Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1972
Autoren
Themen
Stichworte


8. Kirchberger Gespräch
von Jürgen Boeckh

LeerIm Unterschied zum liberalen Protestantismus um die Jahrhundertwende, der das Christentum als eine Religion unter Religionen sah, wurde zwischen den Weltkriegen der christliche Glaube streng von Religion unterschieden. Die Umbenennung des Schulfaches "Religion" in "Christenlehre" in manchen Gegenden Deutschlands war eine Folge dieser Unterscheidung. In den 60er Jahren erreichte die Forderung nach einem "religionslosen Christentum", als dessen Prophet Bonhoeffer beansprucht wird, ihren Höhepunkt. Die Weltreligionen außerhalb des Christentums wurden totgesagt. Inzwischen ist eine neue religiöse Welle registriert worden. Die Religionen des Ostens zeigen neues Leben, in der westlichen Welt spricht man von religiösen Subkulturen, und bis in kirchliche Bereiche hinein ist religiöses Erwachen festzustellen. - Ist christlicher Glaube isoliert von religiösen Ausdrucksformen denkbar? Die Evangelische Michaelsbruderschaft versucht, sich dieser Frage zu stellen. Das Hauptthema ihrer Gesamttagung zum Michaelstag 1972 in Darmstadt soll lauten: "Religion in einer 'religionslosen' Welt."

LeerAuch in dem 8. Kirchberger Gespräch vom 13.-16. April 1972 ging es bereits um diese Thematik. Der Missionswissenschaftler Professor Dr. Horst Bürkle, München, referierte über "Nichtchristliche Religionen als Herausforderung an Selbstverständnis und Gestalt der christlichen Kirche". Sein Vortrag findet sich im ersten Teil dieses Heftes.

LeerProfessor Bürkle sprach im neuhergerichteten Kapitelsaal des Berneuchener Hauses Kloster Kirchberg. Im Jahre 1963 hatte Karl Bernhard Ritter zum ersten Mal zu einem ökumenischen Gespräch in Kirchberg eingeladen. Damals wurden zu einigen Schemata des Konzils mit Hilfe unserer katholischen Freunde Stellungnahmen ausgearbeitet, die in Rom durchaus beachtet wurden. Diesmal waren zwölf Mitglieder unseres Ökumenischen und unseres Theologischen Arbeitskreises versammelt. Die Vorbereitung und Leitung lag in den Händen von Dr. Reinhard Mumm/München. Als Gäste aus der römisch-katholischen Kirche waren unter uns P. Beda Müller OSB/Neresheim, Abt Dr. Athanasius Polag OSB/Trier und Kurat Peter Neuner/München. Aus München kam auch der orthodoxe Archimandrit Johannes Peterfalvy. Außerdem waren unter uns der Anglikaner Rev. Christopher Reeves, Pastor Hermann Neef von der Evangelisch-Methodistischen Kirche und Pfarrer Steinlein von der evangelischen Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Erneuerung in Bayern. Die altkatholischen Brüder, mit denen wir in der Michaelsbruderschaft in besonderer Weise verbunden sind, konnten diesmal aus Termingründen nicht erscheinen.

Linie

LeerIm Anschluß an den Vortrag von Professor Bürkle entwickelte sich ein lebhaftes Gespräch. Kritisch wurde dem Referenten entgegengehalten: "Religiöse Phänomene haben eine Dynamik in sich, die auch gefährlich werden kann." Das "religionslose Christentum" kam ebenso zur Sprache wie die Magie. "Auch diese Schicht im Menschen muß getauft werden", erklärte der Referent; eine Revision unserer Sexualethik müsse bedenken, daß Sexualität "leibhaft-magischen Umgang miteinander" bedeutet. Drei Punkte, in denen christliche Offenbarung sich von den Religionen unterscheidet, hielt Bürkle fest: die lineare Geschichtsauffassung, die personale Gottesbeziehung und die Rechtfertigung. Das Gespräch blieb jedoch nicht in der Theorie stecken. Praktische Fragen des Gottesdienstes und der Sakramente, des Gebetes, der Meditation und der Freizeitgestaltung wurden erörtert. Pfarrer Siebrasse wandte sich gegen die protestantische "antisakramentale Gespensterfurcht", P. Beda forderte für den Gottesdienst "mehr Stille und mehr Spontaneität".

LeerNeben dem Hauptthema standen noch zwei weitere Punkte auf der Tagesordnung. Zunächst die Weiterführung der "Erklärung zum Heiligen Mahl", die aus Anlaß des Augsburger Pfingsttreffens 1971 von der Evangelischen Michaelsbruderschaft veröffentlicht wurde. Zwei Entwürfe lagen dem Gesprächskreis vor. Nach einer eingehenden Aussprache, in der sehr unterschiedliche Meinungen geäußert wurden, verlas Dr. Mumm eine neue Fassung, die von den Teilnehmern mit Dank entgegengenommen wurde. Darin heißt es am Schluß: "Es ist uns deutlich, daß die gegenseitige offene Kommunion den Willen einschließt, eine wirksame Gemeinschaft zwischen den Kommunikanten herzustellen und zu vertiefen. Wir glauben daran, daß der Herr uns zusammenführen will und daß sein Abendmahl sowohl 'ein vorangehendes Zeichen' wie auch eine stärkende Hilfe auf dem Weg zu 'der geglaubten und erhofften Gemeinschaft' ist. Es liegt im Wesen der Gemeinschaft im Mahl des Herrn, daß sie eine wachsende kirchliche Gemeinschaft bewirkt. Zu solcher wachsenden Gemeinschaft gehört. die Bereitschaft, Verantwortung füreinander wahrzunehmen. - Wir sind bestrebt, jeden Anschein einer nur äußerlichen Demonstration zu vermeiden. Es geht uns nicht darum, das Mahl des Herren zu einem Mittel fremder Zwecke zu mißbrauchen. Vielmehr sind wir bemüht, den Glauben und die Liebe in uns und anderen zu wecken und zu stärken, die der Herr seiner Gemeinde erhalten hat."

Linie

LeerDiese weiterführende Erklärung soll allen Empfängern unseres Wortes vom vorigen Jahre zugeschickt werden. Den Bemühungen um ein klärendes Wort zur Abendmahlsgemeinschaft über die Konfessionsgrenzen hinaus entsprach es, daß - wie bereits in früheren Jahren - auch während dieser Tagung unsere Gespräche in das Gebet mit der Hausgemeinde von Kloster Kirchberg eingebettet waren. Am Samstag früh wurde die Katholische Messe und am Sonntag die Evangelische Messe gehalten. In dieser predigte der Methodist, während der Anglikaner mit am Altar stand. Es gab keine parallelen Gottesdienste mehr wie in früherer Zeit, aber es wurde auch jedem die Freiheit gelassen, zu entscheiden, in welcher Weise er sich an dem Gottesdienst der anderen Kirche beteiligen wollte.

LeerSchließlich wurde in Kirchberg noch besprochen, ob und wie die Evangelische Michaelsbruderschaft und die von unseren Gästen vertretenen Gemeinschaften sich am Evangelischen Kirchentag in Düsseldorf beteiligen sollten. Neben einer Mitarbeit in Arbeitsgruppe IV (Gottesdienst) und Arbeitsgruppe V (Kirche und Ökumene) wurde angeregt, mit den katholischen Orden und anderen evangelischen Kommunitäten ein Foyer als Treffpunkt und Einkehrstätte einzurichten.

LeerWas menschliche Begegnung in Gebet und Gespräch bedeuten kann, haben wir in Kirchberg wieder erfahren. Außerhalb des offiziellen Programms hörten wir am Abend in der "Schenke" auch Berichte über die römisch-katholisch-anglikanische Arbeit in St. Matthias/Trier und über den ökumenischen Rat in Berlin. Aus beiden großen Kirchen mußte leider auch berichtet werden, daß hinter ökumenischen Lippenbekenntnissen sich bei manchen offiziellen Vertretern der Kirche eine Haltung verbirgt, welche die Zusammenfährung der Christen mehr hindert als fördert.

LeerDas 9. Kirchberger Gespräch wurde auf April 1974 festgelegt. Drei Themen sind vorgeschlagen worden: Sterben und Tod - Eschatologie, oder: Das leitende Amt in der Gemeinde - Autorität, Gehorsam und Freiheit, oder: ein Thema aus dem Bereich der katholischen Synode in Deutschland. Abt Athanasius dankte im Namen unserer Gäste für die gute Gemeinschaft.

Quatember 1972, S. 176-178
©Jürgen Boeckh

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-09
Haftungsausschluss
TOP