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von Hans P. Loeffler |
Lassen Sie mich einiges zur Frage der Änderung des § 218 sagen und zwar möglichst nüchtern, wie Sie es mir nahelegten, juristisch unterscheiden die tatsächlichen Lebensvorgänge und die rechtliche Wertung dieser Vorgänge. Der Tatbestand: In der Bundesrepublik werden wie in anderen „zivilisierten Ländern” in unerhört großer Zahl Abtreibungen vorgenommen, von denen zahlenmäßig nur ein minimaler Teil aufgedeckt wird. Diese Aborte in „diskreten Entbindungsheimen” und von zwielichtigen Personen - in den seltensten Fällen von Ärzten - vorgenommen, oft unter gleichzeitiger Gefährdung des Lebens der Kindesmutter. Das geltende Gesetz: Es stellt dieses Verhalten auf Seiten der Kindesmutter wie des Dritten unter Strafe. Dabei hat sich bis heute im Volk weithin die Meinung durchgesetzt, eine Übertretung gerade dieses Gesetzes werde mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht entdeckt und deshalb auch gar nicht bestraft werden. Hier ist die Autorität der staatlichen Norm - auch ohne Reformvorschläge - längst durch die Moral unserer „aufgeklärten” Zeit untergraben. Die Gesetzentwürfe (Fristen- und Indikationslösungen): Sie wollen für eine gewisse Zeit - bzw. für besondere Situationen - die Strafdrohung aufheben. Zeit bedeutet aber hier Zeit zum Nachdenken. Deshalb bringen sie - wie mir scheint - gewisse Besserungen. Die Kindesmutter wird künftig den Weg zu einem Arzt nicht aus Angst vor Strafe scheuen, womit in den allermeisten Fällen die gewinnsüchtige Ausnutzung der Angstsituation der Kindesmutter durch kriminelle Personen entfällt. Der Arzt hat der Frau in einem verantwortlichen Gespräch die sittlichen und medizinischen Folgen klar zu machen. Dies bedeutet, daß die Ärzte künftig mehr mit solchen Beratungen beansprucht werden, was natürlich auch Zeit und Geduld erfordert. Nur wenn alle konsultierten Ärzte diese Pflicht nicht ernst nähmen und alle betroffenen Frauen und Mädchen nach einer solchen Beratung verstockt blieben, was unwahrscheinlich sein dürfte, wären diese Gesetzentwürfe hinsichtlich des Schutzes des ungeborenen Lebens genau so schlecht wie das geltende Recht. Sie haben recht: „Kirche geschieht erst dort, wo die Christen von einer Erleichterung oder gar zeitweiligen Freigabe der Abtreibung keinen Gebrauch machen!” (Quatember 1/1974). Lassen Sie mich nun zu der noch viel schwierigeren Frage der Organtransplantation kommen. Wird in diesen Fällen der christliche Glaube dem Arzt die Entscheidung leichter machen? - Selten handelt es sich um so schöne Beispiele wie das des gesunden Bruders, der seinem tödlich kranken Bruder eine Niere opfert, damit beide leben können. Ich will deshalb auch hier nüchtern sprechen: Können wir die Entnahme eines Organes von einem Toten, jedenfalls wenn er sich zu Lebzeiten dazu bereit erklärt hat, verbieten, wenn wir es doch als notwendig hinnehmen, daß in den Anatomiesälen Leichen seziert und präpariert werden, um angehende Ärzte zu schulen? Die eigentliche Gewissensentscheidung hat m. E. der Arzt nicht hier, sondern an dem Bett des Kranken zu treffen, dem er das fremde Organ - sei es nun ein menschliches, tierisches oder künstliches - einsetzen will. Hier darf nicht nur der wissenschaftliche Ehrgeiz die Entscheidung bestimmen, der auch bei einer Lebensverlängerung von nur wenigen Stunden oder Tagen einen Fortschritt sehen wird. Nötig ist es vielmehr, neu zu begreifen, daß die Aufgabe des Arztes eine diakonische ist und daß Krankheit, selbst die unscheinbarste, Teil des Todes ist, die nicht nur die Tendenz hat, sich zu materialisieren, sondern sich gleichermaßen zu spiritualisieren (W. Kütemeyer). Die Krankenpflege muß also nicht allein die Verlängerung des Lebens des Kranken bezwecken, sondern auf Wandlung und Erneuerung zur Überwindung der Störung in der gesamten Leib-Seele-Geist-Funktion zielen (H. Sauer). Wie sieht es aber aus mit dem todkranken Menschen, der selbst weiß, daß er nicht wieder gesund werden kann und der durch immer neue ärztliche Kunstgriffe gehindert wird, einigermaßen in Frieden zu sterben? Johannes Gründel meint im „Neuen Glaubensbuch” (S. 515), es sei „nicht sittlich verwerflich, wenn der Arzt oder die Angehörigen dem Kranken seine Schmerzen und Qualen zu erleichtern versuchen und ihm dadurch die Vorbereitung auf einen guten Tod ermöglichen - selbst wenn durch derartige notwendige schmerzstillende Mittel der Eintritt des Todes beschleunigt würde.” Eine befriedigende Antwort ist dies nicht. Zu einer weiterführenden Antwort ist hier der Jurist weniger befähigt als der Arzt und der Seelsorger. Aber lassen Sie mich hier wiedergeben, was ich in letzter Zeit in einem Gespräch mit Angehörigen einer todkranken Frau hörte. Der Patientin, der beide Brüste amputiert sind, kann durch Operation nicht mehr geholfen werden. Beide Lungenflügel sind von Krebs befallen. Sie leidet ständig unter akuter Atemnot. Alle paar Stunden wird ihr der Schleim aus dem Hals abgepumpt. Ohne diese Maßnahme würde die Patientin ersticken. Die Frau hat den Wunsch geäußert, nach Hause zu ihrer Familie entlassen zu werden. Arzt und Angehörige, die seit Wochen stündlich den Tod erwarten, verweigern ihr genauso lange diese Bitte, denn sie wissen, die Entlassung aus dem Krankenhaus würde in wenigen Stunden den Tod eintreten lassen. Geschieht in solchen Fällen die Weigerung wirklich immer allein aus dem Wunsche, dem Kranken zu helfen? Oder fühlen sich hier nicht die Beteiligten oft einfach zu schwach, dem Sterbenden in der letzten Stunde beizustehen? Ist es nicht einfach bequemer, wenn man den Tod in der Anonymität des Krankenhauses eintreten läßt? Der moderne Mensch wird es wieder lernen müssen, in dem Tod nicht einen Unfall zu sehen, sondern - vor allem - die Stunde der Vollendung. Erst wenn Arzt und Angehörige aufhören, nur die materielle und nicht auch die spirituelle Seite von Krankheit und Tod zu begreifen, werden sie verantwortlich handeln können. Handeln? Ja, in dem dargelegten Sinne ist ein Handeln not-wendig. Quatember 1974, S. 121-124 |
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