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Vierzig Jahre Evangelische Michaelsbruderschaft
von Willi Zimmermann

LeerBescheiden feierte die Michaelsbruderschaft ihr vierzigjähriges Bestehen. Fünf der siebzehn Konvente versammelten sich vom 3. bis 6. Oktober am Ort der Gründung, in Marburg. Wilhelm Stählin, einer der Stifter, hielt die Predigt in der Gedächtnismesse des ersten Tages: "Gedenken" ist biblisch und christlich illegitim, wenn es nicht zu der Erkenntnis führt, daß zuallererst Gott unser gedenkt, und wenn das Gedenken an die Brüder nicht Gedenken an Gott wird.

LeerDie Brüder feierten diese Messe in der Universitätskirche, in deren Kreuzkapelle zu Michaelis 1931 die Bruderschaft gegründet worden war. Sie war aus dem Kreis der Berneuchener Konferenzen hervorgegangen. Die Not der aus dem Staatskirchentum entlassenen Kirche hatte dort in den zwanziger Jahren Theologen und Laien zusammengeführt, die erkannten, daß es über den Auftrag der Kirche neu nachzudenken galt. 1926 erschien das "Berneuchener Buch". Es versuchte eine Bestandsaufnahme der damaligen Krise in Kirche und Welt, es versuchte eine Neukonzeption über die Grenzen der kirchlichen Herkunft, theologischen Haltung, sozialen und politischen Richtung der siebzig Unterzeichner hinweg. Neben Theologen standen Mediziner, Architekten und Politiker.

LeerDie zweiundzwanzig Männer, die 1931 die Michaelsbruderschaft stifteten, hatten erkannt, daß es nicht genügt, über Erneuerung der Kirche zu diskutieren und neue Konzeptionen zu entwickeln, sondern daß Erneuerung zunächst und vor allem praktiziert werden muß; nicht im unverbindlichen Nebeneinander von Diskussionsteilnehmern, sondern im verpflichtenden Miteinander christlicher Bruderschaft.

LeerEine stolze Liste von Namen könnte nun aufgemacht werden. Viele Männer der Bruderschaft ließen sich nennen, die in der Kirche, in der Universität und im öffentlichen Leben zu bedeutsamen Positionen gelangten. Es könnte nachgewiesen werden, welchen Einfluß die Bruderschaft hatte in der liturgischen Entwicklung, der Praxis geistlichen Lebens, in der Weckung und Pflege des ökumenischen. Gedankens.

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LeerAber die Festtage in Marburg waren, neben aller Festlichkeit der Gottesdienste, Tage harter Selbstkritik. Am härtesten war die Bilanz, die der Stifter Walter Stökl am Tage der Rechenschaft zog: Hat die Bruderschaft so Gestalt gewonnen, daß der Einzelne wirklich aus seiner Vereinzelung herausgeführt wurde und sich Zentren bruderschaftlichen Lebens im Alltag bildeten? Ist die eucharistische Mahlfeier zur erneuernden Kraftquelle geworden, auch für die Kirche? Sind Meditation, Helferschaft, Seelenführung über erste Ansätze hinausgelangt? Ist die Bruderschaft "beweglicher Vortrupp, heilsamer Unruhestifter, treibende Kraft" auf die Una Sancta hin? Das waren Fragen, die verneint wurden, die zur Bescheidenheit mahnten; Fragen, die aber nicht Aufforderung zur Resignation sein sollten. Vor der Kritik stand der Dank und die Gewißheit, daß der Weg richtig sei. "Was wäre aus uns geworden, wenn wir die Gemeinschaft der Brüder nicht gehabt hätten?" Dieses dankbare Bekenntnis eines Stifters am Abend der Begegnung war wichtiger und mehr als eine Erfolgsmeldung. Es zeigte die Lebensnotwendigkeit von Bruderschaft.

LeerAuch aus dem zentralen Referat von Professor Ratschow über "Religion in der Gegenwart" und der Diskussion darüber ergaben sich Perspektiven für die Zukunft: Viele quasi-religiöse und nachchristliche Bewegungen der Gegenwart reagieren auf Probleme unserer Zeit, die nicht in der Theorie, nicht von der institutionellen Kirche, sondern nur von experimentellen Gruppen gelöst werden können. Hier könnten die Erfahrungen bruderschaftlichen Lebens, die Entdeckung der Mahlfeier, die Übung der Meditation in der Bruderschaft zum Tragen kommen. Die bisherige Ausrichtung auf kirchliche Tradition muß sich dabei nicht als hinderlich erweisen! Wie sie die Bruderschaft befähigt hat, konfessionelle Grenzen auf eine ökumenische Zukunft hin zu sprengen, so könnte sie sie auch befähigen, auf Probleme unserer Zeit Antworten zu geben, die nicht bloße Zukunftsträume sind. (Der Vortrag erscheint demnächst in der Schriftenreihe "Kirche zwischen Planen und Hoffen".)

LeerNotwendige Kritik und Ausblick in die Zukunft wurden in der geistlichen Anrede des Ältesten der Bruderschaft und in der Ansprache des Ratsmitgliedes Dombois bei der Entlassungsfeier zusammengefaßt.

Quatember 1972, S. 40-41

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-09
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