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Leserbrief zu Laienrede im Pfarrkonvent
von Hermann Schwemer

LeerLieber Herr Beckmann! Ihr Plädoyer für den Pfarrer als Geistlichen („Laienrede im Pfarrkonvent”) läßt altgediente Pfarrer aus der Michaelsbruderschaft aufhorchen wie altgediente Kavalleriepferde beim Angriffssignal. Ja, darum ging es, geht es bei dem, was unter den Bezeichnungen „Michaelsbruderschaft” und „Berneuchen” läuft: Um das Geistliche, das heißt um den Heiligen Geist als wirksame Kraft und um die Kirche als Medium des Geistes in der Welt. So auch sahen die Ratschläge und Hilfen aus, die im Berneuchener Schrifttum den Pfarrern gegeben wurden. Viele versuchten sich danach zu richten, die jungen vor allem, damals vor 40 Jahren und noch lange Zeit danach. Da die Institution des Pfarramtes heute noch dieselbe ist wie damals, wüßte ich auch heute keinen besseren Rat, obwohl klar ist, daß die große Hoffnung des Anfangs - eine erneuerte Kirche mitten in der Welt, in transparenter Gestalt - sich nicht erfüllt hat. Vielleicht muß der Appell einfach erneuert werden. Darauf auch waren die Anreden beim Gedenken des vierzigjährigen Bestehens der Michaelsbruderschaft im vorigen Herbst gestimmt.

LeerAn einer Stelle jedoch unterscheidet sich Ihre Sicht der Dinge von einem Ansatz, der für uns damals sehr wesentlich war. Wir engten die Bezeichnung „Geistlicher” nicht auf die Träger des Pfarramtes ein. Anders gesagt, wir füllten den Gedanken des Allgemeinen Priestertums mit einem viel konkreteren und reicheren Inhalt, als es gewöhnlich geschah. Und wir fanden die Theorie Luthers nicht mehr anwendbar, daß eine unter dem Zeichen des Allgemeinen Priestertums stehende Gemeinschaft dessen aktive Ausübung auf hauptamtliche Amtsträger delegiert.

LeerKarl Bernhard Ritter hat in seinen Betrachtungen und Übungen, die unter dem Namen „Der Geistliche Pfad” zusammengefaßt waren - über die Wahl des Ausdrucks „Pfad” läßt sich streiten, inhaltlich ist das Ganze bis jetzt unübertroffen -, den Versuch gemacht, an Hand des altkirchlichen Ämteraufbaus mit seinen sieben Stufen das Bild des christlichen als des priesterlichen Menschen sichtbar zu machen, in allen Bezügen, in die ein Christ gestellt sein kann. Den Ausgangspunkt bildete das, was im Verlauf des Gottesdienstes zu tun ist, vom Öffnen und Schließen der Tür, der Sauberhaltung des Gotteshauses und anderen scheinbar „äußerlichen” Verrichtungen bis hin zur Predigt und zur Leitung der eucharistischen Feier. Hier ist alles „geistlicher” Dienst. Wer all dies ausübt, bereitet sich damit aber auch für den „Gottesdienst des Alltags” als „Haushalter über die Geheimnisse Gottes”. Und das wiederum qualifiziert zur Ausübung der Ämter im Gesamtleben der Gemeinde auch außerhalb des gottesdienstlichen Geschehens im engeren Sinne.

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LeerHätten wir diesen Ansatz weiter verfolgt, dann wäre schon längst neben der Amtskirche mit ihrem Einmann-System eine ganz andere Struktur sichtbar geworden. Es wären Christen aller Berufe und beider Geschlechter in die Ausübung aller kirchlichen Funktionen hineingewachsen, breit ausgegliedert nach der Vielfalt und Verschiedenheit der Gaben, bis hin zu Verkündigung, Liturgie und Seelsorge. Das war die Vision. Viele werden auch jetzt wieder sagen: Illusion. Nur daß leider die heutige Praxis, wie sie seit 40 Jahren und länger unverändert geblieben ist, ebenfalls auf einer Illusion beruht. Es ist die Annahme, daß es heute noch diese Kommunikation des geistlichen und weltlichen Bereichs gäbe, wie sie zu Luthers Zeiten noch gewesen sein mag. Bekannt ist sein Wort von der Magd, die, wenn sie die Stube kehrt, ebenso Gottesdienst tut, wie der Mönch, der im Chor psalmodiert.

LeerFür Luther war auch die Welt ein gottbezogener Bereich. Es genügte, von der Kanzel her, unter der sich das Gemeinwesen versammelte, immer wieder nur diese Sinngebung des weltlichen Tuns und die Rechtfertigung aus Gnaden durch das Kreuz Christi zu predigen, wie es auf der Predella des Altars in der Wittenberger Stadtkirche dargestellt ist.

LeerIn unserem Zeitalter der autonomen Weltlichkeit gibt es das nicht mehr, da gibt es nur noch die Konfrontation des Weltlichen und des Geistlichen mitten in der Welt, ein dynamischer Vorgang, der nicht delegiert werden kann. Wollten wir zu dieser Theorie zurückkehren, so würde der oft beklagte Zustand der „Weltlosigkeit” der Kirche nur erneut verschärft. Die Gefahr, die Sie selbst lebendig beschreiben, daß nämlich eine Erweckung neben der Kirche, ohne sie, gegen sie passieren könnte, würde steigen. Haben Sie den Schritt des jungen Pfarrers vom Jugendpfarramt ins städtische Jugendamt richtig interpretiert? Dieses wie auch das Beispiel der Bremer Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde haben doch damit zu tun, daß wir heute in eine Entscheidung gezwungen sind zwischen kirchlichem Ghetto hier und in sich verschlossener Weltlichkeit da. Eine Kirchengemeinde, die den Gottesdienst abschafft, schafft zweifellos sich selbst ab. Wenn sie weiterbesteht, ist es unehrlich. Viel ehrlicher scheint mir dann der Theologe zu sein, der offen in eine weltliche Berufsarbeit übergeht. Er „flieht” nicht, sondern bricht aus dem Ghetto aus. Und außerdem können hinter seinem Schritt noch zwei ganz verschiedene Motive stehen. Es kann sich darum handeln, daß die Dimension des Geistlichen verloren ging und daß das rein Humanitäre an die Stelle trat.

LeerAber es kann doch auch etwas ganz anderes sein. Es kann sich um eine sehr helle Erkenntnis der geistlichen Wirklichkeit in ihrem Verhältnis zur heutigen Weltwirklichkeit handeln, um das Bewußtsein einer geistlichen Sendung nicht auf Grund der Ordination im bisherigen Sinne, sondern vom Christsein her. Und wie wäre es, wenn die Kirche für solche inneren Berufungen auch eine ausdrückliche Sendung, eine neue Art Ordination bereithielte, zusammen mit einer geistlichen Hinführung und Grundlegung, die alle nötig haben, Theologen wie Nichttheologen in allen Berufen innerhalb oder außerhalb des kirchlichen Apparates? Sie stoßen sich daran, daß heute mancher Pfarrer geneigt ist, seinen Beruf als „Beruf wie jeden ändern” anzusehen.

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LeerWenn es ein Protest dagegen ist, daß der geistliche Charakter nur dem Theologen und dem Inhaber eines hauptamtlichen Pfarramts zuerkannt wird, dann steckt meines Erachtens in dieser Tendenz etwas Richtiges. Es könnte sich innerkirchlich eine zukunftsweisende Schau von der Zuordnung aller im Dienste der Kirche Stehenden zueinander ankündigen. Man könnte sich vorstellen, daß in der Gemeinde eine Gruppe tätiger Christen weit ausgefächert das tut, was der Pfarrer bisher allein zu tun hatte, ohne jede Ausnahme, ohne jedes Aussparen von „dem Pfarrer zukommenden” geistlichen Funktionen. Sie wären je nach dem Volumen der Arbeit als haupt- oder nebenberuflich Tätige zu sehen, übrigens unter Aufhebung des beamtenrechtlichen Sonderstatus des Pfarrers. Der Theologe in diesem Kreis wird genug zu tun haben mit der Aufgabe, vom Theologischen her alles zu koordinieren. Aber er ist nicht mehr der ausstrahlende geistliche Mittelpunkt, nicht mehr „Vater der Gemeinde”.

LeerDaß der Gottesdienst Mittelpunkt des Gemeindelebens sei, ist eine grundlegende, von Berneuchen vertretene Erkenntnis. Er wird es auch für eine solche Arbeitsgruppe sein müssen, in irgendeiner entsprechenden Form, in der ebenfalls zum Ausdruck kommen wird, daß nicht einer allein aktiv ist. Aber auch das Verhältnis dieser Arbeitsgruppe zur Gesamtgemeinde wird nicht dadurch bestimmt sein, daß hier die Aktiven sind, da die Passiven, hier die „Geistlichen”, da die „Laien”. In der heutigen Welt steht der Christ als Christ, von der Taufe her, im geistlichen Kampf und Dienst, hat an der „Ungeheuerlichkeit des Amtes” teil. Ich habe von diesen Erwägungen her großes Verständnis dafür, daß die Ordination im bisherigen Sinne von vielen jungen Theologen in Frage gestellt wird. Es läuft hier auch eine Verbindungslinie zu den Versuchen, die Taufe als die eigentliche Ordination und Priesterweihe wiederzugewinnen, wie es ja auch Luther gesehen hat, aber nun im urchristlichen Sinne als Sendung des Christen, Salz der Erde und ein Licht in dieser Welt zu sein. Wer so will, kann meine Anmerkungen als einen Ausdruck dafür sehen, daß ich, wie so viele, das Heil im Wechsel der Strukturen sähe. Tatsächlich steht hier das Modell der Gruppe gegen das alte paternalistische. Es handelt sich aber keineswegs um einen neuen Fall sattsam bekannter und erlebter „Gleichschaltung”, jetzt als Demokratisierung. Eher könnte man eigentlich der Kirche des nun zuende gehenden zweiten christlichen Jahrtausends den Vorwurf machen, daß sie getreues Spiegelbild der jeweiligen Sozialstruktur gewesen sei. Das Heil liegt nicht in einer neuen Struktur, es liegt ebensowenig im Festhalten an einer alten, aber auch nicht in dem Versuch, alte Formen mit neuem Leben zu erfüllen.

LeerHier berührt sich meine Überlegung mit dem, was Bruder Hans Eisenberg über „Kirche als. Bruderschaft” schreibt. Egalität und Liberalität auf der einen, Gemeinde als Gruppe, als Fraternität und Bruderschaft auf der ändern Seite - das sind die Signaturen der Zukunft. Sie sind geschichtlich synchronisiert und stehen miteinander in Korrelation, durchaus in dem Sinne, wie Paul Tillich diesen Begriff gebraucht hat. Beschreibt Hans Eisenberg die „Avantgarde” in der Modellform der Kommunität, so geht es bei Ihrer Rede und meinem Einwand um das dornige Problem der bestehenden Kirche in ihrem schwierigen Übergangszustand. Ich meine, der Weg zu einer neuen geistlichen Gestalt der Kirche, zu neuer Transparenz führt durch eine freilich äußerst riskante Zone von Weltlichkeit.

Quatember 1972, S. 121-124

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-10
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