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Was können wir tun für die Einheit der Kirche?
Das 2. Kirchberger Gespräch
von Reinhard Mumm

LeerDas II. Vatikanische Konzil erfordert nicht nur, daß wir von seinen Verhandlungen Kenntnis nehmen, sondern darüber hinaus alle Möglichkeiten, die uns angeboten werden, nutzen, um den Geist der Einheit im Sinn des Evangeliums zu stärken. Spätere Generationen würden uns sonst mit Recht vorwerfen, daß wir, statt zu beten und zu arbeiten, verzagt geschwiegen und eine große Stunde der Geschichte versäumt haben. Darum hat die Evangelische Michaelsbruderschaft im Frühjahr 1963 im Kloster Kirchberg ein Dokument zum Thema „Die Kirche” erarbeitet, das von zahlreichen katholischen Bischöfen und Theologen aufgenommen wurde, die an den Beschlüssen des Konzils beteiligt sind. (Vgl. Quatember 1962/63 S. 172f.)

LeerIm April 1964 kam es zum 2. Kirchberger Gespräch zwischen einem Arbeitskreis der Michaelsbruderschaft und römisch-katholischen Theologen. Das Ergebnis dieser Tage verantworten allein die dort versammelten evangelischen Teilnehmer. Gleichwohl haben die beteiligten katholischen Theologen erheblich dazu beigetragen.

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LeerI. Das gegenwärtige römische Konzil geht im Herbst 1964 in seine 3. Session. Bisher sind nur zwei Themenkreise abgeschlossen: Das Schema von der Liturgie und das von den Mitteln, die auf die Öffentlichkeit wirken. Die eigentlichen Hauptfragen stehen noch aus. Das 2. Kirchberger Gespräch griff ein Kapitel des Schemas von der Offenbarung auf, das sich mit der Tradition (griech. Paradosis) befaßt. Früher wurde gelehrt, die Protestanten stützen sich allein auf die Heilige Schrift, die Katholiken aber berufen sich auf Schrift und Tradition. Dieser Lehrgegensatz ist heute als Karikatur erkannt und überholt. Beide Konfessionen berufen sich auf die Schrift, beide erkennen die Bedeutung der Tradition. Was lehrt uns hierüber das Neue Testament selbst?

LeerDie Kirchberger Thesen von 1964 antworten:

Leer„Der historische und sachliche Ursprung des einen Evangeliums von Christus liegt in der Martyria, Leiturgia und Diakonia der Apostel, die grundlegend und maßgeblich bleiben für die Paradosis des Evangeliums in der Kirche bis zur Parusie des Herrn.”

LeerNicht erst nach dem Neuen Testament beginnt die Tradition der Kirche, sie beginnt schon mit Christus selbst und setzt sich fort in dem Zeugnis, dem Gottesdienst und den Werken der Liebe von den Aposteln an durch die Geschichte hindurch bis zur Zukunft des Herrn. „Die Kirche hat in ökumenischem Konsensus die vollgültige und normative apostolische Überlieferung auf die Sammlung der neutestamentlichen Schriften beschränkt und sich selbst damit an diesen Kanon gebunden.”

LeerSchon sehr früh gab es in der Kirche eine bunte Fülle von Überlieferungen, solche, die wirklich Christus verkündigten, daneben aber auch zahlreiche auswuchernde Mythen, Legenden und schließlich Irrlehren. Hier hat die Kirche selbst eine Grenze gezogen, indem sie im Kanon, das heißt der Richtschnur des Neuen Testamentes die Schriften sammelte, die als wahrhaft apostolisch galten. Sie allein gaben fortan die Norm. Bis heute hat sich die ganze Christenheit zum Kanon des Neuen Testamentes als der Ur-Tradition bekannt.

LeerZur Schrift gehören auch die Menschen, die Boten des Evangeliums, von den Aposteln an bis heute. Sie sind die lebendigen Träger der Tradition. Wir dürfen weder - eine protestantische Gefahr - die Schrift allein überbetonen, noch - die katholische Gefahr - alles Heil in der Traditionskette der Bischöfe sehen.

Leer„Der Geist leitet die Kirche in alle Wahrheit. Die apostolische Tradition der Kirche wird bewahrt und lebendig erhalten durch den Dienst der bevollmächtigten Hirten und Lehrer in der Bindung an die Schrift und durch den Glauben der Gemeinde. Dieser Dienst wird nur dann recht ausgerichtet, wenn das rettende Evangelium zu jeder Zeit gegenüber den Irrtümern neu bekannt und den Menschen seelsorgerlich zugesprochen wird.”

Leer„Die notwendige, jeweils neue Aktualisierung darf der apostolischen Botschaft weder neue Lehren hinzufügen noch die Heilswahrheit verkürzen. Daher bedürfen alle Lebensäußerungen der Kirche, insbesondere auf dem Gebiet der Volksfrömmigkeit, einer immer neuen Überprüfung am apostolischen Zeugnis.”

LeerTradition heißt nicht einfach wachsen lassen, was wächst. Die Ur-Tradition des Neuen Testamentes gibt die Norm. Darum sind allezeit der Kampf gegen den Irrtum und Wachsamkeit auch gegen fromme Verirrungen nötig, um die Tradition rein zu bewahren.

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LeerII. Kann die römisch-katholische Kirche die Kirchen der Reformation jemals als Kirchen anerkennen? Gewisse Fortschritte in dieser Richtung hat es bei den Verhandlungen des Konzils gegeben. Wir hören dazu die Gegenfrage von katholischer Seite: In welchem Sinn versteht sich die evangelische Kirche selbst als Kirche? Wir haben in Kirchberg versucht, darauf zu antworten: Durch die Taufe sind wir nicht nur als Einzelne persönlich Christen geworden, sondern wissen uns in die eine heilige Kirche eingefügt. In unseren Kirchen erfahren wir immer neu die Gegenwart Christi in Wort und Sakrament, in der Vergebung und Gemeinschaft. In den Kirchen der Reformation ist das von den Aposteln überkommene Amt bis heute weitergegeben worden. Keine verfaßte Kirche kann für sich in Anspruch nehmen, allein die Kirche zu sein; denn alle sind mitschuldig an der Spaltung der Christenheit. Alle müssen helfen, sie zu überwinden.

LeerIII. Vor drei Jahren hat die Michaelsbruderschaft alle evangelischen Kirchenleitungen in Deutschland und einige jenseits der deutschen Grenzen schriftlich und persönlich angeredet mit der Bitte, neu zu erklären, was uns mit anderen Kirchen ökumenisch verbindet und worin wir nach wie vor getrennt bleiben müssen (vgl. Quatember 1960/61, S. 171). Es hat daraufhin einige Gespräche gegeben, aber keine verbindliche, weiterführende Antwort. Was können wir tun, damit die Verantwortlichen in der Christenheit ihr Herz auftun, um alles zu fördern, was einer „ökumenischen Bekehrung” dient? Solche Bekehrung hat der Generalsekretär des Genfer Ökumenischen Rates W. V. Visser t'Hooft wiederholt nachdrücklich gefordert, und der Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche Deutschlands in Rom, Prof. Edmund Schlink, hat darauf hingewiesen, daß nur eine geistliche Erschütterung die verhärteten Fronten aufzubrechen vermag. Kein Mensch kann von sich aus solche Erschütterung herbeiführen, aber wir dürfen deswegen nicht passiv verharren. In Kirchberg wurde ein Aufruf vorbereitet, der sich sowohl an die evangelischen wie auch an die katholischen Kirchenleitungen wendet auf allen Ebenen, von der Gemeinde an bis zu denen, die für die gesamte Kirche verantwortlich sind. Die Michaelsbruderschaft fühlt sich schon deswegen berufen, ihre Stimme zu erheben, weil ihre Glieder nicht an eine Nation oder eine Konfession gebunden sind; sie leben in beiden Teilen Deutschlands, in Österreich, der Schweiz, Frankreich, den Niederlanden und verstreut darüber noch hinaus.

LeerWas fordert die Stunde von uns? Seite an Seite mit den ökumenisch aufgeschlossenen Christen sollen wir dahin wirken, daß zuerst unsere eigene Kirche, der wir angehören, wachse auf die Einheit hin, die Christus will. Jeder Bischof, jeder Pastor, jeder, der ein kirchliches Amt innehat, ist nicht nur für seinen Amtsbereich und den Bestand der eigenen Kirche verantwortlich, sondern heute mehr denn je für die ganze Christenheit. Kirchen, die widereinander streiten, verleugnen ihren Herrn; sie tragen dazu bei, daß die verwirrte und ratlose Menschheit dem Evangelium nicht glaubt. Weil Gott aber will, daß alle Menschen gerettet werden, indem sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, können wir nicht ablassen zu mahnen: Sagt ab der Angst und dem Mißtrauen!

LeerBegegnet euch an jedem Ort unter dem Wort der Schrift, im Gebet und im Gottesdienst! Erkennt die eine Taufe allerseits an! Laßt es nicht bewenden bei freundlichen Erklärungen, sondern schreitet zu Taten, nüchtern gegenüber den Gegebenheiten der geschichtlichen Führung, aber in geistlicher Vollmacht!

Quatember 1964, S. 125-127

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-07
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