Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1964
Autoren
Themen
Stichworte

Die Dortmunder Experimente
von Ulrich von Dassel

LeerZu den Berichten über den Dortmunder Kirchentag (Quatember 1962/63, S. 168 ff.) hat die Schriftleitung einige Fragen aufgeworfen und um Stellungnahme gebeten. In der Tat haben die dort gezeigten Verkündigungsformen, die ersichtlich dazu dienen sollten, dem Wort der Kirche zu stärkerer Publikumswirksamkeit zu verhelfen, so revolutionären Charakter, daß die evangelische Christenheit alle Veranlassung hat, sich über diese Dinge den Kopf zu zerbrechen.

LeerDie eine Frage hat Haebler inzwischen selbst behandelt (Quatember 1963/1964, S. 19): läßt sich das Bild vom guten Hirten ersetzen durch das vom guten Busfahrer? Er verneint sie mit vollem Recht. Ich habe darüber hinaus grundsätzliche Bedenken gegen den „Dortmunder Avantgardismus”, meine also, daß auf alle jene Fragen zu antworten ist: so geht es nicht!

LeerVorweg ist freilich dies zu sagen: unsere Kirche sollte erkennen, daß in jenen Versuchen (Songs, Schlager und Jazz, Modernisierung des Bibeltextes, Dialogpredigt) radikale Kritik an der Art zum Ausdruck kommt, wie in unseren Gottesdiensten verkündigt wird. Besonders die großstädtische Jugend, deren Stimme in Dortmund so kräftig zu hören war, ist offenbar der Überzeugung, daß das Wort der Kirche in der traditionellen Sprache von den Massen nicht aufgenommen wird. Diese Kritik sollte unsere Kirche, sollten unsere Pfarrer ernstlich beachten. Es fragt sich nur, ob gerade jene neuen Wege die rechten sind.

LeerLiegt nicht ein Mißverständnis im Grundsätzlichen vor? Man meint, daß im technischen Zeitalter die Kirche ihr Wort am vernehmbarsten, am wirksamsten oder überhaupt nur dann vernehmbar und wirksam spreche, wenn sie weltförmig werde, insbesondere sich an die Sprache unserer Zeit ganz anpasse, aber eben an die alltägliche, an die im profanen Raum gesprochene Sprache. Diese Meinung halte ich für falsch.

LeerDie Kirche hat Gottes Wort zu verkündigen, Gottes Gericht und Gottes Gnade. Gewiß verkündigt sie dieses Wort in die Zeit hinein, sie spricht zu den Menschen dieser Zeit, aber sie spricht aus der Ewigkeit mit dem Blick in die Ewigkeit. Muß dann aber nicht ihre Sprache eine andere sein als die alltägliche?

LeerAuch bei Verwendung „räumlicher” Begriffe erscheint die Andersartigkeit der Kirche und ihrer Sprache einleuchtend. Wie Stählin (Quatember 1963/1964, S. 26 ff), darlegt, stehen die Begriffe sakral und profan nicht gleichartig nebeneinander, sondern in einem eigentümlichen Spannungsverhältnis zueinander. Die Aussonderung eines sakralen Raumes hat nämlich immer und notwendigerweise einen „repräsentativen” Charakter (S. 27). „Das Ganze der Lebens- und Weltwirklichkeit ist mitgemeint und auf jene Welt des Heiligen bezogen.” Auf diese Einbeziehung wartet das pro-fanum und ist daraufhin angelegt. Nicht umgekehrt! Es wäre also sinnwidrig, wenn wir darangehen wollten, gewissermaßen das Sakrale in das Profane einzubeziehen. Das Sakrale wäre nicht mehr ausgesondert, es wäre nicht mehr kraft repräsentatio das Übergreifende, die Kirche würde aufhören, Kirche zu sein. Könnte aber nicht die Einführung kraßweltlicher Ausdrucksformen in die Verkündigung der Kirche den Beginn ihrer totalen Säkularisierung bedeuten?

LeerDie kühnsten Experimente sahen und hörten die Kirchentagsbesucher bei der musikalischen Gestaltung der Liturgie. Und gerade hier ging die Jugend begeistert mit. Doch habe ich den Verdacht, daß dafür einfach ihre Freude an den ihr aus der Alltagswelt vertrauten Klängen und Rhythmen bestimmend war. Jedenfalls darf man die Frage aufwerfen, ob nicht bei vielen, die so kräftig Beifall spendeten, das Wissen um das, was Liturgie ist, überhaupt fehlte. So wurde auch in Zuschriften an das offizielle Blatt der Kirche von Westfalen gefragt. Zur Liturgie gehört nicht nur die Auflockerung, sondern auch die Zucht, und in der Tatsache, daß eine Musik unmittelbar „ins Blut geht”, wird man gewiß noch kein Indiz dafür sehen können, daß sie liturgiefähig ist.

LeerDas Profane ist auf das Sakrale bezogen. So bleibt die Kirche, die ihren Auftrag ernst nimmt, weit- und zeitnah, auch und gerade im Maschinenzeitalter. Ist es nicht so, daß die Kraft zum Dienst an der Welt dem Christen aus dem Heiligtum zuströmt, daß er also immer aufs neue der Einkehr in das Heiligtum bedarf? So ist es, und so wird es künftig erst recht sein. Denn der Christ der nachmodernen Gesellschaft wird sich in eine Diaspora-Situation gestellt sehen, und diese Situation wird er nur bewältigen können bei starker Konzentration des geistlichen Lebens, mag das nun in der Gemeinde geschehen oder, wie viele meinen, in der Zelle, in der kleinen Gruppe, in der Bruderschaft, im Orden.

Quatember 1964, S. 80-81

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-29
Haftungsausschluss
TOP