des bevorstehenden „ökumenischen Konzils” zugestellt wird, wer von dem Echo weiß, das der diesem Memorandum zugrunde liegenden Schrift von Heinz Schütte „Um die Wiedervereinigung im Glauben” im deutschen Sprachgebiet und bei namhaften ökumenischen Theologen beider Parteien zuteil geworden ist, der wird merken, daß da etwas ganz neu und anders geworden ist und seine Folgen haben wird, einerlei ob die Verhandlungen des bevorstehenden Konzils der Zukunft der Christenheit die Wege bahnen oder zunächst enttäuschen werden. Das skeptische Lächeln der Auguren auf beiden Seiten ist nicht mehr so sicher und selbstgewiß wie es noch vor einem Jahrzehnt war. Von besonderer Bedeutung scheint es mir zu sein, daß auf beiden Seiten ein neues Urteil darüber entsteht, was eigentlich vor 400 Jahren in der Christenheit des Abendlandes geschehen ist. Jene Bewegung, die man gemeinhin die „Gegenreformation” zu nennen pflegt, wird nicht mehr ausschließlich als Anti-Bewegung gegen die evangelische Reformation der Kirche verstanden. Man sieht nicht mehr auf den Gegenschlag, sondern auf das Positive: daß es sich um ein Werk der Erneuerung an der eigenen Kirche gehandelt hat. Das Tridentinische Konzil hat diese Erneuerungsbewegung bestätigt und zugleich, gleichsam nachträglich, die Berechtigung der reformatorischen Forderungen in bezug auf viele Mängel in Lehre und Leben anerkannt, indem es einen großen Teil dieser Forderungen de facto aufgegriffen hat. Auf der anderen Seite hat soeben Max Lackmann den Versuch unternommen, zwischen den evangelischen Anliegen für die Reform des katholisch-christlichen Lehrens und Lebens und einem Protestantismus zu unterscheiden, der die anti-katholische Haltung zum Prinzip erhoben und damit entscheidend das Scheitern der Reformation mit verursacht hat, die ja ursprünglich unzweifelhaft auf eine Erneuerung der einen katholischen Kirche und keineswegs auf einen eigenständigen protestantischen Kirchenkörper zielte (M. Lackmann: Credo Ecdesiam catholicam. Evangelisches Bekenntnis gegen den Protestantismus. Verlag Styria Graz. 616 Seiten, DM 29.-) Heute setzt die Auflösung der konfessionellen Gebietsaufteilung durch politische Grenzveränderungen und Umsiedlungen diesem Nebeneinander von außen her ein Ende. Lackmann jedoch hat sich vornehmlich der innerkirchlichen Entwicklung von der Evangeliumspartei zum protestantischen Kirchentum zugewandt und kommt zu dem Schluß, daß nur eine entschlossene Preisgabe des „protestantischen Prinzips” die echten und heilsamen Anstöße der Reformation für die Gesamtkirche fruchtbar machen kann. Mit dem Auszug aus „dem protestantischen Gehäuse” wird ein neues Kapitel der Kirchengeschichte aufgeschlagen werden, in dem die evangelischen Anliegen zu ihrer ursprünglich gewollten überkonfessionellen Auswirkung kommen könnten. Ob im einzelnen nicht mancherlei Fragezeichen zu Lackmanns Ausführungen zu machen sind, sei dahingestellt. Daß er mutig herausstellt, wie lähmend die „protestantische Haltung” nachgerade alle Schritte auf dem Wege der kirchlichen Erneuerung hindert und in ihrer Konsequenz zur kirchlichen Selbstauflösung führen muß, sei ihm gedankt. Der größere Teil des Buches dient einer vergleichenden Darstellung der evangelischen und katholischen Lehraussagen und ist dazu angetan, viele irrige Vorstellungen über die Position der jeweiligen Gegenseite als Vorurteile zu entlarven.

Quatember 1960, S. 172

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-01-09
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