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von Heinrich Beck |
Eine Thematisierung der Wirklichkeitsdimension der „Engel” mag kühn erscheinen - auch in Anbetracht dessen, daß sie von derzeitiger Theologie und Philosophie kaum beachtet oder gar als „ausgefallener Spezialbereich” angesehen wird. Allein die jüngsten Ereignisse der Geschichte lassen die Frage wieder ernstnehmen, ob hier nicht eine hintergründige Dimension der Wirklichkeit greifbar wird, die unser Denken zu unkonventionellen Frageansätzen oder gar Neuaufbrüchen zwingt. Andererseits zeigt sich - vielleicht gerade dadurch mitausgelöst - neuerdings verstärkt ein rational unkontrollierter Hang zu Formen des Mystizismus und Spiritismus. Das christliche Glaubensverständnis, das an die philosophische Tradition anknüpfte und sich mit ihr auseinandersetzte, erfaßte den einen höchsten Gott nicht nur als Weltenbildner (der aus einem ihm vorgegebenen Stoff Wesen und Ordnungen herausformte), sondern als Schöpfer aus dem Nichts: Er bringt gerade auch die stoffliche Grundlage aller Formen hervor und ist so absolut unabhängig und allmächtig. Die geistigen Sternenbeweger und kosmischen Formprinzipien aber wurden in der frühchristlichen Theologie und Philosophie als die Engel bezeichnet, und es wurde ihnen - in Abhängigkeit von Gott - Herrschaft über den Kosmos, die Himmel und die Elemente zugeordnet, auch die Schutzherrschaft über ganze Völker und die Kirche. Den sieben Planetengöttern z. B. entsprachen die sieben Erzengel. Im Rahmen der göttlichen Weltregierung (gubernatio Dei) wurden die Engel dann als Ausdruck einer besonderen göttlichen Vorsehung (providentia Dei specialissima) betrachtet, was besonders in der protestantischen Orthodoxie thematisiert wurde. Die Engelsmächte als Dimension des Numinosen können so als von Gott geschaffene reine Geistwesen verstanden werden, die er mit Dienstfunktionen an seinem Schöpfungs- und Erlösungswerk teilnehmen läßt. Der Begriff des „Engels” besagt ein geschaffenes körperloses Ich, das von der in Raum und Zeit ausgedehnten Welt wesentlich verschieden und ihr überlegen ist; solche wesenhafte Unstofflichkeit schließt jedoch nicht aus (sondern ist geradezu die Bedingung dafür), daß der Engel den Stoff in stoffüberlegener Weise bewegt und in ihm wirkt, ja gelegentlich - wenn es seinem Auftrag entspricht - einen Leib annimmt, um in der stofflichen Welt zu „erscheinen”. In der Perspektive dieser philosophie- und theologiegeschichtlichen Entwicklung und Tradition ist nun in systematisch-methodischer Form zunächst zu fragen, ob sich im Ausgang von der Erfahrung die Existenz und Einwirkung reiner Geistwesen philosophisch nahelegt. Auf dieser Grundlage kann dann nach der besonderen Bedeutung der Gestalt des „Erzengels Michael” gefragt werden, dem nach christlichen Glaubenszeugnissen eine entscheidende Wirkung in der Geschichte zukommt. Einen Hinweis auf die Existenz von Engeln vermitteln zunächst alte Quellen religiösen und außerreligiösen Glaubens und entsprechende Symbole in den unbewußten Tiefenschichten der Seele, die in Bräuchen der Völker, Mythen und Träumen greifbar werden und als Ausdruck von allgemeinen, aber weithin verschütteten Menschheitserfahrungen gedeutet werden können Die Existenz von Engeln wird aber auch durch rationale philosophische Argumente nahegelegt. Diese haben in jenen einen umfassenden menschlichen Hintergrund, jene aber gewinnen durch diese das Kriterium eines verbindlicheren Realitätsbezugs. In der Welt entstanden und entstehen neue Arten und Gattungen von leblosen, von lebendigen und von bewußten Seinsformen. Diese werden als solche durch die einzelnen Individuen, die an ihnen partizipieren, nicht grundlegend hervorgebracht, sondern nur weitervermittelt, z. B. vom den Vorfahren an die Nachkommen. Die alle Individuen einer Art prägende und umfassende Seinsform wird so von allen gemeinsam empfangen - anfänglich vom „ersten Glied”, von den folgenden vielleicht „voll-kommener”; sie ist dann durch den fortlaufenden Generationsprozeß immer mehr im Kommen. Sie kann dabei aber nicht aus Nichts kommen. Beim Entstehen einer neuen Art sind die auslösenden Faktoren oder Bedingungen (z. B. Erbsprung, Genmutation) und der eigentliche Wesensgrund oder die Seinsquelle (aus der die neue Sinnstruktur der Art erfließt) zu unterscheiden. Ähnlich ist bei einer Melodie wohl das „Material” der Töne, nicht aber der Sinngehalt ihrer Kombination auf physikalische Ursachen zurückzuführen. Wenn also die je neue Wesensstruktur zwar „in” der Welt, aber nicht „aus” ihr kommt (da sie vorher ja nicht in ihr da war), so sind von der Welt verschiedene Wesensgründe anzunehmen. Als von der Welt verschieden subsistieren sie nicht im „Stoff der Welt”, sondern in sich selbst; d. h. es handelt sich um unstoffliche reine Geistenergien oder „Engel”, die als personale Urformen (Archetypen) und Vor-bilder des Seienden im Weltprozeß wirksam sind. Wenn z. B. die Katze die Maus zu Tode ängstigt und quält, so liegt solches Verhalten in ihrer Wesensstruktur begründet. Diese aber ist nicht ein Produkt des Menschen, sondern wurzelt ontologisch tiefer und erdgeschichtlich früher. Sie ist als solche aber auch nicht direkt und unmittelbar von einer all-mögenden göttlichen Allmacht herleitbar. - Oder grundsätzlicher gesagt: Die Natur drückt in ihrer Wesensstruktur - vorgängig zu jedem bewußten sinnwidrigen Verhalten des Menschen - eine gestörte Sinnordnung aus. Widersinn aber setzt als seine Grundlage den Sinn voraus, dem er widerspricht (und sagt diesen in seinem Begriff notwendig mit aus); nur dieser Sinn, nicht aber seine Negation ist auf den reinen göttlichen Sinngrund zurückzuführen. Woher dann die Negation und Per-version des Sinns? Denn Widersinn bedeutet nicht lediglich ein Ausbleiben von Sinn (einen Un-sinn), sondern einen „Sinn wider den Sinn als solchen”. - Ebenso: Jede gestörte Ordnung muß grundlegend Ordnung sein, um gestört sein zu können, und gründet in dieser Hinsicht in Gott. Die Gestörtheit in Sinnwidrigkeit (die „Dysteleologie”) ist aber offenbar in der substantiellen Verfaßtheit der Natur mitangelegt. Dies weist nicht auf einen bloßen „Zufall” oder „Unfall” hin, sondern auf eine der Natur vorausgehende („trans-zendente”) anlegende Macht. Es weist hin auf eine Perversion des einwirkenden Urbildes, eine Verkehrung in der archetypischen Sinnwirklichkeit. Die „Energie”, d. h. die Wirk-lichkeit der reinen Geistwesen verhält sich wie ein entweder ordnendes oder aber beirrendes Licht, das sich der Welt mitteilt und im Spiel der Evolution gut oder böse mit-spielt sowie im individual- und menschheitsgeschichtlichen Formungsprozeß der Sprache, der Ideen und der Intentionen mit-in-formiert. Dieser permanente Einfluß ist für die Eigenwirklichkeit und Eigentätigkeit des Seienden in der Welt nicht determinativ, sondern dispositiv, d. h. die guten, gemäß den göttlichen Schöpfungsideen einfließenden Engel begünstigen sinnvolle Entwicklungen der Natur und verantwortliche Entscheidungen des Menschen und wirken so befreiend, die bösen jedoch wirken auf sinnwidrige Entwicklungen und Entscheidungen hin und respektieren so nicht die selbstverantwortliche Freiheit - was sich aus dem bereits angeführten Zusammenhang nahelegt, vielleicht auch aus gewissen parapsychologischen Phänomenen. Das reine Geistwesen als über der Weltmaterie in sich selbst subsistierende Urform ist dabei als einfaches Bei-sich-Sein oder reine Selbstgerichtetheit aufzufassen, und seine positive oder negative Ge-sinnung als einfache und völlige Ent-schiedenheit,. als sich selbst völlig durchdringender („per-sonierender”) und bestimmender Akt. Allgemein aber gilt: Je einfacher, geschlossener und entschlossener ein Seiendes in sich ist und andern gegenübersteht, mit desto mehr Durchdringungs- und Umfassungskraft kann es auch nach außen wirken. Also sind die Engel gerade durch ihre wesenhafte Überlegenheit und Freiheit gegenüber dem materiell-geschichtlichen Kosmos umso tiefer auf ihn bezogen - im Sinne einer „Annäherung durch Abstand”. In diesem Sinne wirken sie nicht durch ein ihrem Wesen nur äußerliches (ak-zidentelles oder gelegentliches) Handeln ein, sondern sind sie ihm durch ihre sub-stantielle Wirk-lichkeit zugeordnet - und ebenso er ihnen durch eine ent-sprechende sub-stantielle Formbarkeit. Beide bilden nach ihrer tiefsten ontologischen Bestimmung eine gemeinsame dynamisch-energetische Seins- und Begegnungsordnung, die als solche in Gott gründet. Auf der Grundlage eines solchen Aufhellungsversuchs zum Wesen und geschichtlichen Wirken von Engeln kann sich nun das Besondere der Per-son eines Michael herausheben. Wer ist er? Der Engel als reines Geistwesen durchdringt und bestimmt sich durch seinen Entscheidungsakt durch und durch in seinem Wesen; er ist das, wozu er sich entscheidet, vollkommen. Michael aber bestimmt sich durch eine Frage: „Wer ist wie Gott? ”. Also läßt sich sagen: Michael ist seine Frage; er ist der „Wer ist wie Gott? ” in Per-son. Der Ausdruck „Mi-cha-el” bedeutet in hebräischer Sprache: „Wer ist wie Gott? ”. Ein Name benennt aber das Seiende in seinem Wesen: Also kann man nicht sagen, daß die Frage des Michael etwas seinem Wesen Zusätzlicher oder Äußerliches sei, oder daß er sie nur bei bestimmten Gelegenheiten - den Begegnungen mit dem Bösen - gestellt hätte. Wenn von einem Engel gesagt wird: „Er ist Michael”, so heißt dies: „Er ist die wesenhafte Wirk-lichkeit: Wer ist wie Gott? ”. Noch weniger handelt es sich hier um eine rein „rhetorische” oder bloße Schein-Frage. Eine solche wäre nicht nur dem Sprecher (d. h. Michael) selbst äußerlich, sondern auch seinem gesprochenen Wort, da dieses ja dann in Wahrheit eine Behauptung und die Frage nur deren äußere Form oder bloßen Schein darstellte. Vielmehr entspricht gerade die Frage seiner ontologischen Wahrheit. Denn da ein Engel ein begrenztes Wesen ist, weiß er auch nur begrenzt, was der unbegrenzte Gott ist: d. h. er weiß es mehr nicht, als daß er es weiß; somit ist die Frage nach Gott einem Engelwesen (wie jedem Geschöpf) angemessen. Sie drückt die Anerkennung eben dieses Verhältnisses der eigenen Begrenztheit zur Unbegrenztheit Gottes aus und bedeutet eine suchende Hinwendung zu Gott; Michael ist das archetypisch subsistierende Unterwegs zu Gott. Nach dem Alten Testament ist Michael einer der höchsten Engel. Er ist auch der himmlische Fürst und Schutzherr (und das bedeutet wohl letztlich: der Archetyp) Israels, also des Volkes, das seiner geschichtlichen Bestimmung nach den Weg Gottes zu bahnen hatte: Dan 10, 13, 21; 21,1. Im Neuen Testament erscheint Michael noch deutlicher als der Widerpart des Teufels. Er streitet mit ihm um den Leichnam des Moses (Jud 9) und er stürzt als Anführer seiner Engel ihn und seine Engel nach einem siegreichen Kampf vom Himmel auf die Erde (Apk 12,7-12). Diese Stelle, die apostolische Lesung für den Tag des Erzengels Michael, ist vorgebildet im Alten Testament (Ez 28,1 ff.). Jesus sagt: „Ich sah den Satan wie einen Blitz aus dem Himmel stürzen” (Lk 10,18). Dabei handelt Michael, entsprechend seiner Rolle als Fürst Israels, des Gottesvolkes, als Engel der Gemeinde Jesu (vgl. Apk 12,10 ff.). Im nachbiblischen frühchristlichen Schrifttum ist er als der Engel des christlichen Volkes Fürbitter und Verteidiger gegen das Böse (auch Heiler, Bläser zum Gericht, Seelenwäger); insbesondere steht er den Sterbenden bei und geleitet ihre Seelen in den Himmel, ähnlich dem griech. Gott und Götterboten (d. h. Logosbringer) Hermes (lat. Merkur, vgl. auch den ägypt. Wissensgott Thot). In dieser Funktion ist Michael als „Hermes” also vielleicht auch außerhalb des jüdischen und christlichen Bewußtseins bekannt. Alle Funktionen und Taten Michaels sind im Zusammenhang mit dem in seinem Namen ausgedrückten Wesen zu sehen. Indem er durch seine Frage das Böse vertreibt und Gott und das Heil heranläßt, verbindet sich z. B. seine Funktion des Gerichtsengels mit der des Wegbereiters und des Heilers. Eine Behauptung ist auch Selbstbehauptung dessen, der sie ausspricht. Jeder Satz bedeutet eine Setzung, durch die der Betreffende sich auch selber setzt - und dem Hörenden aus-setzt. Dieser blickt und trifft dann nicht primär auf den Behauptungsinhalt, sondern ebenso auf den (sich) hier Behauptenden. Bei der Frage aber tritt der Sprechende völlig zurück und der Hörende ist genötigt, auf die gefragte Sache zu blicken, um die Antwort selbst zu finden. Er ist es nun, der die Behauptung zu fällen und darin auch sich selbst - angesichts der Sache! - zu behaupten hat. Nun richtet Michael nach der Schrift seine Frage an Luzifer als den Engel, der sich selbst wie Gott behauptet. Dadurch wird dieser gezwungen, auf die Wirklichkeit zu blicken, auf die sich seine Behauptung bezieht, und jetzt unverwischbar die Wahrheit zu erkennen. So muß Luzifer im Lichte der Wahrheit sich selbst verurteilen. Durch die auf ihn gerichtete Frage wird Luzifer gerichtet. Nicht Michael ist es, der ihn richtet - dieser urteilt ja nicht -, auch nicht unmittelbar Gott. Durch die Frage des Michael hindurch trifft ihn der Lichtstrahl der Wahrheit, und in ihm richtet er sich selbst. Die Frage ist zwar keine Behauptung, sondern soll zu einer solchen erst hinführen. Wohl aber setzt sie ein anfängliches und unausdrückliches Wissen um das Erfragte voraus; sonst wüßte der Fragende überhaupt nicht, wonach er fragt und könnte die Frage gar nicht stellen. Wüßte er es schon vollkommen, so wäre die Frage überflüssig und somit nicht mehr möglich; wüßte er es noch nicht einmal unvollkommen, so wäre die Frage ohne Inhalt und somit noch nicht möglich. - In diesem Sinne weiß Michael also immer schon, wer Gott ist und wer wie Gott ist - nämlich, wie es seinem eigenen begrenzten (und anfänglichen) Wesen entspricht, anfänglich und unvollkommen und in einer ganz und gar der Frage fähigen und bedürftigen Weise (was er durch die Tatsache seines Fragens zum Ausdruck bringt). Luzifer hingegen fragt nicht nach Gott; er überspringt mit der Frage auch seine eigene Endlichkeit und kann deshalb vor der Frage, die die Wahrheit durchläßt, nicht standhalten. So verhält sich die Frage gewissermaßen wie ein „Kanal”, der die Wahrheit in einem originären Sinne per-sonal vermittelt und transparent macht. Die Frage ist das reine Medium (Dia-phanum) oder die reine (rezeptiv-produktive) Potenz im Bereich des Geistes. Da nach dem Gesagten der Engel sich selbst durch seine Frage wesenhaft bestimmt und dann seine Frage ist, so folgt: Er macht sich zur reinen Durchlässigkeit und potenten Leere, zum per-sonalen Nichts, das die Wahrheit unbegrenzt durchwirken läßt; diese wird so seine ganze Wirk-lichkeit. Er hält sie nicht fest, sondern gibt sie so, wie er sie empfängt; er gibt sich ihr hin, ohne von sich her irgendeine Selbstbestimmung entgegenzusetzen, und stellt sich ihr uneingeschränkt zur Ver-fügung. So macht er sich zum (archetypischen) „Dien-Mut” für Wahrheit und Sinn im voll entschiedenen „Gegen-Satz” zu (arche-typischer) sinn-widriger Resistenz. Darum ist Michael der geistige Archetyp der Stofflichkeit und der Weiblichkeit. Die Frage verhält sich wesentlich wie ein „Kanal” oder „Weg”, durch den das, worauf sie sich richtet, herankommen und in Klarheit hervortreten kann. Die Michaelsfrage ruft den Logos herbei und läßt ihn als Richtgrund und Herrn herankommen - dorthin, wo seine Herrschaft und Herrlichkeit noch aussteht. Dies trifft aber letztlich Natur und Geschichte, für die das Geschehen „im Himmel” archetypische Bedeutung hat. So eröffnet die Michaelsfrage dem Logos den Weg in die Welt; die Einstrahlung ihrer dispositiven geistigen Lichtenergie in den Form- und Informationsprozeß der Materie in Evolution und Geschichte bahnt dem Logos den Weg zur Inkarnation. Eine gewisse Resonanz ließe sich im Fernen Osten in philosophisch-ideellen Geistesbewegungen erblicken wie der des Lao-tse oder des Buddha: Nach dem ersteren soll die Einstimmung des Lebens auf das TAO als „unbegrenzte Sinnharmonie des Kosmos” den Geist weiten; nach dem Buddhismus soll die Meditation des KUON den Geist zur Transzendenz aufbrechen. Im Westen ist vor allem auf die griechische Philosophie und besonders die Figur des Sokrates hinzuweisen, der eine „Kunst des Fragens” als „Geburtshilfe (Mäeutik) für den Logos” entwickelte. Die zum Logos hinführende und den Logos heranführende Einwirkung der Michaelsfrage richtete sich zuletzt auf das Volk Israel, dessen geschichtliche Aufgabe es war, inmitten der Verwirrung und des Dunkels der heidnischen Welt „Platzhalter” des Erlösers zu sein. Die Juden verstanden sich als die „Kinder Abrahams”. Abram aber bestimmte sich zu Abraham durch die Entscheidung, Gott mehr zu glauben als seinen eigenen widerstreitenden Gedanken und Gefühlen, da ihm einerseits ein Sohn verheißen war, auf den Gott den Bund gründen wollte, er andererseits dann aber gerade diesen töten sollte. Abraham traf die Entscheidung, sich Gott bedingungslos anzuvertrauen und zur Verfügung zu stellen - womit er die Michaelsfrage in der Dimension der Geschichte kontinuierte; denn die Bestimmung von „Kindern” ist es, das Leben des Vaters (und das bedeutet: seine geistige „Ek-sistenz”) fortzusetzen. Diese in der vorbehaltlosen Hingabe empfängnisbereit geöffnete und im Kampf der Geschichte hoffende und harrende Existenz kulminiert in Maria. Mit ihr erreicht der durch die Geschichte herankommende Logos sein Ziel, indem er aus ihr als Mensch persönlich geboren wird. Ihre Entscheidung ist der des Abraham ähnlich: Entgegen ihren eigenen widerstreitenden Gedanken und Gefühlen stellt sie sich Gott zur Ver-fügung. Der „Alte” Bund ist durch den Glaubensakt eines Mannes gegründet, der „Neue” durch den einer Frau. Im Hinblick darauf gewinnt die Michaelsfrage nun noch eine neue geschichtliche Dimension: die der Beantwortung, die sie in der Geschichte der Menschheit nach Christus erfährt. Nachdem sich die Hoffnung erfüllt und Maria empfangen hat, ist Christ-sein als Fortsetzung des Empfangens auch Fortsetzung der Wirklichkeit des Empfangenen in den Christen, d. h. eine Fortsetzung des Lebens Christi selbst. Da aber Christus als der menschgewordene Logos ist „wie Gott”, bedeutet die Michaelsfrage nun eine Einladung an alle, Christ zu werden; sie ruft alle in Christus zusammen: „Wer (alles) ist wie Gott?”. Als die für die Welt im Prinzip bereits beantwortete und erfüllte Frage läßt sie den Logos nun noch voller herankommen. In diesem Sinne kommt Michael eine Führungsrolle in der Geschichte zu: Er führt sie zur Entscheidung. Die eigentümliche Verflechtung von Juden und Deutschen begegnet bis in die unheimlichen Juden-Massenhinschlachtungen durch Hitler und das „Dritte Reich”, die schon vom ideologischen Ansatz her die natürliche Verstehbarkeit übersteigen. Sollte sich hier eine Konvergenz der geschichtlichen Bestimmung, eine metaphysische Verwandtschaft beider Völker anzeigen? Die auffällige, durch allen Widersinn hindurch möglicherweise noch tiefer sinnhafte Konstellation setzt sich fort, indem die Ereignisse des Dritten Reiches nach dem Kriege zur Wiedergründung des Staates Israel führten. - Vielleicht ist eine hintergründige Dimension angesprochen, wenn ähnlich den Juden in besonderer Weise die Deutschen dem Engel Michael zugeordnet werden, der als ihr „Patron” gilt? Jede in einer konkreten geschichtlichen (oder individuellen) Situation mutig gestellte Frage nach dem Sinn, die den Partner nicht zur Funktion angstvoller oder überheblicher (Selbst?)behauptung degradiert, sondern zur mit-ver-antwortlichen Antwortfindung freigibt, einlädt und herausfordert, partizipiert an der Michaelsfrage und läßt sie geschichtlich wirksam werden. Je ausdrücklicher man sich der geistigen Energie und personalen Macht des Engels unterstellt und anvertraut, desto mehr gibt man ihr Raum. Damit aber weitet sich sein Ruf zu der Frage: Wer ist wie Michael? Gekürzte und modifizierte Fassung von „Wer ist Michael? Zur Geschichtsmetaphysik des Engels” In: Grenzgebiete der Wissenschaft 31 (1982) 73-100 Zur anthropologischen Grundlegung: Heinrich Beck - Anthropologischer Zugang zum Glauben. Eine rationale Meditaton - Salzburg/München 1979. (insbesondere die Abschnitte „Der Mensch als Frage” und „Christus als Antwort”) In Quatember ist außerdem erschienen: Die Engel als metaphysische Umwelt des Menschen (1984,138) © Prof. Dr. Dr.h.c. Heinrich Beck Quatember 1982, S. 196-206 |
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